Neunundvierzig

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„Hey.", „Hey!", wurde sie von Jane begrüßt. „Den Koffer kannst du in den Kofferraum packen." Zora tat wie geheißen und setzte sich dann auf den Beifahrersitz. Ihr Blick schweifte durch den Innenraum des Autos. Sie hatte noch nie in einem so luxuriösem Auto gesessen. Die Aufschrift auf dem Lenkrad verriet ihr, dass es sich um einen Porsche handelte. Sämtliche Amaturen glänzten, der Boardcomputer hatte vermutlich mehr Speicherplatz, als ihr alter PC zu Hause. Zora war definitiv eingeschüchtert.

„Ich muss leider noch einmal ins Büro. Tut mir wirklich leid, aber es gab Unstimmigkeiten mit einem Großkunden. Du kannst entweder im Büro warten, aber auch gerne noch für eine Stunde in die Stadt. Ich kann dir ja schreiben, wenn ich fertig bin.", ergriff Jane das Wort. „Kein Problem. Und dann hast du mich extra abgeholt, ich hätte wirklich Bus fahren können.", erwiderte Zora. Jane blickte sie lächelnd von der Seite an, während sie diesen Koloss von Auto durch die verstopfte Innenstadt lenkte. „Versprochen ist versprochen. Und es tat mir glaube ich auch ganz gut mal für ein halbes Stündchen raus zu kommen. Wie war es denn in der Uni?" Zora schilderte ihr kurz und prägnant ihren Tagesablauf. „Und? Noch nicht abgeschreckt? Bauphysik war für mich immer der totale Horror.", erzählte Jane. „Nicht wirklich. Das war sogar der Teil, der mir am Besten gefallen hat.", erwiderte Zora zaghaft. „Ehrlich?" Jane wirkte überrascht.

„Naja, so lange Physik einen halbwegs konkreten Bezug hat komme ich damit eigentlich immer ganz gut klar.", erklärte Zora sich. Den Rest der kurzen Fahrt gab Jane zum Besten, wie sie mit ihren Kommilitonen immer gänzlich an den Übungsaufgaben gescheitert war. Da sowohl der Professor, als auch ihr Übungsleiter wohl total unfähig gewesen waren, hatten sie schlussendlich einfach die Vorjahresklausuren auswendig gelernt und gebetet. Zora fiel es schwer, sich Jane als Studentin vorzustellen. Jane in einer kleinen Studentenbude, in überfüllten Hörsälen und auf stillosen Unipartys. Dieses Bild wollte einfach nicht passen. Dieser Eindruck verstärkte sich nur noch, als Zora das Büro betrat. In den modernen, großzügigen Räumen kam sie sich völlig fehl am Platz vor. Zora blickte an sich hinab. Schwarze Röhrenjeans, schwarze Chucks, weißes Top und eine ebenfalls schwarze Strickjacke. Ohjah, sie passte hier definitiv nicht her. Der Gegensatz zu Janes Hosenanzug war extrem, Zora war halt simpel für die Uni gekleidet. Mit Bedacht nahm die auf dem cremefarbenen Ledersofa platz.

Sie hatte sich dazu entschlossen im Büro zu warten, anstatt in die Stadt zu gehen. Schließlich brauchte sie nichts und zu dieser Uhrzeit wäre es sicher brechend voll, da las sie lieber ein wenig. Jane hatte sie in einen mit Sesseln und Sofas ausgestatteten Raum geführt, der sonst vermutlich für Verhandlungen oder kleinere Besprechungen genutzt wurde geleitet. Der dunkle Parkettboden bildete einen schönen Kontrast zu den hellen Sitzmöbeln. Die zwei Beistelltische waren aus dunklem Metall, mit Glasplatten; durch die großzügigen Fenster konnte man auf die belebte Straße hinunter blicken. Auf dem Tisch vor Zora stand ein großes Glas mit Früchtetee. Jane hatte darauf bestanden Zora zumindest noch ein Getränk zu geben, wenn sie schon warten musste. Doch Zora würde den Tee mit Sicherheit erst abkühlen lassen. Sich einmal pro Tag den Mund zu versenken reichte vollkommen. Somit griff sie nach ihrem Buch, dem dritten Buch der Träume und dem letzten Band der Triologie. Sie war bereits knapp bei der Hälfte angelangt und ihr graute davor das Buch auszulesen. Aber das war nun einmal so bei wirklich guten Büchern, es tat immer weh, wenn sie zu Ende waren. Obwohl Kerstin Gier sicherlich noch viele weitere Romane veröffentlichen würde. Ob sie aber die Silber-Triologie toppen würde blieb abzuwarten. Vorerst konnte Zora ja noch ein paar Hundert Seiten genießen

Gut eineinhalb Stunden später betrat Jane den kleinen Konferenzraum. Sie war zwar eigentlich noch längst nicht fertig, aber sie hatte Zora schon lange genug warten lassen. Ihre Qualitäten als Gastgeberin waren wirklich unterirdisch. Doch als sie halb durch den Raum war hielt sie inne. Zora saß in sich zusammengesunken und völlig in ein Buch vertieft in die Ecke des Sofas gekuschelt. Aus ihrem Dutt hatten sich mehrere Strähnen gelöst, die nun ihr Gesicht umspielten. Der Tee stand gänzlich unberührt vor ihr. Sie hatte es noch gar nicht bemerkt, dass Jane den Raum betreten hatte. Mit der rechten Hand schlug sie die Seite um, ihre Augen flogen über die Seite. Verzückt betrachtete Jane die Teenagerin. Wer hätte gedacht, dass das Mädchen ihr noch sympathischer werden könnte. Zum einen war der Anblick ihrer Kleidung in diesen Räumlichkeiten schon erfrischend. Es betrat kaum jemand das Büro in Jeans; und Chucks hatten diese vier Wände definitiv noch nie von Innen gesehen.

So herrlich natürlich und normal. Zum anderen war ihre entspannte Haltung, diese Ruhe ungewohnt. Im durch und durch positiven Sinn. Sonst herrschte hier schließlich immer ein angespannte, aufgeladene und geschäftige Atmosphäre. Zora schien die Zeit anzuhalten, ihr eigenes Tempo vorzugeben.

fragile (GirlxGirl)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt