114. Kapitel - Montag (Kaden)

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Kaden

"-wer mein Nachfolger werden wird."

Ich würde die Augen verdrehen, wenn Nivea mir nicht direkt gegenüber sitzen würde.

Ein paar der Kandidatinnen antworten, indem sie demonstrativ nach Luft schnappen. Als bestünde in den bereits ausgeschiedenen Mädchen eine Bedrohung, die sie glauben, bereits hinter sich gelassen zu haben.

Dabei gaben sie die meiste Zeit vor, Freundinnen zu sein. Es scheint, als wären sie doch nicht so ehrlich und aufrichtig, wie meine Mutter es behauptet. Nicht, dass ich ihr jemals zugestimmt hätte.

Allein diese Quenla war furchtbar und verdeutlichte alles, was ich sowieso schon von der reichen Bevölkerungsschicht dachte. Dass diese Leute arrogant, überheblich und gefühlskalt sind.

Nivea scheint kaum auf die Worte des Königs zu achten, sie nimmt sich stattdessen ein Brötchen und schneidet es auf. Dabei geht sie so konzentriert vor, als befinde sie sich in einer Operation.

Ihr Zofen haben sie heute in ein Türkises Kleid mit Rankenmuster gekleidet, dessen Träger wie dünne Blattstiele aussehen.

Ich mag keine Ahnung von Stoffarten oder Frisuren haben, doch ich weiß, wann es den Zofen gelingt das Beste aus ihren Kandidatinnen heraus zu holen. Wann sich Charakter und Aussehen treffen, als würden zwei Ozeane aufeinander prallen.

Das Ergebnis ist heftig, es unterstreicht die immer da gewesenen Züge und verleiht ihr eine Schönheit, die nur als natürlich die höchsten Stufen der Wertschätzung erreichen kann.

Ich könnte Nivea in diesem Kleid noch ewig anstarren, meinen Blick langsam über ihren Körper wandern lassen, um jedes noch so kleine Detail in mich aufzunehmen. Sie ahnt ja gar nicht, was dieser Aufzug mit mir macht.

Ich schlucke schwer und erinnere mich an die mahnenden Worte meines Vaters. Lass die Finger von ihr, hörst du? Sie bedeutet nur Schwierigkeiten. Doch was, wenn ich genau diese entschlüsseln will? Wenn Schwierigkeiten mich viel mehr begeistern, als es Anstand und Aufrichtigkeit je könnten?

„Was ist?“, fragt sie plötzlich. Schaut mich misstrauisch an, als hätte sie einen Teil meiner Gedanken erraten.

Ich lehne mich zurück und verschränke die Arme vor dem Oberkörper. Meine Muskeln spannen sich, so auch die an meinem Rücken.

Die Wunden sind nach der Prüfung aufgerissen und mussten neu genäht werden, doch dank einer Salbe von Dr. Stone halten sich die Schmerzen in Grenzen.

„Was soll sein?“

Sie legt ihr Messer weg und greift nach dem Glas Honig, dass rechts von ihr steht. Es ist der reine Wahnsinn, dass die Tische sich immer noch unter dem Essen biegen. Die Anzahl der Teilnehmer der Selection hat sich längst mehr als halbiert, und trotzdem tat diese Tatsache der Menge keinen Abbruch.

Im Gegenteil – jeden Tag scheinen die Speisen exquisiter und ausgefallener zu werden.

„Du siehst aus, als würdest du auf mich losgehen wollen. Ein Teil von mir versteht das sogar – aber ich finde, das wäre etwas unangemessen. Im Speisesaal.“

Oh Gott. Sie hat ja keinen Schimmer, was diese Worte mit mir machen. Meine Mundwinkel verziehen sich zu einem Grinsen, denn so falsch liegt sie gar nicht. Nur, dass ich andere Gründe hätte, mich auf sie zu stürzen.

„Das bildest du dir ein. Wie so oft. Soll ich dir einen Termin bei meiner Therapeutin machen?“

Überrascht von meiner ungezwungenen Antwort lächelt sie. Hält den Löffel mit Honig über ihre Brötchenhälften und sieht dabei zu, wie das flüssige Gold sich darüber ergießt. Mir ist nicht entgangen, dass Nivea Süßes bevorzugt.

 Selection - Futuria Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt