Neunzehn

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„Ich habe gar kein Bild gezeichnet. Auf jeden Fall ist Jane echt nett und hat mich beeindruckt. Ist ja auch egal. Sie arbeitet aber in diesem Architekturbüro Neuhäuser und ich kann mich bei ihr melden. Sie ist nächste Woche auch noch einmal in der Stadt.", fasste Zora die Fakten zusammen. Nat, mit seinem leichten Alkoholpegel, schien sich für das eigentliche Praktikum nur noch zweitrangig zu interessieren. „Sie hat dich also beeindruckt? Wie bitte beeindruckt man dich in, sagen wir es waren zehn Minuten, Gespräch?" Zora wurde tatsächlich ein wenig verlegen, was Nat glücklicherweise gänzlich entging, da es fast dunkel war. „Naja, sie ist... Ach ich weis auch nicht. Selbstsicher? Elegant? Auf jeden Fall schien sie einen Plan vom Leben zu haben.", „Hm...man braucht also einen Plan vom Leben, um dich zu beeindrucken? So so." Zora kicherte. „Komm, lass gut sein. Genug zum Thema Berufswahl für heute.", „Stimmt.", gab Nat ihr Recht. „Wir können ja nicht alle so einen ausgeklügelten Plan haben wie Liv."

Zora musterte Nat. Dann wollte er vielleicht wirklich etwas von Liv, wenn er heute schon wieder auf sie zu sprechen kam. Zora ging auf den Themenwechsel ein. „Da hast du wohl recht. Dafür durchleidet sie aber gerade eine Dating-Krise." Obwohl es dunkel war und Nat halb von Zora abgewandt saß, sie hätte schwören können, dass sein Gesicht aufleuchtete. „Inwiefern Dating-Krise?", „Der Typ mit dem sie sich neulich getroffen hat, war wohl wie zu erwarten ein Arschloch. Keiner will sie und alle Männer sind oberflächliche Vollidioten.", „Naja bei ihrem bevorzugtem Männer-Typ sollte dieses Fazit nicht weiter verwundern.", kommentierte Nat zynisch. „Ja, ob du es glaubst, oder nicht, so weit ist sie mittlerweile auch. Aber komm, sie hat es auch echt nicht einfach mit ihrer Familie. Für die Meisten ist sie erst einmal die blonde Tochter von irgendeinem Ex-Soap-Sternchen, die vermutlich genauso wie ihre Mutter mit allen Mitteln ins Rampenlicht will, koste es was es wolle." Nat sah sie perplex an. „Dein ernst? Unsere Liv will den möchtegern Arnies abschwören?" Zora nickte. „Jip.", „Es geschehen noch Zeichen und Wunder."

Als sie vor der Haustür standen umarmten sich die Beiden zum Abschied. „Vielleicht ist es ja an der Zeit, dass sich mal ein vernünftiger Kerl um sie bemüht.", sagte Zora, während sie aufs Fahrrad stieg. Nat sah sie mit hochgezogener Augenbraue an, kommentierte jedoch nicht weiter. „Ciao.", „Tschüss. Melde dich, wenn du zu Hause bist. Nicht, dass du noch betrunken vom Fahrrad fällst."

Am Montagmorgen stand Jane um sechs Uhr auf, verließ um sieben das Haus, holte sich unterwegs einen Kaffee und war um kurz nach halb acht die Erste im Büro. Um kurz nach acht kam Lina an und begab sich direkt in Janes Büro. „Morgen. Wie geht es deinem Vater?", „Morgen." Jane nahm einen Schluck von ihrem Kaffee, obwohl zuckriges Milchgetränk mit Koffein es wohl eher beschrieben hätte. Denn so gerne sie cool und direkt einfach schwarz getrunken hätte, so sehr liebte sie doch ihren Zucker und brauchte ihn. „Ganz gut. Er wird am Mittwoch entlassen. Er ist wirklich noch einmal mit einem blauen Auge davon gekommen. Aber nun zu dir, wie lief es am Donnerstag?"

Das war typisch für Jane. Sie unterhielt sich so gut wie gar nicht mit Lina über Dinge die nichts mit der Arbeit zu tun hatten. Schnitt solche Themen immer ab. Deswegen war der Terminus 'Beste Freundin' eigentlich auch ziemlich unpassend. Andererseits hielt sie das mit allen Menschen so. Obwohl sie nur ein verschwindend geringes Minimum an Privatleben hatte; selbst dieses Minimum wurde nie besprochen. Nachdem Lina eine kurze, prägnante Zusammenfassung des Meetings abgeliefert hatte, war Jane mal wieder deutlich, dass Lina eine ihrer besten Mitarbeiterinnen war, denn der Auftrag schien so gut wie gesichert. So lange nichts Gravierendes mehr dazwischen käme, könnten sie am Mittwoch unterschreiben. „Perfekt, ich kann mich echt auf dich verlassen. Danke nochmal.", lobte Jane ihre Kollegin, als diese geendet hatte. Doch Lina winkte ab. „Kein Problem, ich musste doch wirklich nur den Vortrag machen. Was uns den Auftrag eingeholt hat war deine Präsentation."

Lina wandte sich zum Gehen, hielt dann allerdings noch einmal Inne. „Ach ja, Herr Loh, der Inhaber der Kunstgalerie gegenüber vom Stadtmuseum, hat uns zu einer Ausstellungseröffnung heute Abend eingeladen. Er hat explizit nach dir gefragt. Keine Sorge, ich habe ihm keine Hoffnungen gemacht, dass du kommst. Ich weis ja, wie wenig du solche Veranstaltungen ausstehen kannst. Ich musste ihm aber zumindest versprechen, dir die Einladung zu überbringen. Naja außerdem sollte jemand von uns hingehen, denn Herr Loh hat sich wohl echt dafür stark gemacht, dass wir den Auftrag bekommen." Lina machte eine kurze Pause. „Vielleicht solltest du da wirklich hingehen. Er wirkte sehr erpicht darauf, dass du kommst und er ist wirklich attraktiv, gebildet, ein wahrer Gentleman der alten Schule." Lina unterbrach ihre Schwärmerei, da ihr wohl wieder eingefallen war, dass sie ja glücklich verheiratet war. „Wie dem auch sei, mir steht es auch gar nicht zu mich da einzumischen. Ich habe schon mit Tom gesprochen, wir gehen auf jeden Fall hin." Sie öffnete die Tür und stand schon halb im Flur, als Jane ihr hinterher rief: „Lina?" Diese drehte sich um. „Ja?", „Wann beginnt die Eröffnung denn?" Lina sah sie leicht perplex an. „Ehm, 19 Uhr. Du willst da echt hingehen?"

fragile (GirlxGirl)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt