Jane löste die Umarmung halb, ließ ihre Arme jedoch auf Zoras Hüften liegen, während sie dieser ins Gesicht sah. „Ich habe dich wie das letzte Arschloch sitzen lassen. Also muss ich mich entschuldigen! Mir tut es leid!" Zora schüttelte erneut den Kopf. „Nein, du hattest ja recht. Also nicht mit Andy, aber dass ich mich ihm gegenüber hätte klarer verhalten sollen. Habe ich jetzt auch...",
„Hey – hey.", unterbrach Jane sie und verschloss ihren Mund mit ihrem Zeigefinger. „Das mag ja alles sein, aber ich habe trotzdem überreagiert. Ich hätte nicht einfach abhauen dürfen. Vor allem nicht bevor du die Chance hattest dich zu erklären. Ich habe einfach meine eigenen Schlüsse gezogen, ohne dich anzuhören. Also muss ich mich entschuldigen."
Die Wahrheit war nämlich, dass Jane schlichtweg überfordert gewesen war, ihr war die Kontrolle entglitten, sie war nicht mehr souveräner Herr der Lage gewesen und hatte sich deshalb verschlossen, war geflüchtet. Sie hatte sich über die Jahre so sehr an ihre Unabhängigkeit und Eigenständigkeit gewöhnt, dass dieses kleine Missverständnis sie schon völlig aus der Bahn geworfen hatte. Der Grund für ihre heftige Reaktion war ihr dann spätestens am Vorabend wirklich klar geworden.
Jane war dabei sich das erste Mal richtig auf jemanden einzulassen und das war nun einmal angsteinflößend. Gruseliger und überwältigender als die Verantwortung für ein noch so komplexes Millionengeschäft. Sie war es gewohnt am längeren Hebel zu sitzen, hatte jeden Streit, jede Unannehmlichkeit immer ausgesessen, hatte ihre Rationalität siegen lassen. Jane war sich immer bewusst gewesen, dass sie im Zweifelsfall einfach gehen könnte, jemanden neues finden würde.
Doch bei Zora war jede Ausgeglichenheit und Coolnes verschwunden. Sie wollte niemanden anders, sondern Zora. Das Mädchen passte nicht einfach nur was irgendwelche willkürlichen Parameter anging, im Gegenteil gerade das tat sie nicht. Sie ging Jane unter die Haut. Das war völliges Neuland. Hatte sie vor einem Vierteljahr noch die Kraft im Alleinsein und der Ruhe gefunden, war sie gestern Abend völlig am Ende gewesen. Sie hatte alleine in ihrer Wohnung gesessen, war wie manisch durch die Räume gewandert, um anschließend stundenlang wach in ihrem Bett zu liegen.
Sie war einsam. Eine Empfindung, die ihr völlig fremd war. Man hätte sie mitten in eine Menschenmenge stellen könne und es wäre ihr keinen Deut besser gegangen. Ihr fehlte Zora, jede Faser ihres Körpers hatte sie vermisst. Dementsprechend war in diesem Moment auch jede Faser ihres Körpers wie aufgeladen, elektrisiert. Langsam löste sie ihren Finger von Zoras samtig weichen Lippen und blickte weiter gebannt in die dunklen Augen. Zora unterbrach den Augenkontakt jedoch sofort wieder, indem sie die wenigen Zentimeter zwischen ihnen überwand, um Jane wieder fest in ihre Arme zu ziehen.
„Okay, aber das könne wir ja jetzt nachholen. Außerdem hattest du wirklich recht. Das mit Andy war blöd von mir. Ich habe ihm aber gerade klipp und klar gesagt, dass er keinen Tanz bekommt. Nicht den ersten und auch sonst keinen.", flüsterte sie Jane ins Ohr. Diese war dabei die Umarmung voll auszukosten, mit allem was sie hatte wahrzunehmen. „Du siehst übrigens umwerfend aus, falls dir das noch niemand gesagt hat. Absolut bezaubernd, und außerdem hättest du das Recht noch Wochen auf mich sauer zu sein.", erwiderte sie zynisch, um dann erneut von Zora überrascht zu werden, als diese übergangslos und stürmisch ihre Lippen auf ihre presste. „Später.", murmelte sie nur noch an Janes Mund.
Damit hatte Jane definitiv nicht gerechnet. Sie standen zwar außerhalb der Sichtweite sämtlicher Gäste, soweit Jane das in der Dunkelheit absehen konnte, dennoch könnte sie jeden Moment jemand überraschen. Bevor sie sich völlig in dem Kuss vergaß löste sie sich wieder von Zora. „Sicher, dass du schon soweit bist?" Jane umfasste Zoras Gesicht mit ihrer rechten Hand und erklärte sich dann schnell, bevor sie den Eindruck vermittelte sich verstecken zu wollen. „Mir ist egal wer uns sieht. Ich will nur nicht, dass du dich zu irgendetwas gedrängt fühlst. Du muss das mit uns nicht anfangen rumzuposaunen, um es mir recht zu machen. Wir können damit warten. So lange wie du willst, ehrlich." Sie fuhr mit dem Daumen über Zoras Wange. Diese strahlte sie an.
„Dann wäre es aber legitim das mit uns rumzuposaunen?", schlussfolgerte Zora. Jane grinste zurück. „Naja, wenn du mich noch willst.", „So schnell wirst du mich nicht los.", raunte Zora ihr ins Ohr, um ihr dann noch einen kurzen Kuss zu geben. „Hier draußen sieht uns schon keiner. Und selbst wenn hinterfragt das am Abend des Abiballs doch sowieso niemand. Außerdem ist es mir für heute auch egal.", setzte Zora noch hinterher, als sie Janes besorgten Gesichtsausdruck wahrnahm.
DU LIEST GERADE
fragile (GirlxGirl)
RomanceIhr erstes Aufeinandertreffen ist denkbar belanglos und doch hinterlässt die Abiturientin Zora einen bleibenden Eindruck bei der angesehenen Architektin Jane, der diese bald zwingt ihre fundamentalen Grundsätze zu hinterfragen. Cover by @writersfate