43. Kapitel - Show, nicht Realität

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Vor der heutigen Show bin ich nicht weniger nervös als letzte Woche. In meinem Zimmer gehe ich auf und ab, währenddessen rennen Lola und Janine mir angestrengt hinterher, um mich fertig zu schminken. Ich glaube, sie werden dadurch mindestens genauso nervös.

"Nun bleibt doch stehen", bittet Lola. Wie sie es schafft, immer die Höflichkeitsetikette einzuhalten, selbst wenn sie etwas aus der Fassung bringt, ist mir ein Rätsel. Sogar Kaden und ich duzen uns mittlerweile. Hm, Kaden.

Gestresst fegt sie mit einem Pinsel über die Puderdose, ehe sie mit diesem über meine Wangen und Stirn streicht. "So viel Aufregung tut Ihnen nicht gut, Sie müssen sich beruhigen!" Was sie nicht sagt.

Händeringend halte ich an, stehe vor den Fenstern zum Balkon. Draußen ist es bereits dunkel, in wenigen Minuten werde ich zur Show abgeholt werden. Ich werde das Gefühl nicht los, dass ich heute gehen muss. Dass Madame Clarice dem Königspaar mitteilte, für wie unpassend sie mich hält, und diese es ihrem Sohn sagten. Nicht mal die Rebellen werden meinen Rauswurf dann verhindern können.

"Wie soll ich mich denn beruhigen, gibt es da eine Anleitung?" Für jede Hilfe wäre ich dankbar. Janine setzt den letzten Glitzerstein auf meinen Dutt, höchst konzentriert und mit einer Pinzette, dann atmet sie erleichtert aus. "Denken Sie an etwas schönes. Ihre Familie zum Beispiel." Gerade deshalb bin ich ja so schrecklich nervös.

Ich habe meinen Brief an Halo endlich abschicken können, was mich nur wieder daran erinnert, wie sehr ihre Hoffnung auf mir ruht. Sie glaubt, ich hätte eine Chance zu gewinnen und das ich sie zu mir ins Schloss holen würde. Sie will ein besseres Leben, eines in dieser Welt aus Gold und Verschwendung. Wo es zu jeder Zeit Früchte mit Schokolade gibt und niemand frieren muss.

Wie könnte ich es ihr verübeln? Doch die Rebellen brauchen mich noch viel mehr. Wenn ich ihnen nach meinem Rauswurf erklären muss, dass ich wegen meines Temperaments beim Tanzen gehen musste, werden sie sonst was mit mir anstellen. Und das wäre für Halo noch viel schlimmer, als weiter in Crowheart bleiben zu müssen.

Lola erkennt, dass dieses Gerede nichts bringt, und geht zu meinem Nachttisch. Mit der Kette vom Wachmann kommt sie wieder, der Rosenanhänger baumelt hin und her. Er erinnert mich an das Hängeding an den alten Standuhren, das auch niemals still halten kann."Hier. Tragt sie, vielleicht hilft das."

Ich kann die Kette doch nicht im Fernsehen tragen. Was, wenn doch jemand das Symbol der Rebellion erkennt und mich verpfeift? "Ähm, es passt nicht zu meinem Kleid", halte ich dagegen. Janine runzelt die Stirn. "Natürlich tut sie das. Euer Kleid ist rot." Ich weiß, ich bin nicht farbenblind. Meine Tante ist das, Sophie.

Lola nickt zustimmend, tritt hinter mich und legt mir die Kette an, bevor mir eine bessere Ausrede einfällt. "Sie passt ganz hervorragend dazu. Und vielleicht kommen Sie so mit Mister Raven in ein Gespräch, das gibt Ihnen die Möglichkeit, sich beim Publikum beliebt zu machen."

Oder, mich zu entlarven.

"Ich glaube nicht, dass er wieder über Medea reden will", meine ich. "Letztes Mal konnte ich mich gerade so retten."

"Er ist ein Show-Mensch", sagt Janine leichthin. "Er steigt auf alles ein, so lange es gut präsentiert wird. Allerdings haben Sie Recht, Ihr Bezirk sollte vielleicht unerwähnt bleiben." Bei Janine kommt das gleich ganz anders rüber, als bei Grace oder Madame Clarice. Janine weiß, wie die Leute aus höheren Bezirken denken und wie man sich verhalten muss, um Ihnen zu gefallen. Ich sollte mir an ihr ein Beispiel nehmen und öfter mal den Mund halten, anstatt etwas unüberlegtes zu sagen.

Es klopft an der Tür und meine Wachen bringen mich zum Auto, dass uns zur Show fahren wird. Die ganze Zeit denke ich an die Kette und bin mehrmals kurz davor, sie runter zu reißen. Sobald ich jedoch bei den anderen Mädchen bin, kann ich das vergessen. Ab hier werden uns die Kameras begleiten, die mich schon gestern gestresst haben, als sie ein paar Aufnahmen in meinem Zimmer gemacht haben.

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