Siebenundfünfzig

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Das musste man dem Herrn Oberbürgermeister lassen, er ließ es sich nicht nehmen in jeder Lebenslage Werbung für seine Stadt und ihre Institutionen zu machen. Das nannte sich dann wohl wahrer Einsatz. „Ich denke darüber nach. Ich war auch schon am Mittwoch an der Uni, aber ich kann mich einfach noch nicht festlegen.", legte Zora ihren Standpunkt dar. „Sie hatte sogar Spaß an der Bauphysikvorlesung. Ich weis nicht, was aus der noch einmal werden soll.", mischte Jane sich ein, um Herrn Walter davon abzuhalten in einen Monolog über die Vorzüge der Universität abzudriften und es funktionierte. „Bauphysik? Tatsächlich? Dann interessieren sie sich sicher auch für Statik." Zora nickte. „Die Richtung hatte ich wohl auch schon einmal angedacht -", „Wenn das so ist, muss ich ihnen Herrn Niggenbölling vorstellen, der ist passenderweise heute Abend auch hier.", wurde sie vom Bürgermeister unterbrochen, der sie am Arm fasste, um sie mit sich zu ziehen.

So enthusiastisch, wie er war hatte er scheinbar schon einiges getrunken und war somit in Networking-Höchstform. In diesem Modus war es sein oberstes Ziel Leute zusammen zu bringen. Die einzige Bedingung war, dass er derjenige war, der den Kontakt herstellte und somit als weltgewandter Gönner das Bindeglied darstellte. So sehr er Jane damit in der Vergangeheit schon auf den Geist gegangen war – er betrieb diese 'Kontakt herstellen' auch bei sämtlichen Meetings, bei denen mehr als drei Leute anwesend waren – musste sie zugeben, dass er gut darin war. Als Oberbürgermeister kannte er nämlich logischerweise tatsächlich eine Menge Leute und selbst Jane war dank ihm schon mit späteren Kunden in Kontakt getreten. Zora sah Jane hilfesuchend an, doch sie nickte nur zustimmend und ließ die Beiden ziehen. Dazu waren diese Partys schließlich da und Jane hatte keinerlei Bedenken, dass Zora nicht mit ein paar Geschäftsmännern fertig würde. Sie war ihren Altersgenossen weit voraus und würde sich alles andere als blamieren. Nicht, dass Jane auch nur im Ansatz irgendwelche Altersgenossen kannte, aber Zora war besonders.

Das Unschöne war nur, dass Jane jetzt wieder alleine dastand. Sie wollte sich gerade in Richtung des eigentlichen Gartens machen, in dem sich auch mehr und mehr Menschen sammelten, als von hinten jemand an sie heran trat. „Hat deine Begleitung dich schon im Stich gelassen?", sprach Rupert sie an und trat um sie herum. „Sie wurde mehr entführt.", korrigierte Jane. „Ja, sowas kann er gut.", sinnierte Rupert, während sie Beide durch die Menge hindurch zu Zora blickten, die mit Herrn Walter und Herrn Niggenbölling, der gerade noch einen anderen Herren heran winkte, in ein Gespräch vertieft schien. Wie nicht anders erwartet, wirkte es so, als würde Zora den dreien auf Augenhöhe begegnen und nicht die schüchterne und unsichere Praktikantin geben. Sie war sich sowohl ihrer Stärken, als auch ihrer Schwächen bewusst und konnte ein geistreiches Gespräch führen, ohne dabei aufgesetzt oder gezwungen zu wirken. Rupert schien einen ähnlichen Eindruck gewonnen zu haben. „Das ist also die Zukunft." Er nahm einen Schluck aus seinem Whiskyglas. „Wie ist sie in die Gunst deiner Aufmerksamkeit gekommen?" Er sah Jane aufmerksam an, sie wandte sich ihm ebenfalls zu. Er sah ähnlich wie bei ihrem letzten Aufeinandertreffen absolut makellos aus. Geradezu perfekt. Der aus dem Ei gepellte britische Gentleman. Dem Anlass entsprechend war er minimal legerer gekleidet. Das Hemd war grau statt schwarz, das Jackett stand offen und diesmal fehlte das Einstecktuch. Aus seinem Blick sprach ehrliches Interesse, ungeteilte Aufmerksamkeit. Die rechte Hand hatte er lässig in der Hosentasche und in der linken schwenkte er das Whiskyglas. So wie er da stand hätte Shonda Rhimes ihn Sekundenschnelle als den neuen McDreamy gecastet.

Jane blickte wieder zu Zora, die sich nun mit dem gerade herbeigewinkten Herren unterhielt und gerade auflachte. Den Herren meinte Jane als Herrn Liebert, einen Funktionär des Arbeitgeberverbandes zu erkennen. Er war ganz offensichtlich hin und weg von Zora. Ruperts Frage stand immer noch im Raum. Vor allem in den letzten Tagen hatte sie sich selbst das ja häufig genug gefragt. Wie sie Zora da so souverän im Umgang mit lauter gewichtigen Menschen sah, wusste sie das ihre erste Intuition goldrichtig gewesen war. Dieses Charisma gepaart mit ihrer schnellen Auffassungsgabe würden sie weit bringen, wenn sie es denn wollte. Aber was war der Auslöser des Ganzen? Weshalb buhlten dort gerade zehn Meter entfernt drei gestandene, mindestens zwei davon millionenschwere, Geschäftsmänner um ihre Aufmerksamkeit? Weshalb war Jane so verzaubert? „Sie hat dieses gewisse etwas, nehme ich an?", antwortete Jane somit nicht sehr konkret. Rupert lachte leise. „Ich wollte eigentlich wissen, wie ihr euch kennengelernt habt." Jane sah ihn verlegen, minimal errötend an und nahm noch einen Schluck aus ihrem Glas. „Sie kommt aus meiner Heimatstadt. Ich habe meine Eltern besucht, das war reiner Zufall.", „Glück gehört immer dazu.", kommentierte Rupert. Das sah Jane allerdings anders. „Ich glaube nicht, dass sie Glück braucht. Sie wird ihren Weg so oder so gehen.", widersprach sie deshalb. Rupert sah sie leicht erstaunt an. „Ich habe von dir gesprochen. Du hattest das Glück. Du warst die Erste, die etwas in ihr gesehen hat. Sie dir doch an, wie sie gerade den Bürgermeister und den Funktionär vom Arbeitgeberverband einwickelt. Mit der richtigen Arbeitsmoral schafft die es ganz weit. Und sollte sie sich für diesen Weg entscheiden, wirst du immer diejenige sein, die ihre ersten Schritte ermöglicht und begleitet hat."

fragile (GirlxGirl)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt