Als Zora drei Stunden später an ihrem Laptop saß starrte sie ihre noch leere neue Mail an. Liv hatte recht, dies war eine einmalige Chance. Sie hatte Jane selbst noch einmal gegoogelt und war ziemlich beeindruckt, aber vor allem eingeschüchtert. Liv hatte definitiv nicht übertrieben. Jane war der neue Star der Architekturszene, falls das so genannt wurde. Wie schrieb man so jemanden bitteschön an?
'Hey, ich bin die Bedienung aus dem Café, das sie nach dem Eintreffen meiner Chefin fluchtartig verlassen haben. Danke für das hohe Trinkgeld, Grüße an ihre Mutter und ich wollte fragen, ob es möglich wäre ein Praktikum bei ihnen zu machen.
Gute Besserung an ihren Vater. Mit freundlich Grüßen Zora Krämer.' Wohl kaum. Nach vermutlich vollkommen unangemessen langem Überlegen und dem Lesen unzähliger Beispielanschreiben im Netz hatte Zora endlich ein Ergebnis, mit dem sie halbwegs zufrieden war. Sachlich, nicht zu steif, dabei jedoch förmlich genug und insgesamt vor allem freundlich formuliert.
Jane stand vor ihrem ziemlich überdimensionierten begehbaren Kleiderschrank. Der Architekt hatte vermutlich ein gut situiertes Paar vor sich gehabt, als er diese Wohnung entwarf. Demnach war der Kleiderschrank im Hauptschlafzimmer auch für zwei Personen, die jeweils eine umfassende Garderobe besaßen ausgelegt.
Jane hatte die Wohnung nicht zuletzt wegen ihrer Größe direkt bei der ersten Besichtigung gekauft. Sie redete sich ein, dass die Wohnung vor allem eine sinnvolle Wertanlage gewesen war, was auch stimmte. Ihre hauptsächliche Bedingung bei der Immobiliensuche war jedoch eher unterbewusst gewesen: mehr Quadratmeter als in der gemeinsamen Wohnung mit Christian zu haben. Und in einer besseren Lage zu wohnen. Beides erfüllte diese Wohnung. Vielleicht war es die Architektin in ihr, oder die Karrierefrau, die nach ständiger Maximierung in allem strebte. Ihre Beweggründe waren aber letzten Endes zweitrangig. Fakt war, dass dieses Loft ein architektonischer Traum war: moderne Küche, ein riesiger, offener Wohn- und Essbereich, drei Schlafzimmer, jeweils mit eigenem Bad und eine weiteres Arbeitszimmer. Eigentlich war es pure Verschwendung, dass Jane im Prinzip nur hier schlief. Zudem hatte sie als Architektin natürlich fest im Plan eines Tages in einer selbst entworfenen Immobilie zu wohnen. Sie riss sich selbst aus ihren Gedanken. Philosophische Selbstrefelexion brachte sie jetzt auch nicht weiter. Sie musste sich für ein Outfit entscheiden. Fast hätte sie die Augen verdreht. Wann hatte sie sich zuletzt derart viele Gedanken um ein Outfit gemacht? Sie griff üblicherweise einfach aus ihrer dank Personalshopperin teuren, gut sortierten und stilvollen Auswahl ein Outfit heraus. Eine Sache von dreißig Sekunden.
Andererseits hatte hatte sie auch seit Ewigkeiten dass Büro nicht mehr unter der Woche vor sieben verlassen. Unsicher griff sie nach einem schwarzen Etuikleid. War das zu spießig für eine hippe Kunstgalerie? Immerhin ging es bis zu den Knien und zeigte wenig Ausschnitt. Sie war kurz davor gewesen Lina anzurufen, um nach ihrem Outfit zu fragen, war sich aber albern vorgekommen. Sie war eine erwachsene Frau, keine verdammte Teenagerin.
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fragile (GirlxGirl)
Storie d'amoreIhr erstes Aufeinandertreffen ist denkbar belanglos und doch hinterlässt die Abiturientin Zora einen bleibenden Eindruck bei der angesehenen Architektin Jane, der diese bald zwingt ihre fundamentalen Grundsätze zu hinterfragen. Cover by @writersfate