27. Kapitel - Störenfried

121 15 2
                                    

Der nächste Tag vergeht wie in Zeitlupe. Weil es nichts zu tun gibt, und alle so angespannt sind, mache ich mich erneut auf zur Bibliothek. Die letzte Nacht habe ich kein Auge zu getan, Andrew und die Rebellen sind mir im Kopf herum geschwirrt wie ein Schwarm Bienen.

Dementsprechend habe ich Kopfschmerzen und schlechte Laune noch dazu. Leander meidet mich weiterhin und es macht mir zu viel aus, als dass ich es einfach ignorieren könnte. Aber dass er sich ausgerechnet zu Victoria gesetzt hat, um mich eifersüchtig zu machen, ist lächerlich.

Überrascht stelle ich fest, dass der Eingang der Bibliothek diesmal bewacht wird. Die Männer halten mich auf, um nach meinem Beweggrund zu fragen. Als wäre das nicht offensichtlich.

"Ich möchte lesen", sage ich. "Und ich bin angemeldet. Sie können gerne nachfragen." Meine Worte kommen spitzer hervor, als sie sollten. Ich räuspere mich. "Verzeihung, aber es ist unsere Pflicht, die Sicherheit zu verstärken. Seit dem Angriff wurden die Wachen im Schloss verdoppelt." Ich schlucke trocken.

Dann lassen die beiden mich hinein und Miranda schiebt das Buch über den Tresen. "Ich wünsche angenehmes Lesen.", sagt sie. Ich bedanke mich und versuche dann, meinen Herzschlag zu beruhigen. Die Schritte sind die gleichen wie gestern, aber heute kommen sie mir schwerer vor. Ich habe vor, zum selben Platz wie gestern zu gehen, doch als ich ankomme, ist mein Sessel bereits belegt.

"Sir Kaden", sage ich, mehr als Frage als eine Feststellung. Er blickt von seinem Buch hoch und fängt meinen Blick auf. "Ach, Sie können lesen?" Ich presse die Lippen aufeinander. "Schon gut, ich suche mir eine andere Ecke." Noch während ich mich drehe, meint Kaden jedoch: "Bleiben Sie ruhig. Solange Sie schweigen und mich nicht nerven, kann ich es wohl mit Ihnen aushalten." Seine Augen funkeln.

"Wie nett", gebe ich zurück. Aber lieber verbringe ich meine Zeit allein, weg von negativer Energie. Also gehe ich ein Stück weiter und erreiche bald die nächste Leseecke, wo ich zu meinem Glück ungestört bin.

Ich setze mich hin und denke noch einen Moment über die Verstärkung der Wachen nach. Noch habe ich keine Erfahrung, ob das nach einem Angriff immer so ist. Aber wenn es dauerhaft so bleibt, muss ich noch viel vorsichtiger werden. Das heißt, ich, Andrew und die andere Kandidatin müssen es.

Dass von 69 Kandidaten drei Rebellen sind, ist wirklich beeindruckend. Es mag für die Regenten, die Reichen, so sein, als wäre die Gruppe der Widerständigen ganz klein und unbedeutend. Nur ein kleiner Aufstand hier, ein Angriff da. Aber so ist es nicht. Es gibt uns überall, und wir sind mehr, als sie sich denken können. Ich würde wetten, dass es im Palast ebenfalls Spione gibt.

Ich schlage das Buch auf und beginne zu lesen. Es ist nicht viel Neues dabei, deshalb lasse ich einige Seiten aus und springe zum nächsten Kapitel. Ich weiß, das wollte ich eigentlich nicht tun, aber ich muss voran kommen. Wer weiß, wie viele Gelegenheiten sich mir noch für sowas bieten werden.

Kaum habe ich mich einigermaßen eingelesen, über die Wirtschaftskrise und darauf folgend die Inflation, erklingt eine Stimme hinter mir. "Sieh an, die Geschichte Caravels. Waren die Liebesromane aus?" Ich werfe Kaden einen finsteren Blick zu. "Haben Sie nichts besseres zu tun, als mich zu belästigen? Ich wüsste da eine Menge Mädchen, die gerne Zeit mit Ihnen verbringen würden." Den sarkastischen Unterton kann ich mir nicht verkneifen.

Kaden fährt mit der Hand über eine Sessellehne, unbekümmert und mit verzogenen Lippen. "Ich vermute, Sie gehören nicht dazu?"

"Dass Sie die Frage überhaupt stellen. Nein, tue ich nicht. Ich gehöre eher der Gruppe Mädchen mit Grips an." Zur Untermalung tippe ich gegen meine Stirn. Bei Kaden muss ich mir zumindest keine Sorgen machen, ihn irgendwie zu verletzen. Meine Worte interessieren ihn wahrscheinlich etwa so viel, wie ich Victoria schätze.

 Selection - Futuria Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt