"Ich kann das erklären", sage ich. "Obwohl, naja. Eigentlich nicht."
Janine verschränkt die Arme vor der Brust. Sie ist nicht gerade begeistert. "Hat er das schon öfter getan? Das ist streng verboten! Wir müssen das melden."
"Wie wäre es, wenn wir ihn erstmal herein lassen?", schlägt Havanna vor. Ihre Augen glänzen aufgeregt, so eben hat sich der Abend zu einer privaten Vorführung meines Männer-Dramas entwickelt.
Ich presse die Lippen zusammen und stehe auf, weil meine Zofen nicht reagieren. Sie sind sich uneinig, was sie tun sollen. Wie schön. Ich hatte gehofft, sie würden durchgreifen und Leander fort schicken.
Also schiebe ich mich an ihnen vorbei und drücke die Klinke herunter, damit Leander da draußen nicht erfriert. So unpassend er auch erscheint, ein unterkülter Kandidat auf der Krankenstation lässt sich schwerer erklären als ein gesunder in meinem Zimmer.
"Hi", sage ich und schaue ihn abwartend an. "Kannst du mir erklären, was das werden soll?"
"Ich habe damit gerechnet, dass du allein bist", gibt er zu. Sein Blick wandert zwischen meinen Zofen und Havanna hin und her. "Wie es aussieht, komme ich ungelegen." Allerdings.
"Nein, nicht doch! Wir freuen uns auf Gesellschaft. Oder, Nivea?"
Unschuldig erhebt sich Havanna, schiebt noch einen Stuhl an den Tisch und setzt sich auf den, der weiter von mir entfernt steht. Danke, Havanna. Das ist so hilfreich. Wieso ist sie nicht auf meiner Seite? Ich verkneife mir ein leises stöhnen.
Leander kommt herein und geht zögerlich zum Tisch rüber, dabei streift er ausversehen meine Hand. Ich zucke nicht mehr zusammen, denn mein Gehirn ist wieder in der Lage, gut und böse zu unterscheiden. Die Auseinandersetzung zwischen ihm und Kaden hat mir gezeigt, dass nicht alle Männer so widerlich ehrlos sind. Klar, theoretisch wusste ich das schon, es nochmal zu erleben ist aber was anderes.
Lola schließt die Fenstertür und wirft Leander einen kritischen Blick zu. Sie mag ihn immer noch nicht, außerdem liebt sie Tratsch und ist bestimmt umso schlechter gelaunt, weil sie ihn nicht kennt. Was Leander betrifft, halte ich mich vor den beiden nämlich zurück. Seitdem unser Date gescheitert ist, hegen Lola und Janine einen Groll gegen ihn. Dabei belasse ich es vorerst.
Leander fährt sich durch die blonden Haare, die mal wieder einen frischen Schnitt gebrauchen könnten. Er nimmt Platz und schaut zur Tür, als überlege er, doch noch abzuhauen.
"Er wird nicht lange bleiben", sage ich zu meinen Zofen. Neugierig beobachten sie meine beiden Gäste. "Haltet Ihr das für eine gute Idee? Ich weiß, er ist nicht wie Sir Benjamin, aber..." Janine schnaubt. "Das Sir kannst du dir sparen. Er hat jegliche Form des Respekts verloren. Wenn es nach mir ginge, könnte er im Gefängnis verrotten."
Sieh mal einer an. Vor drei Wochen haben sich die zwei kaum getraut, mit mir über andere Dinge als Frisuren und Kleider zu sprechen. Mir gefällt diese Entwicklung, sie lässt sie menschlicher wirken.
"Das ist unwahrscheinlich, aber ich gebe dir Recht. Er ist widerlich und sollte nie wieder einer Frau zu nahe kommen dürfen. Tun die Handgelenke noch weh?"
Ich nicke. "Morgen wird es besser sein. Am meisten stören mich die Blutergüsse." Leander hat sie heute Nachmittag ein wenig verwischt, es fällt kaum auf, nur eine kleine Stelle lila schimmert durch.
"Das kriegen wir hin. Morgen probieren wir einen deckenderen Farbton. Ihr tut mir leid, Lady Nivea. So oft wie Ihr Euch bereits verletzt habt...Oder verletzt wurdet... So war die Selection nicht geplant."
"Ach was. Ihr könnt schließlich nichts dafür. Und Verletzungen heilen."
Lola zuckt mit einer Schulter. "Die meisten, ja, aber manche gehen zu tief." Wir wissen alle, was sie meint. Die psychischen Verletzungen, die, von denen man sich viel schwerer, vielleicht auch niemals vollständig erholt.

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Selection - Futuria
Fanfiction"Du bist eine Rebellin", flüstert er fassungslos. "Falsch", sage ich. "Ich bin die rechtmäßige Thronerbin Caravels." ----------- Nivea ist gerade 18 geworden, als die erste Selection seit 150 Jahren beginnt. Seit den Kastensystemen hat sich viel ver...