fragile (GirlxGirl)

Neunzig

Am Sonntagabend hatten sie telefoniert, wie schon die Abende davor. Über ihren Geschichtsstoff für die Prüfung waren sie durch verschiedene Regierungssitze über die Jahrhunderte irgendwie bei Burgen gelandet. Als Zora dann zugegeben hatte, dass sie noch nie in, bzw. auf einer Burg gewesen war, hatte Jane sie zur Kulturbanausin erklärt. Zora hatte sich dann verteidigt, dass sie ja noch einige Jahre hätte, um das nachzuholen, und dass sie das auch unbedingt tun wollte. Woraufhin Jane dann zugesichert hatte, dass sie diese Bildungslücke bei Zora schließen würde.

Zora hatte das nur für so daher gesagt gehalten, doch dann hatte Jane am Dienstag vor der Schule gestanden. Gefolgt war ein super-romantisches Date, dass Zora sich nie so grandios hätte ausmalen können. Zora konnte es kaum erwarten Jane übermorgen wieder zu sehen. Sie hatte heute Nachmittag schon das Amy Winehouse Album aufgelegt, um sich wieder zu der Autofahrt zurück zu versetzten, was leicht grotesk war, schließlich war 'Back to Black' alles andere, als ein glückliches Album.

Der Dienstag war einfach perfekt gewesen. Jane war unglaublich intelligent, hatte schon so viel erlebt, dass jedes Gespräch immer faszinierend und tiefgründig war. Obwohl sie zugegebenermaßen auch einige Zeit über Game of Thrones und verschiedene Filme gesprochen hatten, nicht nur über tiefgreifende, weltbewegende Themen. Andererseits ließ sich sicherlich auch argumentieren, dass Game of Thrones die Welt momentan mehr bewegte als alles andere. Wobei Jane ihr vermutlich auch von ihrer Steuererklärung oder dem Hausputz berichten könnte, und Zora wäre immer noch hin und weg. Nur konnte sie das schlecht Liv erzählen. Doch als sie wieder zu ihrer besten Freundin aufblickte hatte diese ein viel zu wissendes Grinsen im Gesicht. „Soll ich dieses 'verzauberte ins Nichts starren' jetzt einfach für mich selbst interpretieren?"

Offensichtlich war Zoras kurzer mentaler Rückblick nicht ganz so kurz gewesen, wie sie gedacht hatte. „Wir...", setzte sie zu einer Antwort an, brach dann jedoch wieder ab. Was sollte sie schon groß sagen? Egal wie sie es formulierte klänge es zu sehr nach dem, was es gewesen war. Einem Date. Mit einer Frau. Die sehr viel älter war.

Glücklicherweise beantwortete Liv sich ihre Frage selbst und zeigte dabei mehr Taktgefühl, als Zora vor allem im angetrunkenen Zustand von ihr erwartet hatte. „Gut, ich stelle dann einfach mal fest, dass du eine halbe Woche bei ihr gewohnt hast, dann spontan noch einen Tag länger geblieben bist, um mit ihr auf eine Party zu gehen und sie überrascht dich nach der Schule einfach so, ohne besonderen Anlass, mit einem Ausflug. Dazu kommt, dass du völlig freiwillig direkt nach dem Abi ein zweimonatiges Praktikum hinterher schiebst. Ich meine du interessierst dich da ja wirklich für, aber praktischerweise bist du dadurch für die nächsten Wochen in Düsseldorf. Außerdem sitzt du hier mit diesem Gesichtsausdruck, als wäre die ganze Welt aus Zuckerwatte, dabei können wir mehr als die Hälfte der Leute aus diesem Kurs auf den Tod nicht ausstehen."