Neunundachtzig

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Jane hörte immer noch Amy Winehouse, und wippte ihren Kopf im Takt mit. Das war mittlerweile der dritte Durchlauf, aber sie waren sich einig gewesen, dass 'Back to Black' eines der besten Alben dieses Jahrtausends war und hatten somit für heute gar nicht erst nach alternativer Musik gesucht. Es war schon faszinierend, was Zora mit ihr anstellte. Jane hatte das Gefühl sie selbst zu sein, so blöde und klischeehaft das auch klang. Sie war nicht die erfolgreiche Geschäftsfrau und Chefin, die perfekte Tochter oder ein steifes Mitglied von irgendeiner möchtegern High-Society, sondern einfach nur Jane, wer auch immer das genau war.

Das konnte sie gar nicht so genau fassen, sie hatte fast schon das Gefühl sich selbst neu kennenzulernen, was erstaunlicherweise nicht angsteinflößend, sondern aufregend war. Zora ruhige, aber direkte, aufgeschlossene Art gab ihr die Freiheit sich nicht für alles rechtfertigen zu müssen. Selbst für eine Weile mal nicht über jede noch so minimale Konsequenz nachzugrübeln. Sie war heute glücklich gewesen, hatte sich wohl gefühlt und war doch immer wieder so nervös wie eine aufgedrehte Teenagerin gewesen und hatte ein Kribbeln am ganzen Körper verspürt. Dabei hatten sie sich heute nicht einmal geküsst. Sie waren abgesehen von der Fahrt nie alleine gewesen. Da waren Zoras Mitschüler gewesen, Passanten vor der Burg oder mögliche Spaziergänger und Nachbarn vor Zoras Haus. Abgesehen von dem Moment nach dem Essen auf der Burg hatten sie sich so gut wie gar nicht berührt. Dennoch hatte Jane sich so verbunden mit Zora gefühlt, wie vorher nur selten mit einem Menschen, wenn überhaupt schon je einmal.


Zora verfolgte die Kugel, wie sie zielstrebig in die Gosse rollte. Mit einem Schulterzucken räumte sie das Feld. Sie war einfach nicht zum Bowlen geschaffen. „Ich setz ne Runde aus.", wandte sie sich an Susanne, die nur ebenfalls mit den Schultern zuckte und dann selbst eine Kugel griff. Zora ließ sich auf eine der Bänke fallen. Herr Ormann hatte darauf bestanden, dass dieses Kurstreffen noch vor dem Abiball stattfand, schließlich würden sie danach nie wieder geschlossen in ihrer kleinen Runde zusammenfinden, wenn sie alle erst einmal ausgeflogen wären.

Sie hatte wirklich Glück gehabt, dass sie bei so einem engagierten LK-Lehrer gelandet war. Aus dem Deutschunterricht war erstaunlich viel hängen geblieben. In Mathe hätte Zora jetzt schon keine einzige Ableitungsregel mehr benennen können.

Sie durchsuchte gerade die Gruppe nach Liv, als diese sich schon in ihr Blickfeld schob, um dann neben ihr Platz zu nehmen. Sie hatten seit dem Samstag, wo sie zu ca. 15 Leuten auf einem Konzert in der Nachbarstadt gewesen waren, nicht mehr gesprochen. Nun bedachte ihre beste Freundin sie mit einem kritischen Blick, während sie an ihrem mitgebrachten Cocktail nippte. Nat würde sie gleich abholen. Die Beiden waren wirklich ein Vorzeigepärchen aus dem Bilderbuch.

„Meinst du nicht, du möchtest mir etwas von Dienstag erzählen?" Zora seufzte auf. Das war dann wohl der Nachteil an dem Vorzeigepärchen. Nat hatte Liv natürlich von Zoras Abgang nach den mündlichen Prüfungen erzählt. Da kam sie jetzt wohl nicht drum herum. „Was möchtest du denn hören?", stellte sie erst einmal eine Gegenfrage, um noch etwas Zeit heraus zu schlagen, in der sie sich eine Version zurecht legen könnte. „Wieso deine Frau Neuhäuser dich abgeholte hat, und das als Überraschung, sowie ich Nat verstanden habe; und was ihr dann gemacht habt." Liv nippte erneut an ihrem Glas. Zora wünschte sie hätte ebenfalls ein Getränk vor sich stehen, einfach nur um etwas in der Hand zu haben.

fragile (GirlxGirl)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt