Siebzehn

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Seit sie denken konnte wollte Nat Pharmazie studieren, um später einmal die Apotheke seiner Eltern zu übernehmen. Sein Vater hatte ebenfalls Pharmazie studiert, seine Mutter war gelernte Apothekerin. Sie waren die perfekte Familie. Die Art gruselige Vorzeigefamilie aus der Kinder-Pinguin-Werbung, die einfach nicht real sein konnte, und doch waren die Hahns genau das. Die Eltern arbeiteten zusammen, taten alles zusammen, waren glücklich, stritten nie. Dazu zwei perfekte Söhne und regelmäßige Familienurlaube. Nur der Goldenretriever fehlte. Familie Hahn gab Zora, deren Eltern nie verheiratet gewesen waren, in Zeiten von Flüchtlingskrise, 'Deutschland schafft sich ab', Brexit, Trump und AFD, wirklich, als letzte Instanz den Glaube an die Menschheit zurück. Hier war die Welt noch ehrlich in Ordnung und so sollte Nat, als der älteste Sohn und auch der eindeutig schulisch begabtere der Brüder, in die Fußstapfen seines Vaters treten. „Ich informiere mich ja auch erstmal nur."

Ganz klar, Nat wollte erst einmal nicht weiter über das Thema sprechen. „Okay, ist doch alles völlig normal. Ich bin nur überrascht.", beruhigte sie ihn. Nat drehte sich zu ihr um und sah sie dennoch sehr ernst an. „Verliere dazu meinen Eltern gegenüber kein Wort!", „Ehm, okay. Aber wieso nicht?" Okay, falsche Frage. Nats Miene verfinsterte sich weiter. „Sag bitte einfach nichts. Ich will sie nicht unnötig weiter aufregen, wenn ich mich am Ende dann doch für Pharmazie entscheide." Zora nickte stumm, bevor sie etwas sagte, was Nat noch mehr aufbrächte. Soviel zum Thema Bilderbuchfamilie. Ein Sohn, der sich nicht traute seinen Eltern von seinem Wunsch Physik zu studieren zu erzählen. Das gab es wohl selten. Die meisten Mütter und Väter wären vor Freude in die Luft gesprungen, vor allem da Nat definitiv das Zeug hatte so ein Studium auch zu schaffen. Eigentlich hätte Zora sich über den Studienwunsch ihres besten Freundes nicht wundern dürfen, bei dessen Astronomiebegeisterung ergab das Sinn. Das er das Ganze vor seinen Eltern geheim hielt machte sie schon eher stutzig. Sicherlich herrschte bei ihm zu Hause ein gewisser Leistungsdruck, aber Zora war immer davon ausgegangen, dass Nat die Ambitionen seiner Eltern teilte. Scheinbar stimmte das zumindest nicht zu 100%.

Somit war dies wohl das Wochenende, an dem Zora ganz neue Seiten ihrer Freunde kennenlernte. Erst Liv und jetzt Nat.

Das Grillen verlief fröhlich und gemütlich, genauso wie die Grillsaison letztes Jahr ausgeklungen war. Gegessen wurde viel und gut und zum Nachtisch gab es traumhaften Tiramisu. Nachdem abgeräumt worden war, verzogen Nat und Zora sich weg vom Haus in den hinteren Teil des Garten. Das geräumige Grundstück bot genügend Platz um ungestört zu bleiben. Nats Eltern saßen noch mit den zwei befreundeten Ehepaaren, die mitgegrillt hatten am Gartentisch und tranken Wein. Julian hatte sich zum Zocken in sein Zimmer verzogen. Zora ließ sich am Fuß eines Apfelbaums nieder, während Nat noch ein paar Meter weiter lief, stehen blieb und einen großen Schluck aus seiner Bierflasche trank. Zora drehte unterdessen ihre Bierflasche nervös zwischen den Fingern hin und her, unsicher, ob sie das Thema Studium noch einmal aufgreifen sollte oder es besser erst einmal unkommentiert ließ. Nat nahm ihr die Entscheidung ab. 

„Mit Bonn, das ist nur so eine fixe Idee." Zora zwang sich ihr Hände still zu halten und blickte zu Nat auf, der immer noch mit dem Rücken zu ihr gewandt einige Schritte entfernt stand. „Seit wann hast du denn diese fixe Idee?", hakte sie nach. Nat nahm einen weiteren Schluck aus der Bierflasche und drehte sich zu ihr um. Es wirkte fast so, als müsste er sich Mut antrinken. Zugegebenermaßen war es erst seine zweite Flasche, aber ihm war definitiv unwohl zu Mute. „Schon eine Weile." Er starrte an Zora vorbei in Richtung seiner Eltern, die laut lachend im Hintergrund zu vernehmen waren. „Ich meine ich interessiere mich ja schon ewig für Astronomie und Physik. Das Hirngespinst war also immer da, aber wirklich konkretisiert hat es dann Herr Baumgartner. Er hat nach der Rückgabe der Klausur vor Weihnachten so einen Kommentar gemacht." Ein weiterer Schluck und er richtete den Blick auf den Boden. „Jedenfalls bin ich dann nach der Stunde zu ihm und er meinte, dass ich das mit dem Physikstudium problemlos schaffen könnte mit meiner Arbeitseinstellung und meinem logischem Verständnis." Er ging ein paar Schritte nach rechts und stützte sich mit dem freien Arm gegen einen der Apfelbäume. „Naja und dann habe ich angefangen mir online Unis raus zu suchen und weitere Infomaterialien zu bestellen. Mehr ist da nicht passiert." Er zuckte mit den Schultern, kam zu Zora zurück und setzte sich ihr gegenüber auf den Rasen. Zora hatte unterdessen begonnen Grashalme aus dem Boden zu rupfen. Sie konnte ihre Hände auch wirklich nicht still halten. „Was ist mit dem Pharmaziestudium? Willst du das überhaupt?" Nat schweig einen Moment, bevor er antwortete: „Doch schon, Pharmazie ist wirklich interessant, nur eben auf andere Art spannend als die Physik."

fragile (GirlxGirl)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt