Eins

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Jane war gerade dabei ihre Unterlagen für das morgige Meeting noch einmal durchzugehen. Es ging um einen Anbau an das hiesige Stadtmuseum. Ihr Konzept stand zwar seit zwei Wochen fix, aber sie konnte es dennoch nicht unterlassen die Präsentation ein letztes Mal gegen zu lesen. Aus finanzieller Sicht war das Ganze zwar keine riesige Sache, aber wenn sie sich diesen Auftrag holten, wäre das einer gratis Marketingkampagne gleichzusetzen. Selbst überregionale Zeitungen, vermutlich sogar das Fernsehen würden über diesen An- und Umbau berichten. Wenn sie gute Arbeit leisteten, wäre das der nächste Schritt in Richtung des ganz großen Durchbruchs. Ihre besten Leute hatten das Konzept monatelang unter ihren strengen Augen ausgearbeitet. Jane war eine Perfektionistin durch und durch, somit vermutlich manchmal eine ziemlich verhasste Chefin, aber der Erfolg gab ihr Recht. Schon während des Studiums hatte sie zahlreiche Praktika bei den verschiedensten Architekturbüros weltweit gemacht. Anschließend hatte sie zwei Jahre in einem renommierten Büro in Manhatten gearbeitet und als Assistentin unter anderem bei einigen Wolkenkratzern in Abu Dhabi mitgewirkt. Dann war sie nach Deutschland zurück gekehrt um sich selbstständig zu machen.

Mittlerweile war aus ihrem ein-Zimmer-Büro ein angesehenes Architekturbüro mit über 30 Mitarbeitern geworden. Die eleganten und modernen Räumlichkeiten erstreckten sich über zwei Etagen und befanden sich in der besten Lage im Stadtzentrum Düsseldorfs, direkt an der Kö. Sie zählten zu der Elite Deutschlands, waren ein junges, innovatives Team, voller motivierter, junger Köpfe. In den letzten Jahren hatten sie sukzessive begonnen sich an den internationalen Markt heranzutasten.

Zusammengefasst gesagt: Janes Karriere verlief perfekt. Das war aber auch wichtig, denn ihre Karriere war ihr ein und alles.

Der Entwurf für den neuen Flügel des Stadtmusems war wirklich gut. Das befand Jane keineswegs nur, weil es ein von ihr geleitetes Konzept war. Im Gegenteil, sie war selbst ihre größte Kritikerin. Aber die assymetrischen, individuell angepassten Ebenen, die doch ein harmonisches und stimmiges Bild ergaben waren einfach grandios. Lina hatte die Idee gehabt sich von der Vorstellung einer zentralen Treppe zu lösen und die Ebenen einzeln anzugehen; und sie hatte Recht gehabt. Mit kritischem Blick drehte Jane das vor ihr stehende Modell. Ihr Entwurf würde morgen ziemlich wahrscheinlich einer der teuersten, von den vorgestellten sein, wenn nicht gar mit Abstand der Teuerste. Aber Düsseldorf war Landeshauptstadt und darauf bildete sich vor allem ihr Bürgermeister einiges ein. Somit durfte ihr Stadtmuseum auch nicht aussehen, wie das einer x-beliebigen Stadt. Nein, es musste außergewöhnlich und beispiellos sein, in Erinnerung bleiben. Auch wenn das Ganze deutlich übertrieben, oder eher maßlos war, so war der Kunde doch König und ihr Kunde war hierbei letzten Endes das übersteigerte Geltungsbewusstsein des Herrn Oberbürgermeisters.

Man konnte ihr natürlich vorwerfen, dass sie nicht im Sinne der Bürger und Steuerzahler agierte, aber Jane war Geschäftsfrau. Die Welt war nun einmal nicht gerecht und am Ende war doch jeder Mensch egoistisch und auf den eigenen Vorteil bedacht. Sie spielte nur mit der Wirtschaft mit.

Währen sie so ihren Gedanken nachhing klopfte es verhalten an der Tür. Das konnte nur Max, ihr neuer Praktikant sein. Es war bereits kurz nach acht. Sowohl ihre Assistentin, als auch ihr Sekretärin waren schon lange gegangen . Max hatte heute erst seinen dritten Tag und war noch voll motiviert sie jeden Arbeitstag durchgehend zu begleiten, alles mitzumachen und das Büro erst zu verlassen, wenn sie es tat. Das waren sie am Anfang alle, doch nach einer gewissen Zeit gaben sie auch alle wieder auf, um noch irgendeine Art von Privatleben zu führen. Einige früher, andere später. Sicherlich arbeiteten ihre Kollegen hart, sehr hart sogar. Ihr Team bestand nur aus exzellenten, ambitionierten Leuten.

Doch Jane lebte für ihre Arbeit. Wenn sie zehn Stunden im Büro verbrachte, dann war das ein kurzer Arbeitstag für sie.

Die Tür wurde zaghaft geöffnet und Max Kopf lugte langsam herein. „Du bist ja immer noch hier. Ich habe dir doch gesagt, dass du nach Hause gehen sollst. Hier gibt es nichts mehr für dich zu tun und du hast doch sicher noch etwas vor.", ermutigte Jane ihn zum gehen. Denn so gerne sie ihre Mitarbeiter auch hatte, so liebte sie es doch abends ihre Ruhe zu haben.

Das Wissen alleine im Büro, wenn nicht sogar im Gebäude zu sein und die einfache Tatsache, dass für die nächsten paar Stunden niemand etwas von ihr wollte, waren durch nichts zu ersetzen. So sehr sie es auch liebte Chefin zu sein und gebraucht zu werden, genoss sie es dennoch einmal niemandem Rede und Antwort stehen zu müssen.

„Nein, nein, ich bleibe noch. Wofür bin ich denn sonst hier? Das mache ich doch gerne.", kam es sofort zurück. Dann stockte er aber. „Ich weiß, dass ich keine Anrufe zu ihnen durchstellen soll, da sie sich auf die Präsentation morgen vorbereiten..." Max war sichtlich unwohl zu Mute. Er war mittlerweile halb in den Raum hereingetreten und fummelte fahrig an seinem Krawattenknoten herum. Seine Augen schweiften nervös durch den Raum.

Kein Wunder, an seinem dritten Tag handelte man ungern gegen die Anweisungen seiner Chefin; und Max war noch jung. Anfang zwanzig, gerade im fünften Semester. Da wurde auch ein sonst vermutlich selbstsicherer Mann schon mal schüchtern.

„Ach komm schon, spuck's aus, ich werde dir wohl kaum den Kopf abreißen.",erwiderte Jane mit einem aufmunternden Lächeln, auch wenn sie alles andere als erfreut über die Störung war. Es gab um diese Uhrzeit mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit keine Anruf mehr, der es Wert war entgegen genommen zu werden. Für Geschäftliches war es zu spät und sie hatte kein nennenswertes Privatleben.

„Der Anruf kam aus einem Krankenhaus in Lüdenscheid. Ihr Vater hatte einen Unfall. Er ist wohl im Garten gestürzt."

fragile (GirlxGirl)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt