Vierunddreißig

3.9K 235 8
                                    


Um kurz nach sechs fuhr sie dann endlich los und war um fünf vor halb auf dem Parkplatz des Italieners angekommen. Das Restaurant war für Kleinstadtverhältnisse relativ gehoben, aber noch bezahlbar und vor allem gemütlich. Ein Familienunternehmen mit Charme. Zora fuhr ihren Sitz nach hinten und tauschte die flachen Turnschuhe, die sie zum Autofahren angezogen hatte gegen ihre Pumps. Dann stieg sie aus dem Wagen, schloss ab und ging zum Eingang, natürlich nicht ohne noch einen letzten prüfenden Kontrollblick auf ihre Reflexion in der Autoscheibe zu werfen. Sobald sie durch die Tür war wurde sie von einem Kellner in Empfang genommen. „Buonasera bella signora. Wie kann ich ihnen helfen?" Zora ließ ihren Blick hektisch durch den Raum schweifen. Jane war scheinbar noch nicht da, kein Wunder, Zora war ja auch zu früh dran. Es sei denn natürlich, sie säße auf der Terrasse. „Ehm.... Hallo. Ich bin mit Ja... Frau Neuhäuser hier. Sie hatte meines Wissens reserviert.", stotterte Zora sich zusammen. Glücklicherweise nicke der Kellner und erwiderte: „Ah, Frau Neuhäuser. Natürlich, die ist schon da. Kommen sie, sie sitzt draußen."

Jane saß ganz hinten links und stand auf, als sie Zora auf sich zukommen sah. Sie begrüßten sich mit einem Händeschütteln. Nachdem der Kellner die Getränkebestellung aufgenommen und ihnen die Speisekarte gereicht hatte wurden sie allein gelassen. Zora betrachtete Jane fasziniert. Sie war so perfekt, wie in ihrer Erinnerung. Der Hosenanzug saß wie angegossen, kein Haar benahm sich daneben und ihre mörderisch hohen Lackpumps glänzten im schwachen Licht. In Anbetracht der Tatsache, dass sie schon einen Arbeitstag hinter sich hatte und sich dementsprechend nicht wie Zora groß für dieses Essen umgezogen oder zurecht gemacht hatte, schien sie fast unwirklich. „Schön, dass das so kurzfristig geklappt hat", eröffnete sie das Gespräch und öffnete gleichzeitig ihre Karte. „Ich sterbe vor Hunger, ich hatte seit dem Frühstück nichts mehr."

Also war sie doch menschlich, dachte Zora erleichtert. Zumindest ein wenig. „Ach, ich habe momentan mehr als genug Zeit. Jetzt nach den schriftlichen Prüfungen habe ich gefühlt nur in der Sonne gelegen.", erwiderte Zora. „Naja, du arbeitest ja immerhin in der Alten Mühle. Außerdem musst du diese Zeit wirklich genießen, soviel Freizeit hast du nie wieder.", antwortete Jane mit einem Lächeln im Gesicht. In dem Moment kam der Kellner mit einem Rotwein für Jane und einer Colalight für Zora und nahm im Anschluss ihre Bestellung auf. Zora hatte kaum die Zeit gefunden, auf die Karte zu schauen und bestellte fast schon reflexartig eine Carbonara, die schmeckte schließlich immer. Jane nahm eine einfache Magharita.

Jane hatte den Vormittag damit verbracht ihren Vater aus dem Krankenhaus abzuholen, was schneller gegangen war, als ursprünglich gedacht. Das waren halt die Vorteile des Privatpatienten-Daseins. Demnach war sie auch viel zu früh, bei dem Italiener gewesen. Zora hingegen war so ziemlich auf die Minute pünktlich, oder vielleicht einen Tick zu früh und saß ihr nun gegenüber, während sie Beide schweigend die köstlichen Kohlenhydrate verdrückten.

Dieses Mädchen war wirklich beeindruckend. Sie war ja von Beginn an angetan gewesen, sonst säßen sie schließlich gar nicht hier, aber als Zora da vor zwanzig Minuten durch die Tür auf die Terrasse getreten war... Jane musste ihre Beobachtung, dass es egal war, was Zora trug revidieren. Hatte sie in ihren Alltagsklamotten schon umwerfend gewirkt, so überstrahlte sie nun alles. Das Outfit betonte ihre Figur perfekt, die langen Haare fielen ihr über den Rücken, lediglich ein paar Strähnen umrahmten ihr Gesicht. Dazu war das Makeup perfekt. Ihre Augen leuchteten, wie sie von den dichten, schwungvoll getuschten Wimpern umrahmt wurden. Das alles gepaart mit ihrer ruhigen, dabei selbstbewussten Art, war wirklich eindrucksvoll. So ganz anders als alles in der steifen Geschäftswelt Düsseldorfs. Dort, wo viele, wenn sie Jane das erste Mal trafen nervös in sich zusammenfielen. Völlig angespannt waren und kein Wort heraus brachten oder um ihre Unsicherheit zu überspielen anfingen wie ein Wasserfall zu plappern. Andererseits redeten manche Menschen auch einfach von Natur aus viel zu viel und es hatte in manchen Fällen somit auch gar nichts mit Unsicherheit, sondern viel mehr mit Janes geringer Toleranzschwelle bezüglich dem Input irrelevanter Informationen zu tun.

Zora bildete dazu den totalen Kontrast.

fragile (GirlxGirl)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt