Die unausgesprochenen Vorwürfe, der unterschwellige Zorn. Das alles hätten sie nüchtern bereden sollen. Konnten sie das immer noch? Waren die Würfel vielleicht doch noch nicht gefallen? Zoras Blick schwenkte auf ihr halb leeres Cocktailglas neben ihr. Da sprach definitiv der Alkohol in ihr; und doch konnte sie nicht bestreiten, dass sie Jane zurück wollte, selbst wenn sie sich derart unfair verhalten hatte. Zora wollte dem Ganzen nochmal eine Chance geben, denn sie vermisste die gemeinsamen Stunden. Obwohl sie in den letzten Tagen mehr als genug zu tun gehabt hatte, schließlich war sie durchgehend auf Achse gewesen, fehlte ihr allein die Gewissheit Jane anrufen zu können, um ihre Stimme zu hören. Gott triefte sie vor Kitsch. Doch nach einem weiteren Schluck aus ihrem Glas schwebte ihr Finger dann auf einmal entgegen jeder Vernunft über der Anruf-Taste. In der Sekunde, als der Anruf aufgebaut wurde, sah Zora aus dem Augenwinkel, wie Kristina auf sie zukam. Hastig ging sie auf beenden. Was tat sie hier? Betrunken einer Ex nachheulen? Auf ihrem Abiball? Erbärmlicher ging es nun wirklich nicht.
„Hey, alles in Ordnung bei dir? Was sitzt du hier so alleine?" Na sehr schön, Zora war nicht nur erbärmlich und fühlte sich wie Schrott, man sah es ihr offensichtlich auch noch an; und das auch noch so sehr, dass Kristina, mit der sie ja nicht wirklich dicke war, sich verpflichtet fühlte sich nach ihrem Wohlbefinden zu erkundigen. Zora versuchte sich an einem Lächeln.
„Ich mache nur eine Pause." Kristina wirkte nicht überzeugt. Ihr Blick wanderte in Richtung Tanzfläche, wo Andy mit irgendetwas Blondem tanzte und fand dann mit einem mitleidigen Ausdruck zurück zu Zora. Ach wie wundervoll, dann war sie wohl Bestandteil der Gerüchteküche. Dieser Abend konnte wirklich nicht noch grausamer werden. Zora nahm einen tiefen Schluck aus ihrem Glas. Das war zum einen an sich eine schlechte Idee und würde zum anderen von Kristina völlig falsch interpretiert werden, aber mittlerweile war Zora so ziemlich alles egal. Doch dann riss sie sich noch einmal zusammen, Kristina meinte es schließlich nur gut. „Ehrlich, bei mir ist alles gut." Sie versuchte sich erneut an einem Lächeln.
„Ich glaube da vermisst dich wer." Zora wies mit dem Kopf in Richtung Kristinas Begleitung, woraufhin sich deren Wangen leicht rosa färbten. „Der wird es auch ein paar Minuten alleine aushalten." Die Beiden waren wirklich zuckersüß. „Wie lange geht das denn schon, wenn man fragen darf?", fragte Zora um zumindest von sich abzulenken, zudem war sie natürlich einfach neugierig, wie vermutlich sämtliche Anwesenden. „Drei Monate. Wir kennen uns schon seit letztem Oktober, über den Tierschutz." Kristina lächelte selig und starrte ihrem Freund nach, der gerade in Richtung Bar verschwand. „Da haben wir uns zunächst angefreundet. Ich hätte nie gedacht, dass ... naja dann ist halt irgendwann mehr daraus geworden.", „Freut mich für dich!" Und das meinte Zora auch wirklich so, Kristina war einfach jemand, dem man alles Glück der Welt gönnte. „Wir wollen im Sommer nach Indien, in einem Reservat aushelfen. Er war schon zweimal da.", „Dann lass ihn mal nicht zu lange allein.", schnitt Zora den Gesprächsfaden ab und signalisierte Kristina erneut möglichst höflich sie doch bitte in Ruhe zu lassen. Diesmal kam diese ihrem Wunsch glücklicherweise nach und ließ sie allein. Kristinas Begleitung legte sofort besitzergreifend den Arm um sie und raunte ihr etwas ins Ohr, woraufhin sie kicherte und sich an ihn schmiegte.
Besser ging es doch nicht! Ein Trip nach Paris und aufeinander abgestimmte Studienorte standen in Konkurrenz zum Tiger-Retten in Indien. Da war ja ein Pärchen harmonischer als das andere. Vielleicht sollte Zora sich das einfach ersparen und nach Hause gehen, sie würde sonst nur zu viel trinken und den weiteren Verlauf des Abends im Nachhinein bitter bereuen. Also entledigte sie sich ihres halb leeren Glases an der Bar, holte sich ihre Jacke an der Garderobe und hielt Ausschau nach Liv und Nat. Bei den beiden sollte sie sich aller wenigstens verabschieden.
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fragile (GirlxGirl)
RomanceIhr erstes Aufeinandertreffen ist denkbar belanglos und doch hinterlässt die Abiturientin Zora einen bleibenden Eindruck bei der angesehenen Architektin Jane, der diese bald zwingt ihre fundamentalen Grundsätze zu hinterfragen. Cover by @writersfate