95. Kapitel - Bestehen und überstehen

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Nivea

Ich sitze auf Ravens Couch, bin so angespannt und gleichzeitig künstlich fröhlich wie immer. Meine Wangen tun vom Lächeln schon weh, hoffentlich wirkt es nicht so eisern. Quenla, Zoe, Athena und Memora sind ebenfalls hier.

Keine Überraschung, eigentlich, denn wir waren das Highlight dieser Woche. Eins mit bitterem Nachgeschmack.

Flynn und die anderen sind tot. Das ist sicher. Wir können nichts mehr tun, um etwas zu ändern - eine harte Endgültigkeit, die schwer zu verdauen ist.

"Sehen wir uns die Bilder an", schlägt Raven vor. Er trägt einen knall lila Anzug und ein geblümtes gleichfarbiges Hemd, was echt zum schreien aussieht.

Ich richte meinen Blick auf sein Tablet, auch wenn ich die Bilder nicht sehen will. Die Ereignisse sind erst einen Tag her, meine Narben noch frisch. Es widert mich an, dass wir im Studio sitzen und unser Publikum regelmäßig ins Staunen verfällt, wenn wir auf das Thema kommen.

Wie erwartet, sind wir das letzte Team auf Ravens Sofa. Der spannende Höhepunkt, so zu sagen. In den letzten beiden Stunden hat er die Mädchen über das Gruppendate ausgefragt, wer am besten in Shorts aussah und ob sie sich gut auf die Verhandlung vorbereitet gefühlt haben.

Es ist offensichtlich, dass Raven den wichtigsten Teil auslässt (Flynns kleines Geständnis) und den Prozess so darstellt, als wäre er ein spannendes Kino Erlebnis gewesen. Ich schlucke meine Abscheu herunter und blinzele, damit das Video auf dem Tablet nicht mehr vor mir verschwimmt.

Er zeigt uns Einzelausschnitte von der Verhandlung. Nahaufnahmen, von uns und den Rebellen. Wir besprechen mit ihm die Farben unserer Kleider und ihre Bedeutung, sowie der der anderen Anwesenden. Zum kotzen, wie oberflächlich normal wir darüber reden.

Als wären am Ende keine Menschen gestorben. Als wäre es tatsächlich nur eine Show, nichts reales.

Ich halte mich schon den ganzen Abend lang zurück, doch mein Schweigen scheint langsam verdächtig zu werden. Raven richtet seine Augen auf mich und ich weiß, dass ich endlich auch etwas sagen muss.

"Ja, es war sehr beeindruckend...Ich war...aufgeregt." Toll. Das war absolut nichtssagend und muss wirken, als wäre ich schwer von Begriff.

Ich räuspere mich und falte die Hände im Schoß. "Es war eine wertvolle Erfahrung", setze ich hinzu, um mich zu retten. "Wie König Lex schon sagte: Eine einzigartige Gelegenheit."

Quenla rechts von mir hüstelt und murmelt Sicher. Sie hat mir schon Backstage mitgeteilt, wie unnötig sie meine Ohnmacht fand und dass ich nicht versuchen sollte, die Aufmerksamkeit derartig auf mich zu ziehen. Ja, ich war kurz davor, ihr eine Birne an den Kopf zu werfen.

Raven nickt. "Wir dürfen nicht vergessen, dass eine von Ihnen vielleicht unsere zukünftige Königin sein wird. Glauben Sie, Lady Nivea, Ihre Chancen auf den Thron sind durch den gestrigen Tag und Ihren Auftritt gestiegen?"

Er klingt, als wüsste er von meinem Ausfall bescheid. Kann das sein? Haben Sie ihm davon erzählt? Wie peinlich. Andererseits sollte es mich nicht wundern. Die Produzenten mussten sicher stellen, dass die Eskapade am Schluss nicht mal angeschnitten wird.

Ich befeuchte meine Lippen und lächle nun zurückhaltender, schaue Raven direkt an. "Nicht auf den Thron. Vielleicht habe ich den Prinzen beeindruckt, wer weiß das schon? Aber ich habe nur das getan, was wir tun mussten. Dahinter steckten keine bestimmten Absichten." Lüge, Lüge, Lüge.

Man sollte meinen, irgendwann gewöhnt man sich an das ungute Gefühl im Magen, wenn man lügt. Oder, die Wahrheit verdreht, wie Andrew es formulieren würde. Das stimmt jedenfalls nicht. Es ist immer noch erschreckend, wie leicht es mir gelingt, und schmeckt bitter.

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