102. Kapitel - Hart

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Als erstes muss ich den Cupcake loswerden. Sonst glaubt noch jeder, der mir begegnet, ich wäre bescheuert.

Einen Fleck auf der Bluse zu haben ist eine Sache. Die Tatwaffe noch mit mir herum zu tragen, eine andere. Trotzdem, man muss ja nichts verschwenden. Während ich auf dem Weg zum erstbesten Bad bin, verputze ich die Rester meines Törtchens.

Einige Wachen schauen mich schräg an, doch ich wette, sie sind nur neidisch.

Oder versuche es mir einzureden.

Ich knülle das übrige, durchweiche Papier zusammen und lecke mir Buttercreme von den Fingerspitzen, ehe ich vor einer Tür anhalte und sie mit dem Ellenbogen aufstoße.

Die meisten Gästebäder im Palast sind klein, es gibt gerade mal zwei Kabinen. Trotzdem sieht alles süß und edel aus. Die Wände sind in fröhlichen Pastelltönen tapeziert, es gibt riesige goldumrahmte Spiegel mit Stuck und Vasen voll mit Blumen.

Am besten jedoch: Es riecht nie nach dem, was auf diesen Örtchen für gewöhnlich statt findet. Auch wenn es keine Fenster gibt.

Bevor ich den Palast verlasse, muss ich mir erklären lassen, wie das Personal es schafft, dass es immer nach Lavendel oder Rosen duftet, nirgends aber Duftsprays oder Rattan Stäbchen zu sehen sind.

Eine der Kabinen ist besetzt, die andere steht offen. Doch ich bin ja nicht hier, weil ich aufs Klo muss.

Ich stelle mich an das runde Waschbecken und betrachte mich als erstes im Spiegel. Fast sofort verziehe ich das Gesicht, denn der strenge Dutt tut meinem schönen Haar überhaupt nicht gut. Er engt es ein, unterdrückt die Pracht meiner Locken.

Und die sind es doch, die mich ausmachen.

Ich werfe das zusammen gefaltete Papier in den Müll und wasche mir als erstes die Hände, mit rosa Flüssigseife aus einem kristallenen Pumpgefäß. Es sieht wirklich hübsch aus. Ob es auffallen würde, wenn ich ein paar der Dinger mit nach Hause nehmen sollte?

Sicher haben sie mehr als genug davon. Und mit Verlusten ist schließlich zu rechnen.

Noch vor einer Woche habe ich gedacht, ich könnte es schaffen. Einen Prinzen heiraten und für immer in Futuria bleiben, meine ich.

Aber als ich vor der letzten Show die handschriftliche Notiz gefunden habe, halte ich meinen Rauswurf für besiegelt. Ich bin mir ziemlich sicher, dass Theo und der Prinz nicht dieselbe Schreibweise haben.

Mehrmals habe ich meine Tanzkarte und die Notiz gedanklich miteinander verglichen. Nope, keine Übereinstimmung. Und seitdem ist es...Ach, ich weiß auch nicht.

Ich scheine auf einmal klarer zu sehen. Als ob ich schon die ganze Zeit gewusst habe, dass Theo nicht der Prinz ist. Nur dachte ich, es würde mir mehr ausmachen.

Stattdessen fürchte ich mich vor dem Tag, gehen zu müssen, weil es bedeuten könnte, das mit uns wäre vorbei.

Ich hasse es, im Ungewissen zu schweben. Das macht mich geradezu krank.

Entnervt rupfe ich ein paar Papiertücher aus dem Spender, sogar die sind ganz anders als in Lumos. In den Großstädten gab es nur diese kratzigen recycelten Lappen, die sich sofort auflösten, wenn man zu wenige davon übereinander legte.

Hier sind die Tücher weiß, nicht grau, und sie sind dick wie die verstärkten Servietten im Speisesaal.

Keine Ahnung ob sie mir helfen werden, meine Bluse wieder her zu richten. Versuchen werden wir es.

Ich werfe einen Blick in Richtung der verschlossenen Kabine. Es ist gar nichts zu hören. Nicht mal ein plätschern und gut, wir müssen nicht näher darauf eingehen, aber ein wenig seltsam ist es schon.

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