"Siehst du das?", fragt Grace mit schriller Stimme. Sie steht vor meiner Tür, mit vor Aufregung glänzenden Augen, und deutet auf unsere Outfits, die banaler nicht sein könnten.
Hohe Lederstiefel mit dünnem Absatz, ein dicker, gefütterter schwarzer Mantal und lederne Handschuhe - sowie ein unpraktisch rotes Kleid. Es ist vorne kurz, so kurz, dass zwischen dem Stoff und den Schuhen etwa zwanzig Centimeter unserer Haut frei sichtbar sind. Hinten hat es eine lange Schleppe, die Lola eifrig mit Nadeln hoch gesteckt hat, damit es nicht über den Boden schleift.
"Dir auch einen guten Morgen", entgegne ich und drehe den Kopf weg, weil ich gähnen muss. Das Gespräch mit Leander hat mich gestern lange wachgehalten, auch das Frühstück auf meinem Zimmer einzunehmen, brachte mir nicht viel mehr Schlaf. Ich lehne mich träge gegen den Türpfosten.
Mir ist so heiß, dass mir etwas schwindelig ist.
"Weißt du, was das bedeutet?", will sie wissen. Ehe ich antworten kann, quietscht sie: "Wir gehen reiten! Ist das nicht toll?" Mein Gehirn ist zu müde, als das es brauchbar wäre. Da ist ein Nebel, der alle Gedankengänge einhüllt.
"Ja?", sage ich, mit der linken Schulter zuckend. "Toll." Keine Ahnung, ob das toll ist. Hinter mir räumen Lola und Janine auf, sie flüstern miteinander.
"Ich war noch nie reiten! Und dann noch bei Schnee, in diesen wunderschönen Kleidern!"
Ihr Lächeln ist so strahlend, dass ich es unmöglich nicht erwidern kann. "Aber wie soll das gehen? Du sagst es doch, wir können nicht reiten." Sie ist so hibbelig, ich glaube, Grace hört mir gar nicht zu.
"Wir werden den Tag doch mit den Herren verbringen. Stell dir doch nur ihre Gesichter vor, wenn sie uns so sehen!"
"Wie? Halb erfroren und mit wundem Hintern?", gebe ich zurück.
Augenverdrehend grinst sie. "Wir sehen wunderschön aus. Romantisch! Und dann noch in Begleitung der vielen Gäste und Kameras. Es wird ein zauberhafter Tag werden."
Ein Tag, den ich damit verschwenden werde, auf einem Pferd zu sitzen und hübsch zu lächeln, anstatt die Bibliothek zu durchsuchen. Irgendwo muss ich schließlich anfangen. Womöglich weiß auch die Bibliothekarin etwas genaueres, ich kann mir gut vorstellen, dass sie jedes einzelne Buch gelesen hat.
Es spielt keine Rolle, so lange ich keinen Zutritt zu ihr habe. Worauf sollte ich mich also freuen?
"Bist du fertig? Können wir los?"
Seufzend verabschiede ich mich von meinen Zofen. Sie verfolgen mich mit besorgten Blicken, oder sagen wir, das Kleid. Es fühlt sich nicht halb so teuer wie die anderen an, aber wahrscheinlich habe ich für sowas immer noch kein Gespür.
Meine Wachen begleiten uns noch bis zum Salon, dort werden wir Aurora überlassen.
Der Salon, in dem wir uns sammeln, ist übrigens kaum wiederzuerkennen. All die Dekorationen sind fort, da sind nur noch etwa dreißig Sofas mit Kissen in den buntesten Farben. Statt großen Stehtischen gibt es nun kleine, auf denen Teegeschirr vorbereitet wird.
"Gleich", flüstert Grace. "Gleich geht es los." Sie ist so Feuer und Flamme, ich frage mich ernsthaft, worauf sie sich so freut. "Es ist eisig da draußen", erinnere ich sie. "Und wie", pflichtet Cassy mir bei, die sich unbemerkt zu uns gestellt hat. "Die Königin spinnt doch."
Grace schlägt sich die Hand vor den Mund, ich beiße mir auf die Unterlippe, um mein Grinsen zurück zu halten.
"Ich begrüße Sie, Ladys", ruft Aurora und winkt uns zu sich heran. Unsere Gruppe versammelt sich um sie, allesamt gleich angezogen. Ich hasse das. Wir werden auf unser Aussehen reduziert, verschwimmen zu einer Masse.
DU LIEST GERADE
Selection - Futuria
Fanfiction"Du bist eine Rebellin", flüstert er fassungslos. "Falsch", sage ich. "Ich bin die rechtmäßige Thronerbin Caravels." ----------- Nivea ist gerade 18 geworden, als die erste Selection seit 150 Jahren beginnt. Seit den Kastensystemen hat sich viel ver...