Siebenundneunzig

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Christian hatte gekocht. Zwar nicht häufig, aber wenn, dann durchaus gut. Zu Beginn ihrer Beziehung hatten sie das noch relativ regelmäßig gemacht. Ganz ähnlich wie jetzt gerade mit Zora hatte Jane dabei mehr im Weg gestanden, als alles andere. Zunächst hatte er noch versucht sie einzubinden, ziemlich schnell hatte Jane dann aber nur noch am Esstisch gesessen und zugesehen oder gearbeitet. Meistens hatte sie gearbeitet. Und dann war diese 'gemeinsam Tätigkeit' auch sehr schnell dem Alltagstrott zum Opfer gefallen. Jane hatte das nie gestört.

Doch wie sie jetzt hier mit Zora stand konnte sie zum ersten mal nachvollziehen, was Christian dazu bewegt hatte überhaupt mit ihr gemeinsam Kochen zu wollen. Es machte Spaß, erzeugte Verbundenheit, man erfreute sich an den kleinen Dingen des Lebens. Es hatte etwas beruhigendes, fast schon meditatives, Zora in der Küche umherwerkeln zu sehen. „Nein, ich wurde in den letzten zwei Jahren auch in keiner anderen Küche bekocht.", antwortete Jane ausweichend, aber wahrheitsgemäß. Zora kommentierte diese eingeschränkte Formulierung nicht weiter. Jane kam noch ein ganz anderer Gedanke, wie sie Zora da so zusah. Während es ihr völlig irrelevant schien, wer sie in der Vergangenheit bekocht hatte, oder dann eben auch ganz schnell nicht mehr; interessierte es sie doch brennend, ob Zora gerade auch ein Date Déjà-Vu erlebte. Sie war zwar erst 19, aber dennoch war davon auszugehen, dass es auch bei ihr eine Vorgeschichte gab. Relevant war also nicht das ob, sondern viel mehr das wer; und zwar im Sinne von männlich oder weiblich. Darüber hatten sie nämlich noch nicht einmal im Ansatz gesprochen. Jane wusste auch nicht, was sie am liebsten hören wollte. Das Zora am Ende trotz des geringeren Alters mehr Erfahrung vorweisen konnte als Jane und mehrere Exfreundinnen hatte; oder doch lieber einen Exfreund?

Als Zora ihr beim Essen von Liv und Nat erzählte, ihren besten Freunden erzählte, die ja seit kurzem ein Paar waren, sah Jane ihre Chance und sprang ins kalte Wasser: „Gab es bei dir denn auch so grausame Ausrutscher, wie bei Liv?" Zora hatte ihr zuvor davon berichtet, dass Livs bisheriger Männergeschmack eher zu wünschen übrig gelassen hatte. Zoras Blick war starr auf den Teller geheftet. „Naja, nicht wirklich." Dann trank sie einen großen Schluck Wein und nachdem Jane nichts erwiderte fuhr sie fort: „Um ehrlich zu sein ist da wenig, was man ernsthafte Dates nennen könnte. Da war bisher noch niemand, mit dem sich das richtig angefühlt hat." Sie wich Janes Blick dabei definitiv aus und trank dann in einem weiteren Zug ihr Glas leer. „Nicht gerade die coole, hippe, erwachsene Abiturientin, die du dir ausgemalt hast, was?"

Jetzt fand ihr Blick Jane, die diese Tatsache deutlich anders interpretierte und schmunzeln musste. „Ich glaube, dass du erheblich schlauer bist als ich in deinem Alter oder besser gesagt als ich bisher insgesamt. Eine Ehe, die schon am Hochzeitstag zum Scheitern verurteilt war. Äußerst erwachsen!" Sie lachte kalt auf. Zora füllte ihr Glas zu Hälfte auf und schenkte auch Jane nach, rührte ihr Glas dann aber nicht an, sondern griff nach ihrer Gabel und stocherte in den verbliebenen Nudeln herum. „Das sagst du jetzt." Nun war es Jane, die einen Schluck Wein brauchte, bevor sie zu ihrer Antwort ansetzte. „Das wusste ich aber schon nach maximal zwei Monaten. Wir hatten keine gemeinsamen Ziele, keinen wirklichen gemeinsamen Nenner. Ich kann nicht für ihn sprechen; aber mir gefiel einfach nur die Idee. Das hat nach außen hin auch ziemlich lange funktioniert. Wir waren das Power-Couple, beide jung und erfolgreich. Auf dem aufsteigenden Ast nach ganz oben." Sie lachte erneut zynisch.

Zora starrte aus dem Fenster. Die Gabel war ihr fast aus der Hand gerutscht. Sie schien ihre Gedanken zu ordnen. „Dann gab es bei dir..." Sie brach ab, um wieder in den Nudeln rumzustochern. „Du warst immer nur mit..." Und sie wurde tatsächlich ein bisschen rot. „Es gab ein paar Kerle an der Uni, das war aber alles nichts ernstes und dann Christian.", antwortete Jane; wobei 'nichts ernstes' noch untertrieben war. Das waren lediglich ein paar Experimente gewesen, die nie länger als zwei Wochen gedauert hatten. Sie hatte sich von Beginn an voll und ganz auf ihre Karriere konzentriert, hatte sich einfach nie mit Kerlen rumschlagen wollen, zumindest noch nicht so früh und war damit auch immer recht glücklich gewesen. Christian war dann zur richtigen Zeit gekommen und hatte fast schon zu perfekt ins Bild gepasst. Und nun saß sie hier mit einer 19-jähr. Teenagerin und aß Pasta im Kerzenschein. Die Dinge änderten sich eben.

fragile (GirlxGirl)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt