Neunundfünfzig

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Wie Zora so ihren Gedanken nachhing und den armen Herrn Liebert völlig vergessen hatte, stießen Jane und Rupert zu ihnen. „Na, wie habt ihr zwei denn zueinander gefunden?", begann Rupert, bevor er Herrn Liebert mit einer männlichen Umarmung begrüßte. „Ich versuche die gute Frau Krämer für ein Stipendium bei uns zu begeistern.", antwortete Her Liebert, sodass Zora glücklicherweise nichts sagen musste und weiter ihre Gedanken ordnen konnte. Sie bekam aber sehr wohl mit, dass Rupert Jane einen vielsagenden Blick zuwarf, den sie nicht wirklich deuten konnte, dann wandte er sich an sie. „Hat er denn Erfolg?". Zora blickte verlegen zu Boden. Sie hasste es wirklich im Zentrum der Aufmerksamkeit zu stehen, vor allem von so erfolgreichen Menschen. Doch sie zwang sich wieder aufzublicken. Es bestand kein Grund sich kleiner zu machen, als sie war. Ihr Blick streifte Rupert kurz und blieb dann bei Jane hängen, als sie mit semi-selbstbewusster Stimmer antwortete: „Das kann ich in ein paar Monaten sagen, wenn ich mich hoffentlich für ein Studienfach entschieden habe. Aber es besteht definitiv Interesse.", „Nichts überstürzen, sehr vernünftig. Aber ich kann dir Konstantin nur wärmstens empfehlen." Rupert schenkte ihr ein warmes Lächeln, um sich dann aber sofort wieder auf Jane zu konzentrieren, die die Aufmerksamkeit scheinbar genoss. Zora trank einen weiteren Schluck. Wieso war sie heute nur so biestig und missgünstig? Das war doch wirklich kontraproduktiv. Da brummt es in ihrer Jackentasche.

Sie wandte sich von der kleinen Gruppe ab. Es war Andy, der fragte, ob sie spontan heute Abend Zeit hätte, er wäre ungeplant in der Stadt. Zoras Daumen schwebte über der Displaytastatur, während sie die Nachricht anstarrte. Andy schien so unglaublich weit weg. Die Stufenparty hatte zwar erst vor genau einer Woche stattgefunden, aber ihr kam es wie eine Ewigkeit vor. Die sinnfreien Trinkspiele, das oberflächliche Flirten. All das schien lange her zu sein. „Langweilen wir dich?" Zora zuckte leicht zusammen. Jane stand vor ihr. „Äh, nein sorry. Ein Freund hat mir geschrieben." Sie drehte das Handy leicht, sodass Jane einen kurzen Blick auf das Display werfen konnte. „Aber der kann warten." Sie steckte das Handy wieder in die Jackentasche. „Gut, Rupert wollte uns das Grundstück und die Gartenanlage zeigen.", fuhr Jane fort.

Okay, der Gatsby-Vergleich war wirklich nur semi-weit hergeholt. Die gepflasterte Ebene vor dem Haus war nämlich gar nicht die eigentliche Terrasse. Diese befand sich hinter dem Haus und war noch fünfmal größer. Das aufwändige, im wesentlichen blau-weiße, symmetrische Mosaik spiegelte den Feuerschein der Fackeln wieder. Der Garten hatte sicher an die 5000 Quadratmeter, wenn nicht mehr und beschäftigten mit Sicherheit mehrere Gärtner rund um die Uhr. Der Vergleich hinkte lediglich in dem Aspekt, dass Rupert an seiner Party auch tatsächlich teilnahm, und nicht wie Gatsby in irgendeiner privaten Kammer hockte, um auf Daisy zu warten, hinterher.

Mittlerweile war einige Zeit vergangen und sie saßen in einer größeren Gruppe von Geschäftspartnern von Rupert zusammen. Darunter ein Investor mit seiner Frau, die in etwa halb so alt war, wie er, eine Bekannte von Jane, die Professorin war und der Bürgermeister. Rupert gab gerade seine Erlebnisse auf der Geschäftsreise nach Japan, von der er am Vortag zurückgekehrt war zum Besten.

Bei Zora machten sich die nun schon insgesamt drei Cocktails bemerkbar. Sie entschuldigte sich und ging in Richtung Badezimmer. Als sie nach dem Händewaschen in den Spiegel starrte stellte sie erleichtert fest, dass sie noch ziemlich präsentabel aussah. Lediglich die Mascara war ein wenig verschmiert, aber das ließ sich ja leicht beheben.

Anschließend stützte sie die Hände rechts und links vom Waschbecken auf und fokussierte den Wasserhahn. Vermutlich sollte sie es erst einmal ruhiger angehen lassen und eine Cola trinken. Der Raum drehte sich zwar noch nicht und sie konnte auch noch auf den hohen Schuhen laufen, musste sich aber definitiv auf ihre Tätigkeiten konzentrieren. Sie war an dem Punkt, wo im Sitzen noch alles in Ordnung war, man dann beim Aufstehen und einfachen Tätigkeiten, wie dem Betätigen eines Wasserhahns, dem Greifen eines Stücks Seife oder auch nur dem Schließen der Badezimmertür feststellten musste, dass der Fokus ein wenig verloren war und man doch schon ein wenig neben sich stand.

fragile (GirlxGirl)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt