Einhundertachtzehn

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Dahin war es also mit ihrer diplomatische Haltung; sie war aufgebracht, wütend und klang nun vermutlich ebenfalls angreifend. „Ich habe überhaupt gar nichts geplant. Du kannst mich doch nicht für die Absichten und Vermutungen anderer Menschen verantwortlich machen. Außerdem, selbst wenn ich gewillt wäre die Wahrheit zu sagen, haben wir noch gar nicht besprochen was wir sind, und dazu etwas öffentlich zu machen gehören immer zwei." Jetzt wurde Janes Blick völlig kalt. „Es gibt einen Unterschied zwischen Zurückhaltung und Vertuschung. Es tut mir leid, aber ich habe keine Zeit für eine Beziehung, die auf Verschwiegenheit und Halbwahrheiten basiert. Ich hatte wirklich gehofft wir würden das Gleiche wollen." Sie schüttelte enttäuscht den Kopf, dann lachte sie zynisch auf, die Miene immer noch eiskalt. „Und ich hatte schon überlegt dir einen Schlüssel für meine Wohnung nachmachen zu lassen." Sie schüttelte erneut den Kopf und ihre Stimme wurde minimal weicher. „Ich hoffe wirklich für dich, dass du dich findest und es schaffst offener mit deinem Umfeld umzugehen."

Zoras Kinnlade klappte buchstäblich nach unten. Doch da hatte Jane sich schon erhoben und war auf halbem Weg zur Tür heraus. Sie wollte aufspringen und ihr hinterher laufen, sie aufhalten, aber Zora bewegte sich keinen Millimeter.

'Schlüssel für meine Wohnung'.

Sie hatte noch eine gute halbe Stunde reglos auf diesem Stuhl gesessen. Dann war sie irgendwie wieder aufgestanden, hatte die beiden erkalteten Kaffee entsorgt, war heim gefahren und lag nun auf ihrem Bett in der Dunkelheit. Im Nachhinein kam Zora sich wie der letzte Arsch vor. Sicherlich war sie immer noch nicht völlig im Unrecht, aber jetzt, wo sie Janes Standpunkt kannte, wirkte ihre Argumentation sehr lahm, armselig und kindisch. 'Beziehung', 'Schlüssel für meine Wohnung'. Sie hatte ja nie zu träumen gewagt, dass Jane es tatsächlich derart ernst meinte. Gemeint hatte.

Dabei war sie doch nur Zora, eine normale, unbedeutende Abiturientin ohne Plan vom Leben, während Jane diese durch und durch perfekte Erscheinung war. Somit erschien es nur logisch, dass Zora das ganz offensichtlich ruiniert hatte.

Sie fühlte sich leer und unfassbar traurig. In einem panischen Anflug hätte sie Jane fast angerufen, ließ es dann im letzten Moment aber doch bleiben. Jane war schon seit Sonntag extrem kurz angebunden gewesen, hatte zwischenzeitlich einen ganzen Tag nicht geantwortet und hatte sie gerade im buchstäblichen Sinne einfach sitzen lassen. Das war ziemlich eindeutig. So zerstört und am Boden Zora auch war, sie würde niemandem hinterher laufen. Selbst einer Jane Neuhäuser nicht. Denn auch wenn sie Janes Position nachvollziehen konnte, hätten sie zumindest ruhig über die Gegebenheiten reden sollen, anstatt sich direkt völlig aus dem Kontext gerissene Vorwürfe zu machen. Gefrustet und traurig fiel sie alsbald erschöpft und übermüdet von den vorherigen schlaflosen Nächten in einen tiefen, traumlosen Schlaf.

Ihr letzter Arbeitstag vor dem verlängerten Wochenende war die Hölle. Sämtliche Kollegen begrüßten sie mit irgendeiner Variante von „Na, freust du dich schon auf den Abiball?". Die Mittagspause wurde dann von einem „Mit welchem glücklichen Herren gehst du da eigentlich hin?" eröffnet. Zora schiffte sich also mit kurz angebundenen Antworten so gut es ging durch den Tag, bis sie schließlich im Zug saß.

Es war kurz nach sechs. Jane saß sicher noch im Büro. Zora verdrehte über ihre eigene Dummheit die Augen. Sie sollte sich auf den Abiball freuen, bzw. erst einmal auf die morgige Zeugnisvergabe. Stattdessen sinnierte sie hier über eine längst abgeschriebene kurze Affäre, die eh nie eine reelle Chance gehabt hatte mehr zu werden. Zuhause angekommen verkrümelte sie sich sofort in ihr Zimmer, ihr war definitiv nicht nach Essen. Bereits um kurz nach acht lag sie abgeschminkt und mit geputzten Zähnen im Pyjama im Bett. Sie wollte einfach nur schlafen, nicht denken, nicht grübeln, nicht fühlen. Aber der Schlaf wollte natürlich nicht kommen. Gestern hatte das vielleicht funktioniert, da sie völlig übermüdet gewesen war, doch jetzt war sie hellwach, meilenweit entfernt vom süßen, erholsamen, todesähnlichen Zustand entfernt. Somit war sie gefangen im Karussell ihrer Gedanken. Die zweite Hälfte des Praktikums schien auf einmal trostlos und kaum zu schaffen.

fragile (GirlxGirl)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt