Fünfundneunzig

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„Ja?", war die einzige Begrüßung, die sie erhielt. Jane sah gar nicht erst von ihrem PC auf. Zora schloss die Tür, um dann an den Tisch heran zu treten. Sie stellte vorsichtig den Frappé vor Jane ab. „Ich dachte Max übertreibt, aber du wirkst wirklich ein wenig unausgeglichen.", ergriff sie dann das Wort. Janes Blick schnellte hinter dem Bildschirm hervor, während sie erst jetzt zu registrieren schien, dass Zora im Raum war. „Oh, hi." Zu Zoras Genugtuung hoben sich Janes Mundwinkel, trotz der offensichtlich aufgeladenen Atmosphäre, bei ihrem Anblick leicht. Es gab wohl wenig bessere Komplimente.

„Danke.", fuhr Jane fort, während sie nach dem Frappé griff. „Unverantwortliche Mengen Zucker sind eine ganz hervorragende Idee.", „So schlimm?", schlussfolgerte Zora. Jane nickte, den Strohalm im Mund. „Du hast ja keine Ahnung. Ich wünschte wirklich wir hätten nie angefangen für diesen Auftraggeber zu arbeiten.", bestätigte Jane. Zora schmunzelte. „Dann spielst du hier schon die ganze Woche die Miss Grumpy?"

Jane lachte auf. „Ich fürchte grumpy trifft es schon lange nicht mehr." Das tat es in der Tat nicht. Sie war wirklich kurz vorm durchdrehen und eigentlich brachte sie in ihrem Job nichts und niemand aus der Ruhe, aber dieser Auftrag trieb sie wirklich zur Weisglut. Doch trotzdem reichte Zoras bloße Anwesenheit, um ihre Stimmung zu heben. Gut, der süße Frappé unterstützte das zusätzlich maßgeblich, aber dennoch, Zoras Anblick gab ihr Halt. Sie atmete einmal tief durch, versetzte ihren Computer in den Ruhe-Modus und stand dann auf. Als sie schon fast aus der Tür heraus waren hielt Jane inne und drückte dann Zora ihren Frappé in die Hand. „Warte noch kurz." Sie hätte doch tatsächlich fast ihre Handtasche vergessen. Die Pause war in der Tat dringend nötig, so zerstreut, wie sie war. Nachdem sie die besagte Tasche gegriffen hatte, verließ sie endgültig das Büro. Zora hielt ihr die Tür auf und reichte ihr im Gehen den Becher zurück. Jetzt erst schaltete Jane, dass sie sich, seit Zora das Praktikum angetreten hatte, noch gar nicht gesehen hatten. „Ach, aber was öde ich dich hier mit meinem Nonsens ein. Ich bin wirklich eine schlechte Fr – eundin. Wie waren deine ersten Tage?"

FREUNDIN. Da, sie hatte es gesagt, oder war mehr darüber gestolpert. Der neutrale Beobachter hätte davon vermutlich gar keine Notiz genommen. Der Begriff fand ja durchaus platonische Anwendung. Doch Jane war, als hätte sie ohne groß darüber nachzudenken aus versehen eine Lawine losgetreten. Einen riesigen rosa Elefanten mitten in den Raum gestellt. Zora war glücklicherweise so geistesgegenwärtig diesen Fauxpas nicht weiter zu kommentieren und einfach wegzulächeln, was angesichts der Tatsache, das Max sie jetzt schon neugierig aus dem Augenwinkel zu beobachten schien, ein Segen war. Sie mussten erst einmal selbst heraus finden, wo sie überhaupt dran waren, da brauchte Jane nicht noch Mitarbeiter, die zusätzliche Vermutungen anstellten.

Auch während ihres Essens in einem kleinen, gemütlichen Bistro kamen sie nicht auf diesen verbalen Ausrutscher zu sprechen. Stattdessen berichtete Zora von ihren ersten Arbeitstagen und erinnerte Jane dabei beiläufig daran, dass sie sich nicht in die langen Haare, die dunklen Augen oder die tolle Figur verguckt hatte, sondern in ein aufmerksames Mädchen, mit einer hohen Auffassungsgabe, Verstand und Humor.

fragile (GirlxGirl)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt