115. Kapitel - Nivea (Dienstag)

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Nivea


Nach Kadens gestriger Bitte habe ich damit gerechnet, dass er heute auf mich zukommen würde. Ich habe es sogar gehofft. Auch wenn ich eigentlich nachgeben sollte und es mir nicht schwerer machen, als die Situation schon ist - ich konnte nicht absagen.

Als ich gestern Abend eingeschlafen bin, zögerte sich dies noch ewig hinaus. Ich war so aufgeregt bei dem Gedanken, den Tag mit Kaden zu verbringen, dass ich nicht müde wurde. Janine war darüber reichlich verstört, denn seit meiner Ankunft habe ich mich noch nie auf einen Dienstag gefreut.

Auf einen Date-Tag.

Selbst ein Tee mit Honig und das Lavendelkissen haben nicht gewirkt, obwohl es die extra für solche Fälle gibt. Irgendwann haben meine Zofen aufgegeben und mich allein gelassen, mit einem wirren Gemurmel über Augenringe und strapazierte Nerven.

Gegen meinen Willen haben sich verschiedenste Fantasien gebildet – wie wir unser Date in der Bibliothek verbringen, zum Beispiel. Ganz zurück gezogen und in Ruhe, so, wie wir es am liebsten mögen.

Oder einen Reitausflug, den hätte ich auch gerne unternommen. Schon klar, letztes Mal war eine Katastrophe. Aber seit der Prüfung am Donnerstag weiß ich, dass ich auf Kaden zählen kann. Vielleicht sogar mehr als auf Henry.

Mit einem Lächeln einzuschlafen und damit wieder aufzuwachen, ist selten. So selten, dass es sich heute Morgen unwirklich angefühlt hat, in den Spiegel zu sehen.

Denn ganz ehrlich, bin das wirklich ich?

Dieses Mädchen, das so gesund und fröhlich aussieht. Mit hellblondem Haar, dass so herrlich nach Mangos duftet. Strahlend blauen Augen, die einem wolkenlosen Himmeln gleichen. Und mit Lippen, die sogar ohne Gloss zu glänzen scheinen.

Schon klar, ich übertreibe. Doch es gibt diese Handvoll perfekter Momente im Leben, in denen einfach alles stimmt. In denen sich alles richtig anfühlt. Und dieser Spiegel-Moment war einer von ihnen.

All das sind nur Äußerlichkeiten, auf die ich in Medea nie geachtet habe. Damals dachte ich, mein Aussehen wäre unwichtig. Es war mir egal, denn auf was kam es anderes an, als zu überleben? Und nicht nur zu überleben, sondern auch in Frieden zu leben.

Vielleicht habe ich nur vergessen, wie es sich anfühlt, etwas für sich selbst zu tun. Für sich zu sorgen, indem man auf seine innere Stimme hört und sich mit seinen Wünschen auseinander setzt.

Viel zu lange habe ich unterdrückt, was ich wirklich will. Frei zu sein. Im Palast ist mir das nicht möglich, denn ich lebe eine Lüge.

Aber zuhause, in Crowheart, da war ich auch nie wirklich ich. Dort habe ich nur versucht, für meine Schwester da zu sein.
Sie richtig zu erziehen, so wie ich dachte, dass es sich gehört. Dabei bin ich in eine Rolle gerutscht, die ich nie haben wollte. Weit weg von meiner eigentlichen, als Schwester.

Ich frage mich, wann wir das letzte Mal zusammen etwas unternommen haben.

Etwas, dass uns beiden Spaß gemacht hat. Und wenn es bloß ein Spaziergang über den Markt gewesen wäre. Wenigstens wüsste Halo dann, dass ich sie liebe. Dass ich sie nicht mit der Lernerei bestrafen wollte, sondern mich um sie gesorgt habe.

Ich wollte, dass sich für sie Chancen eröffnen. Und wenn sie bloß irgendwann in einer Verwaltung gearbeitet hätte – es wäre nicht nichts. Selbst als ich beschlossen habe, mich der Rebellion anzuschließen, wollte ich nicht verstehen, dass das Leben mehr bietet.

Dass ein Job nicht alles ist, und es in Wahrheit auf dich selbst ankommt. Man muss zuerst glücklich und ins reine mit sich selbst kommen, um zu verstehen, wohin man wirklich kommen will. Und ich habe es endlich verstanden.

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