Einhundertfünfzehn

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Es war ja auch ziemlich armselig, dass dieser jemand, mit dem sie sich traf, von dem sie noch vor weniger als 24 Stunden in den höchsten Tönen gesprochen hatte, von Gemeinsamkeiten und Neuanfang, es scheinbar gar nicht so ernst meinte. Jane warf einen Blick auf ihr Handy. Sie hatten sich vor dem Bistro ziemlich flüchtig verabschiedet und seitdem hatte Zora sich auch noch nicht gemeldet.

Bevor sie noch weiter durchdrehte stellte sie den Flugmodus ein und verstaute ihr Smartphone wieder. Im Flieger holte sie dann ihr Buch hervor. Auf solchen Kurzstreckenflügen lohnte es sich kaum zu arbeiten und für das morgige Meeting vorbereiten konnte sie sich auch nicht wirklich, schließlich hatten sie ihren Entwurf längst vorgestellt. Jetzt musste erst einmal der Kunde reagieren und weitere Wünsche formulieren. Somit konnte sie die knappe Stunde zum Lesen nutzen. Sie starrte auf das Cover. „Das Schicksal ist ein mieser Verräter" - John Green. Das war eine Empfehlung von Zora und Liv gewesen. Also primär von Liv, und Jane besaß das Buch auch schon seit mindestens zwei Jahren. Ein Geschenk von Gott weiß wem. Sie waren durch die Ausstellung und die Krebsthematik darauf zu sprechen gekommen. Eingepackt hatte sie es heute aber nur dank Zora.

Verärgert drehte sie das Buch um, einfach um den Titel nicht mehr vor Augen zu haben. Sie kramte nach ihren Kopfhörern und öffnete Spotify, ging zu zuletzt gehört. „Cheek to Cheek", das Jazzalbum von Lady Gaga in Kollaboration mit Tony Bennett. Das Album hatte sie sich erst nach einer Unterhaltung mit Zora im Zuge des Jazzkonzerts überhaupt näher angeschaut. Soviel dazu. Jane schloss die Augen und nahm einen tiefen Atemzug. Was war nur los mit ihr? Sie war völlig aus dem Konzept gebracht worden, war unfähig sich zu fokussieren. Um sich zu entspannen massierte sie sich die Oberschenkel. Nachdem das auch nichts brachte holte sie schließlich doch ihren Laptop hervor, um das geplante Projekt noch einmal zu überfliegen, zumindest würde sie das ablenken.

Das Meeting am nächsten Morgen war anstrengend und langwierig, aber vielversprechender, als Jane zu hoffen gewagt hätte. Die Auftraggeber wollten sich noch weiter beraten und dann war ein erneutes Treffen für den Dienstagnachmittag angesetzt. Zum Abendessen gingen Lina und Jane ins an das Hotel angeschlossene Restaurant. „Na das lief doch besser als gedacht." Da musste Jane Lina zustimmen. Dafür, dass sie dieses Projekt schon längst abgeschrieben hatten, sah das Ganze momentan verdammt gut aus. Es lief scheinbar einfach.

Als Jane sich so jung selbstständig gemacht hatte, hatten sie viele für größenwahnsinnig und verrückt erklärt. Und es war auch wirklich schwierig gewesen. Mehr als einmal war sie ziemlich versucht gewesen alles hinzuschmeißen, aufzugeben. Vielleicht diente es einfach dazu die Balance zu halten, dass sie nun hier in diesem völlig überteuerten Restaurant mit zu kleinen Portionen saß und mit sich haderte, ob sie ihren Nachrichtendienst öffnen sollte.

fragile (GirlxGirl)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt