Einhundertsechzehn

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Sie war den ganzen Tag nicht online gewesen. Gestern am späten Abend hatte Zora ihr geschrieben und gefragt, ob sie gut gelandet sei. Jane hatte ihr kurz und formlos geantwortet und ihr Handy seitdem ignoriert. Das sicherlich vorzügliche Essen ging spurlos an ihr vorbei. Sie entschuldigte sich bei Lina und verzog sich so schnell wie möglich in ihr Hotelzimmer. Das Ignorieren von Textnachrichten brachte sicherlich niemanden weiter, aber sollte sie Zora einfach antworten, als ob nichts wäre? Oder war am Ende alles in Ordnung und sie machte aus einer Mücke einen Elefanten? Jane starrte durch die großflächigen Fenster in die Dämmerung. Fakt war, dass sie keine realistische Zukunft mit Zora hatte. Selbst wenn sie sich eine Traumwelt zurecht gebogen hatte, so war Zora ganz offensichtlich nicht daran interessiert diese mit ihr zu verwirklichen. Insofern sollte sie vermutlich die Reißleine ziehen, zumindest nach ihren selbst aufgestellten Vorsätzen. Den selben Vorsätzen, wegen derer sie Rupert in die Wüste geschickte hatte. Doch bei der Vorstellung die Sache, oder was auch immer das dann mit Zora war, zu beenden zog sich ihr Magen zusammen. Der physische Schmerz war so real, dass sie sich mit der Hand an den Bauch fasste und auf den nächstgelegenen Stuhl fallen ließ.

Sie öffnete ihren Nachrichtendienst schließlich doch. 'Seit ihr schon im Hotel? :)' hatte Zora am Vorabend um 19:51 Uhr gefragt. 'Sorry, hatte wirklich viel zu tun. War aber erfolgreich :)' tippte Jane eine nichtssagende Antwort. Mehr brachte sie nicht zustande. Wenige Minuten später begann ihr Handy zu vibrieren, Zora rief an. Jane nahm nicht ab. Sie war unfähig dieses Gespräch zu führen. Zunächst einmal sollte sie sich über ihren eigenen Standpunkt klar werden. Stattdessen starrte sie auf den Display, der wenige Momente später nur noch den entgangenen Anruf anzeigte und dann erlosch.

Jane bekam die ganze Nacht kein Auge zu. Gemessen daran war es umso erstaunlicher, wie gut der darauffolgende Tag verlief. Als sie am Abend auf den gelungenen Abschluss anstießen konnte Jane sich nicht wirklich freuen. Lina nahm ihre schlechte Stimmung natürlich war: „Erzählst du mir noch, warum du aussiehst, als hätte dir jemand die Reifen zerstochen?" Jane blickte zu ihrer Kollegin auf, die vor ihr stand. Sie konnte davon ausgehen, dass es wenig Sinn ergab Lina etwas vorzumachen. „Nicht meine Woche.", erwiderte sie deshalb kurz angebunden. „Ich nehme mal an das hängt mit deinem neuen Bekannten zusammen?" Jane blieb still. Sie war diese Heimlichtuerei leid. So was von leid. Es gab keinen verdammten Bekannten. Lina fuhr fort: „Aber es muss dir ja ernst mit ihm gewesen sein, wenn er Rupert Loh geschlagen hat." Sie nippte an ihrem Martini.

„Sie."

Da, es war raus. Linas Blick schnellte zu ihr auf. Sie setzte das Glas wieder ab. „Sie?" Jane nickte. Jetzt gab es wohl kein zurück mehr. Sie hatte diese Entscheidung nicht bewusst getroffen. Es war einfach so rausgeplatzt. „Oh. Das wusste ich nicht, dass du auch auf Frauen stehst. Ist es denn endgültig aus?"

Einfach so. Die Konversation lief wie gehabt weiter. So als hätte Jane gerade lediglich ihren favorisierten Beatle benannt oder ihre Abneigung gegen Tomaten bekundet und nicht ihre sexuelle Orientierung preisgegeben. Fast war sie enttäuscht, dass Linas Reaktion nicht dramatischer ausfiel, aber vor allem fühlte es sich unglaublich befreiend an ehrlich zu sein. „Nicht so wirklich. Ich weiß es nicht." Jane schüttelte erneut den Kopf und zuckte mit den Schultern. „Wir wollen glaube ich zu verschiedene Dinge." Das war die treffendste Formulierung, die sie finden konnte. Lina sah sie mit kraus gezogener Stirn eindringlich an, bevor sie einen Schluck aus ihrem Glas trank und erwiderte: „So wie du aussiehst würde ich mir da Klarheit verschaffen. Nichts für Ungut, aber du wirkst leicht mitgenommen. Rede mit ihr!"

fragile (GirlxGirl)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt