90. Kapitel - Definiere Gefahr

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Es kommst so, wie es kommen muss. Ein Richter nach dem anderen verkündet sein Urteil, und immer lautet es wie folgt: "Aufgrund der Vielzahl und des Schweregrades seiner Verbrechen, ordne ich die Höchststrafe an. Diese lautet: Tötung durch Erschießen."

Jedes Mal, wenn sie zum nächsten Rebell wechseln und seinen (oder ihren) Namen verkünden, brennen sich diese in mein Gedächtnis. Amanda, Joseph, Karl, Jules, Missi, Paul, Ian und schließlich Cassian. Er ist gerade mal zwanzig, und bekommt die Todesstrafe, weil er Civil einen Schnitt in den Oberarm verpasst hat.

Keiner von ihnen hatte die Chance, zu sprechen und sich zu verteidigen. Sie durften nur ihren Namen bestätigen und den Bezirk, aus dem sie ursprünglich kommen. Meistens sind es niedrige, doch Cassian stammt aus Fünf.

Mein Herz schlägt heftig und protestierend in meiner Brust, ich spüre jeden einzigen Schlag wie einen Donner.

Die Richter setzen sich und man führt die bereits verurteilten Männer und Frauen hinaus. Kameras geben unaufhörlich Klickgeräusche von sich und ich bekomme schon Kopfschmerzen davon. Sie sind verloren. Werden noch heute hingerichtet.

Das sind Menschen. Und wir töten sie. Dabei werden wir selbst zu Mördern, aber alle Anwesenden scheinen das zu ignorieren. Wenn sie es schlimm finden schweigen sie bestimmt, um nicht negativ aufzufallen.

Wahrscheinlich sind die meisten erleichtert, nicht an unserer Stelle sein zu müssen.

"Nun also zum letzten Teil unserer Verhandlung. Die ausgewählten Kandidatinnen wurden die ganze Woche über auf den heutigen Tag vorbereitet, jedoch ohne zu wissen, wer von ihnen tatsächlich die wichtige Aufgabe übernehmen wird, über die Verbrecher zu entscheiden."

Als könnten wir das.

Ich halte die Luft an, als König Lex seiner Frau das Mikrofon überlässt und sogar einen kleinen Schritt ausweicht, um ihr Platz zu machen. Ich hätte gedacht, die Namen zu verkünden wäre sein persönliches Highlight, weil er unsere dünnen Stimmen und die Angst genießen wird.

"Folgende Ladys wurden von uns aufgrund ihrer bisherigen Leistungen ausgewählt: Lady Zoe, wir teilen Ihnen den Rebell Tammo James zu. Er stammt aus Bezirk Sieben, wird nun jedoch als verstoßen betrachtet und wartet auf seine Strafe."

Zoe presst fest die Lippen aufeinander und sieht aus, als würde sie gleich weinen müssen. Langsam steht sie auf, derweil entfernt man einem der übrigen Männer die Maske. Nur kurz, zur Identifikation. Dann zieht man sie ihm grob wieder über und der Wachmann drückt ihn fest auf den Boden.

"Als nächstes: Lady Quenla. Ihr zugeteilter Rebell heißt Martin Black und entstammt dem Bezirk Acht." Die Königin spricht klar und deutlich, für meinen Geschmack klingt sie viel zu gefasst. Wie oft gab es solche Verhandlungen schon, und an wie vielen davon hat sie teilgenommen?

Ich erwarte von Querla, dass sie wie die meisten Mädchen in Schock reagiert. Außerdem denke ich verbittert, dass es ihr bestimmt missfällt, dass eine Frau über einen Mann entscheiden darf.

Meine Gedanken passen sich von allein an ihre Denkweise an, um ihren Charakter ein Stück weit nachvollziehen zu können.

Aber es gelingt nicht. Sie liegt einfach falsch in ihren Ansichten.

Von mir aus muss sich nicht jede Frau öffentlich gegen Themen auflehnen, die ihr missfallen. Etwa gegen unfaire Bezahlung im Vergleich zu Männern, oder wenn sie einen sexistischen Spruch auf der offenen Straße zugerufen bekommen. Ich verstehe die Angst, es durch mein Handeln zu verschlimmern. Und auch die Frustration, weil es so ermüdend sein kann, sich gegen etwas aufzulehnen, dass von dem Großteil der Bevölkerung eben geschluckt und akzeptiert wird.

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