Einundachtzig

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Das Gespräch war für 10:15 Uhr angesetzt und Zora war gut zwanzig Minuten zu früh dran. Sie wurde von einer freundlichen, fast mütterlichen Sekretärin begrüßt, die sie zum Warten auf eine gemütliche Couch verwies. Die Räumlichkeiten waren verglichen mit dem Neuhäuser Architekturbüro wärmer, nicht ganz so modern-steril. An den Wänden hingen Ölgemälde von Landschaften und auf dem Tisch der Sekretärin standen einige Fotos und noch weiterer Schnickschnack. Unter anderem eine Kaffeetasse mit buntem Comic-Aufdruck, den Zora aus der Entfernung allerdings nicht zuordnen konnte.

Um 10:10 Uhr öffnete sich die Tür gegenüber von Zora und Herr Niggenbölling trat heraus. Nachdem sie sich begrüßt hatten, bat er sie ihm in sein Büro zu folgen. Dies war ähnlich gemütlich eingerichtet, wie der Eingangsbereich. Man hatte fast schon mehr das Gefühl in einem Studienzimmer einer Privatwohnung zu sein, als in einem Bürogebäude. Zora reichte Herrn Niggenbölling eine Mappe mit ihrem Lebenslauf, dem letzten Zeugnis und einem Anschreiben, das sie noch am Vorabend aufgesetzt hatte. Er bedankte sich, würdigte die Mappe jedoch keines Blickes und erkundigte sich nach ihrer Anreise. Kurz darauf ging die Tür auf und ein Mann um die 50 kam herein. Er hatte schon eine deutliche Halbglatze, trug ein grob gemustertes grünes Karohemd, dass über seiner Hose hing und abgewetzte Turnschuhe, auf seiner Nase saß eine runde Harry-Potter-Brille. „Entschuldigt, dass ich zu spät bin, ich habe die Zeit total vergessen.", sagte er leicht außer Atem. „Hallo, Harald. Zora nehme ich an?", stellte er sich dann vor und nahm auf dem Platz neben der leicht perplexen Zora Platz.

Eine gute halbe Stunde später verließ das Trio das Büro wieder. Zora war versucht sich zu kneifen, um sicher zu gehen, dass sie nicht noch in ihrem Bett lag und träumte. Harald hatte sich als 'Labor-Mensch' herausgestellt und war für sämtliche Probenanalysen verantwortlich. Die Beiden hatten ihr gerade ein zweimonatiges, bezahltes Praktikum angeboten. Sie könnte in dem Apartment wohnen, dass die Gesellschaft für Geschäftskunden besaß. Herr Niggenbölling hatte sie zum Schluss noch einmal aufgefordert eine Nacht in Ruhe darüber zu schlafen, schließlich sei das ja unter Umständen ihr letzter freier Sommer, aber sie würden sich wirklich freuen, wenn das klappen würde. Sie könnte übernächsten Montag anfangen. Gleich wollte Harald sie noch durch die Labore führen, damit sie sich schon einmal umschauen könnte.

Zora war klar, dass sie dieses einmalige Angebot nicht sich selbst zu verdanken hatte. Natürlich konnte sie relativ charmant sein, wenn sie es darauf anlegte und sie hatte sich auf Ruperts Party auch ganz gut verkauft, aber dadurch bekam man kein Praktikum mit einem Stundenlohn von 15,50,- angeboten. Vor allem nicht, wenn man keinerlei Vorerfahrung mitbrachte. Die Mappe war die ganze Zeit unberührt geblieben, sie hatten sich nicht einmal ihr Zeugnis angesehen. Zora war nicht blöd. Das hier verdankte sie einzig und allein Jane. Herr Niggenbölling, oder besser gesagt Herr Dr. Niggenbölling, wie sie mittlerweile wusste, hatte mehrfach verlauten lassen, was für eine hohe Meinung er von Frau Dr. Neuhäuser hatte. Und er vertraute dieser anscheinend so viel, dass er Zora ohne groß darüber nachzudenken ein bezahltes Praktikum anbot. Oder hatte er am Ende mit Jane Rücksprache gehalten und deshalb hatte diese sie auch am Montag angerufen?

Das erklärte die späte Uhrzeit des Anrufs aber immer noch nicht; und es war auch egal. Fakt war, dass sie sich wohl bei Jane bedanken sollte. Harald hatte gesagt, er wolle 15min Pause machen, bevor sie ihren Rundgang startete. Das war vor gut fünf Minuten gewesen. Zora hatte also noch etwas Zeit. Kurzerhand griff sie ihr Handy und rief Janes Kontakt auf. Sicherlich hätte sie dieses Gespräch auch in Ruhe heute Abend oder Morgen führen können, doch sie wollte es jetzt.

fragile (GirlxGirl)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt