116. Kapitel - Dienstag (Kaden)

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Kaden

„Wie fühlt es sich an?“, fragt Victoria und klingt dabei lauernd. „Wie fühlt es sich an, den einzigen Menschen zu verletzen, dem du nicht egal bist? Mich ausgenommen, meine ich.“

Wir spazieren am äußersten Teil des Palasts entlang – weit genug entfernt von allen anderen Kandidaten und den Mädchen, die sie begleiten. Ich habe beide Hände zu Fäusten geballt, die ich in regelmäßigen Abständen öffne und schließe.

Ihre Worte treffen mich. Auch wenn ich gut darin bin, mich vor Dad und den anderen zu verschließen – bei Vicki geht das nicht. Nicht bei meiner Schwester.

„Als wäre ich aus einem Flugzeug gesprungen. Ohne Fallschirm. Und ich falle und falle und weiß, dass ich irgendwann hart aufkommen werde. Aber nicht so hart wie Nivea.“

Victoria schnaubt. Sie hat die Arme vor ihrem Körper verschränkt und erwähnte bereits zweimal, dass sie hier draußen friert. Es gibt eine Überdachung aus Stein und ein Geländer, diese hässlichen überdimensionalen Vasen und sogar Bilder an der linken Seite. Rechts jedoch ist der Durchgang zum Garten hin geöffnet.

„Bitte, es war nur ein Date. Und dieses Mädchen trifft sich andauernd mit anderen Männern. Ich verstehe nicht, warum du so an ihr hängst.“

Natürlich nicht. Die beiden kommen nicht miteinander aus, auch wenn Victoria dazu den größten Teil verschuldet. Sie spielt ihre Rolle perfekt. Viel besser als ich, und das weiß sie.

„Weil sie anders ist.“

„Echt jetzt? Anders? Denselben Spruch habe ich in den letzten Wochen mindestens dreimal zu hören bekommen. Er soll uns Schmetterlinge im Magen und rosarote Gedanken bescheren, nach dem Motto: Du bist die eine, denn alle anderen sind so öde und einander gleich. Ich musste mich jedes Mal zusammen reißen, um den Jungs keine zu scheuern.“

„Schön, dass nicht nur ich Probleme habe.“

„Dein Problem ist es, dass du dich verknallt hast. Damit hast du die oberste unserer Regeln gebrochen. Tue Dad nicht den Gefallen, sein perfides Spiel mitzuspielen.“ Sie streicht sich eine dunkle Strähne hinter das Ohr und reibt sich über die Oberarme.

„Es ist scheiße kalt, wieso müssen wir hier draußen sein?“

Normalerweise würde ich über ihr Gemecker die Augen verdrehen. Es ist nichts neues, dass Vicki sich über die Kandidatinnen oder Dad aufregt. Auch wenn ihr Liebling immer noch unser König ist.

Sie hasst ihn für seine Anordnung, uns in die Selection einzufügen und ebenfalls unser Glück zu versuchen. Sowas macht man normalerweise freiwillig, wenn überhaupt. Und Vicki und er haben ein ganz spezielles Verhältnis zueinander, dass sie nach jedem Treffen fast zum explodieren bringt.

Auch wenn sie seine leibliche Tochter ist, spricht Dad ihr keinerlei Rang zu. Er sagte mal, falls meinem Bruder je etwas passieren sollte und es einen anderen Nachfolger geben müsste, dann käme nur ich in Frage. Und das ist hart, sogar abartig hart.

Ich habe Lex nie für meinen wirklichen Vater gehalten, und Vicki weiß das. Ich glaube, auch Lex spürt nur ein mittelmäßiges Maß an Empathie für mich. Ich bin jemand, den er dulden muss. Ein Leben lang, und ich schätze er dachte sich, wenn er mich schon aushalten und erziehen müsse, dann nicht völlig sinnlos.

In Caravel ist es keineswegs Brauch, dass der Thronfolger männlich sein muss. Bisher hat es sich lediglich so ergeben, dass zuerst ein Sohn geboren wurde.

Dad jedoch ist sehr altmodisch und was eine Frau als Regentin betrifft, würde er Vicki vermutlich lieber wegsperren lassen, als ihr die Chance zu ermöglichen.

 Selection - Futuria Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt