Einundsechzig

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Sie blieben dann bis ca. halb zwei und Jane hatte seit langem mal wieder Spaß auf einer Party. Es hatte sich als grandiose Idee entpuppt Zora mitzunehmen, da diese sich problemlos in das Gästebild einfügte. Außerdem hatte sie an diesem Abend einige hilfreiche Kontakte geschlossen, die ihr vielleicht sogar zu einem Stipendium verhelfen würden.

Rupert war wahrlich der perfekte Gastgeber und durch und durch ein Gentleman. Er war intelligent und besaß dabei einen Sinn für Humor. Jane hatte ihm am Ende des Abend sogar ihre private Handynummer gegeben. Es war von einem Abendessen die Rede gewesen. Im Taxi erinnerte sie sich an die Heimfahrt nach der Ausstellungseröffnung mit Rupert. Damals hatte sie Zora im angetrunkenen Zustand eine Mail geschrieben. Dieses Mal saß das Mädchen neben ihr. Wer hätte das gedacht? Sie mit Sicherheit nicht.

„So, was ist dein Fazit des Abends?", sprach sie Zora an, während das Taxi losfuhr und Ruperts Anwesen im Rückspiegel immer kleiner wurde. Zora schüttelte scheinbar ungläubig den Kopf, bevor sie antwortete: „Grandios. Total surreal, aber grandios." Jane nickte. „Jah, das Haus ist wirklich toll. Ich war ja auch zum ersten Mal hier und selbst für mich war das... Das nennt sich wohl Luxus. Diese Gartenanlage, oder eher fast schon Parkanlage. Einfach traumhaft.", „Das meinte ich nicht.", widersprach Zora ihr. „Also klar, das ist alles echt beeindrucken, aber ich fand die Gespräche der Leute noch viel krasser. Ich meine die Investitionssummen, die da diskutiert werden. Über wie viel Geld da ein Einzelner mal eben willkürlich entscheiden kann, das ist doch der totale Wahnsinn. Aus einer Laune heraus mal eben ein paar Millionen von A nach B schieben, einfach weil man es kann. Da hängen Arbeitsplätze dran, ganze Existenzen, Familien, hunderte Menschen und über deren Schicksal verfügt so ein Investor dann mal eben. Das ist doch das eigentlich verrückte." Okay, das war nun wirklich keine Aussage, die man von einer 19-jährigen erwartete. Jane war ein weiteres Mal verblüfft, im positiven Sinne.

Zora sah direkt vollkommen rücksichtslos hinter die glamouröse Fassade. Jane war ja schon auf der Party aufgegangen, dass Zora durchaus ein Verständnis von Wirtschaftsabläufen hatte. Es war fast schon grotesk gewesen, wie dieser Teenager sich da einfach so in einige von Ruperts Gesprächen eingeklinkt hatte und das konstruktiv. Aber diese Aussage sprengte irgendwo nochmal den Rahmen. Diese Schlüsse zog so manche Millionärsgattin ihr Leben lang nicht, während sie Tag ein Tag aus Designerhandtaschen shoppte. Sicherlich, viele verdrängten die Realität auch einfach, aber bei einigen, die Jane so im Laufe der Jahre kennengelernt hatte, war sie sich sicher, dass sie einfach nicht die kognitiven Kompetenzen besaßen, um derartige Überlegungen anzustellen, trotz Universitätsabschluss und angeblicher Weltgewandtheit. Zora hingegen hatte diese Gedankengänge beiläufig angetrunken in einem Taxi, um zwei Uhr nachts. Jane mochte das Mädchen wirklich.

fragile (GirlxGirl)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt