Zwölf

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Jane war nicht wirklich klar, weshalb sie das gerade getan hatte. Einer wildfremden Abiturientin einen Praktikumsplatz anbieten? Nach allem, was sie über das Mädchen wusste, konnte es eine Problemschülerin ohne jedes Pflichtbewusstsein sein. Jane schüttelte den Kopf über ihr impulsives Verhalten. Was hatte sie da bloß geritten? Max hatte sich gegenüber zwanzig andere Bewerber durchsetzten müssen. Er war einer der Jahrgangsbesten, ehrgeizig, arbeitseifrig und hatte das nötige Talent. Wodurch sollte sie es rechtfertigen Zora einfach so die gleiche Möglichkeit zu bieten? Irgendetwas hatte dieses Mädchen, vermutlich musste sie sich einfach auf ihr Baugefühl verlassen. Zugesagt war zugesagt und ihr Bauchgefühl hatte sie bisher noch nicht getrügt.

Nachdem sie ihrer Mutter einen letzten Besuch, der gänzlich ereignislos und bedrückend gewesen war, abgestattet hatte, fuhr Jane direkt wieder nach Düsseldorf. Schließlich gab es dort zweieinhalb Tage Arbeit nachzuholen und morgen früh hatte sie Tennistraining. Jane fuhr gar nicht erst zu ihrer Wohnung, sondern begab sich auf dem direkten Weg ins Büro. Dort kümmerte sie sich zunächst um ihr Mailpostfach und ging anschließend einige Entwürfe durch, die noch von ihr abgesegnet werden mussten. Als sie mit der Hälfte der Entwürfe durch war, warf sie einen Blick auf die Uhr. Schon halb acht. Sie war seit über sechs Stunden hier, und das an einem Samstag. Außerdem hatte sie seit ihrem Frühstück um kurz nach sechs, das aus einer Schale Müsli und einer Banane bestanden hatte nichts mehr gegessen. Jane streckte sich einmal und griff nach dem Telefon. Die Nummer des Sushi-Restaurants kannte sie längst auswendig. Nachdem sie ihre Bestellung aufgegeben hatte räumte sie ihren Schreibtisch auf, schloss das Fenster, löschte alle Lichter und verließ das Büro. Sie ging 500 Meter die Straße hinunter und dann in die kleine Seitengasse, in dem das Restaurant lag. Schon als sie das Restaurant betrat und noch nicht einmal ganz durch die Tür war, wurde sie vom Kellner begrüßt: „Ah, Frau Neuhäuser, guten Abend."

Das kleine Lokal war zum bersten gefüllt, dennoch konnte Jane es innerhalb von knapp zwei Minuten mit ihrer Tüte voller Sushi in der Hand wieder verlassen. So war es immer, sie hatte oberste Priorität und wurde sofort bedient, schließlich war sie Stammkundin. Wenn man seit über zwei Jahren drei bis fünf Mal pro Woche in einem Restaurant aß, konnte man einen gewissen Service erwarten. Vermutlich hatte Jane die halbe Inneneinrichtung finanziert. An ihrem Auto angekommen stellte sie die Tüte auf ihren Beifahrersitz, schnallte sich an, steckte den Schlüssel ins Zündschloss und fuhr los. In ihrer Wohnung setzte sich sich an den Esstisch, begann zu Essen und nahm ein Wirtschaftsmagazin zur Hand. Doch ihr Blick wanderte zu der modernen Küche mit Kochinsel und Granitplatten. Das 50.000,- teure Designerstück sah aus wie neu und war es auch. Abgesehen von Kaffeemaschine und Mikrowelle war sie nahezu gänzlich unbenutzt. Jane konnte nicht Kochen und hatte auch nie einen tieferen Sinn darin gesehen sich in die Küche zu stellen. Sie lebte im 21. Jahrhundert. Wozu gab es Lieferservice denn sonst?

fragile (GirlxGirl)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt