Sechsundvierzig

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Liv sog scharf Luft ein und setzte sich an den Esstisch, nahm ihre Serviette zur Hand und begann sie in kleine Dreiecke zu falten. „Ehm... Ja also... Nat und ich... Du sagst ja immer, dass du nichts von ihm willst und jetzt – Das ist einfach so passiert, ich weis auch nicht. Ich wollte wirklich keine miese Freundin sein!" Zora legte ihre Hand auf Livs Schulter, um deren wirren Redefluss zu unterbinden. Sie hatte währenddessen die ganze Zeit auf ihren Teller gestarrt. „Ich will wirklich nichts von Nat. Da war nie etwas. Ich freue mich wirklich für euch. Du bist keine miese Freundin. Aber wenn du mir jetzt wegen deinen irrationalen Schuldgefühlen nichts erzählst werde ich sauer. Ich will alles wissen. Wie ist das passiert? Und lass nichts aus!", ermunterte Zora sie.

Liv sah zu ihr auf. „Ganz sicher?", „Ganz sicher. 1000%-sicher.", bestätigte Zora. Liv, die zuvor noch ziemlich bedrückt gewirkt hatte, lächelte und sah Zora jetzt auch wieder direkt an. Ihr Gesicht leuchtete förmlich auf. „Naja, ich schätze Nat und ich sind jetzt zusammen. Also wir haben das noch nicht so konkret angesprochen, aber es sind ja auch erst vier Tage.", „Blitzmerker. Ich bin nicht blind! Aber wie kam es dazu? Und ich schätze du glaubst mir jetzt endlich, dass Nat nicht unsterblich in mich verliebt ist.", kommentierte Zora, während sie den Tee aufgoss, um sich dann zu Liv zu setzen. Es folgte eine lange, detaillierte Story über die letzten Tage. Sie waren am Dienstag noch stundenlang am See geblieben, dann hatten sie auch noch den ganzen Abend über geschrieben und am Mittwoch hatte er sie nach der Klausur abgeholt. Sie waren essen gegangen und anschließend noch spazieren gewesen. Da seien sie sich dann 'näher gekommen' und den Freitag hatte sie auch komplett zusammen verbracht. Heute Abend wollten sie ins Kino.

Liv war vollkommen hin und weg, so hatte Zora sie noch nicht erlebt. Alles was Nat tat oder sagte war süß und er war ja so ein Gentleman. Zora hielt auch viel auf Nat, schließlich war er ihr bester Freund, dennoch hatte sie das Gefühl, das Liv ein wenig übertrieb. Liv konnte sich selbst für seine stinklangweiligen Jugend-Forscht-Projekte, die er in der Vergangenheit gemacht hatte begeistern. Jede Kleinigkeit wurde zum Ausdruck unglaublicher Charakterstärke erhoben. Zora freute sich echt für die Beiden. Das war vollkommen aufrichtig gewesen, dennoch war ihr auch ein bisschen mulmig zu Mute. Sie würde für die nächste Zeit bei den Beiden erst einmal abgemeldet sein, das wusste sie. Davon würde die Welt nicht untergehen, außerdem konnte man sich kaum besseres wünschen, als dass ihre besten Freunde so gut miteinander auskamen. Trotzdem hatte Zora das Gefühl irgendwie auf der Strecke zu bleiben. Sie versuchte diesen egoistischen Gedanken bei Seite zu wischen. Liv kam gerade zum Ende: „... und es geht ihm echt um mich. Wir haben uns gestern wie gesagt fast eine ganze Stunde über meine möglichen Unis unterhalten. Ach und er ist so ...", verträumt starrte sie auf ihr Brötchen.

„Naja, aber genug von mir. Was war das gestern mit Andy? Woher kennt ihr euch überhaupt?" Zora nahm vorsichtig einen Schluck von ihrem heißen Tee und verbrannte sich graziös die Zunge, bevor sie antwortete: „Tun wir nicht. Wir haben uns gestern nur einfach gut verstanden." Liv biss genüsslich in ihr Marmeladenbrötchen und sah Zora forsch an. Diese nahm ihr Handy von der Küchenablage. „Viel mehr war da nicht. Dann hat er mich nach meiner Nummer gefragt und mich heute morgen angeschrieben. Hier, sieh selbst." Liv überflog die Nachricht. „Und du hast ihm noch nicht geantwortet? Schäm dich! Los, schreib ihm!" Sie sah Zora erwartungsvoll an. „Jah, aber was denn?", sie sah Liv hilfesuchend an. Diese seufzte nüchtern. „Ach komm, er macht es dir doch echt einfach. Irgendwas, dass du den Abend auch gut fandest und ihm natürlich von Praktikum berichtest. Du hast dich die halbe Nacht mit ihm unterhalten.", „Da hatten wir auch Beide was getrunken und das ist sowieso was anderes.", wich Zora aus. „Jetzt schreib ihm schon. Los, mach! Andy, ich bin beeindruckt. Obwohl ich nicht gedacht hätte, das er dein Typ ist." Liv rührte nachdenklich in ihrem Tee rum. „Okay.", erwiderte Zora und tippte widerwillig eine platonische Antwort. Das war ja eine große Hilfe gewesen. „Was ist denn bitteschön mein Typ?", knüpfte Zora an das von Liv gesagte an, nachdem sie die Nachricht abgeschickt hatte.

fragile (GirlxGirl)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt