Zora gestattete es sich in ihrer Mittagspause kurz ihren Mailaccount zu checken. Heute Morgen hatte sie sich selbst ermahnen müssen nicht direkt nach dem Aufstehen ihr Postfach aufzurufen. Jane hatte ihr ja wohl kaum mitten in der Nacht geantwortet, und Zora kannte sich, würde sie einmal damit anfangen ihr Postfach nach einer Antwort abzusuchen, würde sie bald im Minutentakt auf ihr Handy blicken. Dabei hasste sie nichts mehr, als dies Menschen, die praktisch mit ihrem Smartphone verwachsen waren und ihre Außenwelt gar nicht mehr wahrnahmen. Doch jetzt konnte sie sich einfach nicht mehr zurück halten, obwohl ihre rationale Seite genau wusste, dass es recht unwahrscheinlich war, dass Jane ihr bereits geantwortet hatte. Praktikumsanfragen von mittelmäßigen Abiturientinnen hatten im hektischen Büroalltag wohl kaum oberste Priorität. Doch sie wurde eines Besseren belehrt. Jane hatte ihr bereits geantwortet, und das um 00:11 Uhr. Na das war es wohl, was man eine gute Arbeitseinstellung nannte: mitten in der Nacht auch auf semi-wichtige Mails zu reagieren.
Liebe Zora,
es freut mich sehr, dass du dich so schnell meldest. Wir können aber glaube ich gerne beim du bleiben. Ich würde dir, wie schon gesagt, sehr gerne einen Praktikumsplatz anbieten. Am Mittwoch bin ich noch einmal in Winterbaum. Wir könnten ja bei einem gemeinsamen Abendessen die konkreten Rahmenbedingungen und den Zeitraum besprechen. Falls dir das zu kurzfristig ist und du bereits verplant bist verstehe ich das natürlich. Wir finden sicherlich auch einen Alternativtermin.
Meinem Vater geht es schon wieder deutlich besser, Danke der Nachfrage.
Viele Grüße und hoffentlich bis Mittwoch, Jane
Soviel zum Thema semi-wichtig. Unter jeglichen Umständen schien ein Geschäftsessen, nur um ein simples Schülerpraktikum zu planen reichlich übertrieben. Doch da Zora mittlerweile wusste, wer Jane Neuhäuser war, war sie restlos baff. Liv würde Augen machen. Zora würde mit Jane essen gehen, und das schon Morgen.
Sie wurde von einer prickelnden Vorfreude erfasst. Vielleicht bekam sie ihre Zukunft ja doch noch in den Griff. Es fühlte sich toll an, erst einmal überhaupt irgendetwas in Angriff zu nehmen, sich in irgendeine Richtung zu bewegen, selbst wenn sie im Worst-Case-Szenario lediglich eine Option von der Liste streichen würde, weil Architektur so überhaupt nicht ihrs war. Hauptsache, sie fing erst einmal irgendwo an. Aber vor allem würde sie Jane wieder sehen. Irgendetwas an dieser Frau hatte es ihr einfach angetan. Jane war inspirierend; von ihr ging eine Faszination aus.
Zora zählte die Minuten bis zum Ende ihrer Schicht und verließ anschließend in Rekordzeit die Alte Mühle. Sie musste die Mail unbedingt Liv zeigen. Normalerweise hatte sie kein so großes Mitteilungsbedürfnis, doch die Tatsache, dass Jane ihr geantwortet hatte, dass sie vor allem so schnell geantwortet hatte, war irgendwie von Relevanz. Innerhalb von gut zwanzig Minuten war sie am Baggersee angelangt und legte ihre Sachen neben Liv auf den Boden. Diese lag alleine in der prallen Sonne, knapp fünf Meter vor dem Ufer. Somit war sie noch in guter Sichtweite, aber außerhalb der Hörweite der anderen Mädchen aus der Stufe.
„Hallöchen.", begrüßte sie Zora, nachdem sie kurz aufgeschaut und einen Kopfhörer aus dem Ohr genommen hatte. „Hi.", erwiderte diese und machte es sich ebenfalls auf ihrem Handtuch bequem. „Willst du dich nicht ausziehen?", kam es von Liv. Zora trug noch ihre Hotpants und ein Nirvana T-Shirt. „Damit ich krebsrot werde? Gönn meiner Haut noch ein bisschen Gnade." Liv zuckte nur mit den Schulter. „Wie du meinst." Ihr Hand war schon auf dem halben Weg ihren Kopfhörer wieder ins Ohr zu befördern, als sie inne hielt. „Hast du die Mail geschrieben?", „Jip, habe ich.", antwortete Zora sofort und grinste ihre beste Freundin an. „Gut, sonst hättest du von mir auch was zu hören bekommen. So eine Chance bekommt man nicht oft. Was guckst du denn so? Habe ich was verpasst?, erwiderte diese. „Naja, möglicherweise habe ich auch schon eine Antwort erhalten." Liv bekam große Augen. „So schnell? Und was schreibt sie? Nun sag schon! Hast du das Praktikum?" Zora kramte ihr Handy aus der Tasche. „Hier, lies selbst.", damit reichte sie es an Liv weiter. Deren Augen flogen über das Display. „Essen gehen? Ihr geht einfach so essen? Und das Praktikum hast du echt sicher, Wahnsinn, deine Kontakte möchte ich haben." Sie reichte das Handy zurück an Zora. Diese zuckte nur mit den Schultern, allerdings immer noch mit einem Grinsen im Gesicht. „Ich muss ja auch mal Glück haben." Sie überflog die Mail selbst noch einmal und konnte es immer noch nicht so ganz fassen. „Ich freue mich echt für dich. Man, wenn du da einen guten Abschlussbericht und ein vernünftiges Empfehlungsschreiben erhältst nimmt dich jede Uni. Du könntest nach Berlin, München oder Heidelberg gehen. Oder du gehst nach Düsseldorf, die sollen doch auch gut sein für Architektur. Dann ziehen wir in ne WG. Vielleicht entscheiden wir uns ja sogar für die selbe Uni."
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fragile (GirlxGirl)
RomansIhr erstes Aufeinandertreffen ist denkbar belanglos und doch hinterlässt die Abiturientin Zora einen bleibenden Eindruck bei der angesehenen Architektin Jane, der diese bald zwingt ihre fundamentalen Grundsätze zu hinterfragen. Cover by @writersfate