Zora war diesen Abend mit Liv verabredet, sie wollten ins Kino gehen und hinterher vielleicht noch etwas trinken gehen. Außerdem musste Liv ihr von dem gestrigen Abendessen mit dem Typen aus dem Club berichten.
Es klingelte um kurz vor sechs an der Haustür. Nachdem Liv Luna ausgiebig begrüßt hatte, gingen die Beiden in Zoras Zimmer. Liv griff zielsicher die von Zora bereitgelegte Chipstüte vom Schreibtisch und ließ sich aufs Bett fallen. Ihre Hand führte den ersten Chip zum Mund, als sie inne hielt. „Sehe ich da etwa Mascara und Eyeliner?" Liv sah Zora mit großen Augen an. Diese drehte sich verlegen weg und zuckte mit den Schultern. Liv fuhr fort: „Meine Gebete wurden erhört, ich fasse es nicht. Und was hast du denn da an? Ein Kleid?! Ich meine es ist immer noch schwarz, aber ein Kleid? Und du trägst die Haare offen, was habe ich verpasst?" Zora winkte ab. „Es ist doch nur ein Kleid." Liv blickte sie skeptisch an. „Nur ein Kleid? Ich habe dich in den letzten zwei Jahren nicht ein einziges Mal in einem Kleid gesehen, ich wusste gar nicht, dass du so etwas überhaupt besitzt!" Zora verdrehte die Augen. „ Jetzt übertreibst du. Viel relevanter. - Wie war es gestern Abend?", erwiderte sie um das Thema zu wechseln, denn ganz Unrecht hatte Liv nicht.
Zora hatte sich heute Abend das erste mal seit Ewigkeiten, wenn nicht gar das erste Mal überhaupt in diesem Ausmaß, wieder größere Gedanken zu ihrem Outfit gemacht. Irgendetwas an der Architektin, hatte etwas in ihr ausgelöst. Diese perfekte Garderobe und vor allem am Samstag diese unaufgeregte Eleganz. Jane hatte eine scheinbar gottgegebene Stilsicherheit, die man einfach bewundern musste. Eleganter, natürlicher, reifer als Liv. Wie auch immer es zu begründen war, Zora hatte sich inspiriert gefühlt und so stand sie nun hier, in ihrem eng anliegenden schwarzen Kleid. Zudem hatte sie ein wenig Makeup aufgelegt, wobei sie sich allerdings gar nicht erst an Lidschatten versucht hatte. Das war mit ihren Schlupflidern ein vorprogrammiertes Disaster. Trotzdem, so abwegig war es doch auch gar nicht, dass sie sich um ihr Outfit Gedanken machte. Sie war ein Teenager, der Samstagsabends ins Kino und anschließend in eine Kneipe ging, da tat man so etwas. Auch wenn Zora es selbst vermied weiter über ihre tieferen Beweggründe nachzudenken. Liv tat ihr den Gefallen das Thema zumindest erst einmal ad acta zu legen. „Ach frag nicht, es war ein Desaster."
Doch da Liv nun einmal Liv war begann sie natürlich umgehend den Abend detailreich zu beschreiben. Kurz zusammengefasst war der Typ ein Bodybuilding-Macho, ähnlich wie Livs vorherige Bekanntschaften. Er war vor allem auf seine Coolness bedacht gewesen, dazu noch relativ ungebildet und hatte Liv eigentlich nur ins Bett bekommen wollen. Eben diese saß nun frustriert auf Zoras Bett. „Ich habe immer Pech mit Kerlen. Das ist doch unfair.", „Ach, du hast nur noch nicht den Richtigen gefunden.", reagierte Zora mit der üblichen Floskel. Das Liv vermutlich ihren bevorzugten Männertyp überdenken sollte, sprach sie nicht aus. Sie war ja nicht wirklich in der Position schlaue Ratschläge in Sachen Beziehung zu geben.
„Aber in Selbstmitleid zu schwimmen bringt wohl auch kaum etwas.", raffte Liv sich mental auf. „Ich bin 19, da sind die meisten noch Single, du ja auch. Nur, dass du schlau genug bist, dich nicht auf Dates mit solchen Flachpfeifen einzulassen. Was hast du überhaupt gestern gemacht? Ich bequatsche dich dich hier stundenlang und lasse dich gar nicht zu Wort kommen." Ehrlich gesagt ging Zora mit dem 'bequatschen' ganz in Ordnung, sie hörte gerne zu. Das war vermutlich auch einer der Gründe, weshalb ihre Freundschaft so gut funktionierte. Liv war extrovertiert und mitteilsam, während Zora den Ruhepol bildete. „Ich war nur mit Nat unterwegs, nichts besonderes.", „Soso, ihr wart unterwegs?", „ Ach, wir waren nur mit dem Teleskop draußen, haben ein wenig gequatscht, das übliche." Livs Augen bekamen einen leicht sehnsüchtigen Ausdruck. „Ihr zwei alleine unter dem Sternenzelt in reiner Zweisamkeit?" Sie seufzte theatralisch, Zora lachte auf. „Jetzt klingst du wie Tante Karen."
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fragile (GirlxGirl)
RomanceIhr erstes Aufeinandertreffen ist denkbar belanglos und doch hinterlässt die Abiturientin Zora einen bleibenden Eindruck bei der angesehenen Architektin Jane, der diese bald zwingt ihre fundamentalen Grundsätze zu hinterfragen. Cover by @writersfate