„Ich nehme einen großen Kaffee.", gab Zora ihre Bestellung auf. Sie saß zusammen mit ihrer Mutter in einem kleinen Bistro zum Brunch. Ihr Mutter hatte sie in aller Herrgottsfrühe mit dieser Idee geweckt. Also um halb zehn, aber sie war in der Nacht erst um drei nach Hause gekommen und das im ziemlich angetrunkenen Zustand. Der Abend war noch ziemlich amüsant gewesen. Ihrem Kopf ging es nach einer Aspirin auch wieder gut und nun saß sie hier mit ihrer Ma.
„Ich bin echt stolz auf dich, dass du schon so konkrete Pläne für die Zukunft hast.", knüpfte ihre Mutter wieder an ihr vorheriges Gespräch an. „Wenn ich mir überlege, wie planlos ich in deinem Alter war. Du bist ja schon fast zu vernünftig." Sie schüttelte ungläubig den Kopf, obwohl ihre Aussage nicht so ganz stimmte. Zoras Mutter hatte nach dem Abi durchaus einen Plan gehabt, wenn dieser auch vielleicht noch nicht bis zum Ende durchdacht gewesen war. Sie hatte mit Begeisterung Soziale Arbeit studiert, eine Vision gehabt anderen zu Helfen, etwas in der Welt zu bewirken. Dann war sie schwanger geworden, mit 21, im dritten Semester, was ihren ursprünglichen Plan begraben hatte. Sie war wieder in ihre Heimatstadt gezogen, hatte das Studium abgebrochen und war eine alleinerziehende Mutter geworden.
Zora hatte deshalb kein schlechtes Gewissen. Sie hatte Leute mit jungen Eltern, die sich solche Vorwürfe machten nie verstanden, schließlich hatte Zora selbst darauf ja keinerlei Einfluss gehabt. Ihre Mutter hatte die bewusste Entscheidung getroffen, sie zu behalten, anstatt sie abzutreiben oder zur Adoption frei zu geben. Außerdem war es gar nicht so schlecht eine junge Mutter zu haben. Zora und ihre Ma verstanden sich deutlich besser, als fast alle Mitschüler mit ihren Eltern. Wirklichen Streit gab es fast nie. Aber in Momenten, wie diesem wurde Zora sich wieder bewusst, was ihre Mutter alles aufgegeben hatte. Ihr selbst stand die ganze Welt offen. Sie konnte mit ihrem Leben machen, was immer sie wollte; irgendetwas verrücktes studieren, ins Ausland ziehen, Entwicklungshilfe auf der anderen Seite des Planeten leisten, sich wie sie auch wollte selbst verwirklichen. Das war angsteinflößend und eine schier untragbare Verantwortung, denn wie sie sich auch entschied, sie sagte damit immer auch nein zu anderen Möglichkeiten. Schloss Türen. Sie hatte manchmal das Gefühl sie konnte sich nur falsch entscheiden. Ihre Generation war die, die alles machen konnte, Millionen verschiedener Optionen besaß. Wenn ihre junge Mutter und deren Verzicht auf ein wildes, verrücktes Leben in ihren Zwanzigern irgendeine Auswirkung auf Zora hatte, dann dass sie sich mehr Druck machte jetzt alles richtig zu machen. Ihren Weg zu finden, sich zu verwirklichen, wenn ihre Mutter schon solche Abstriche gemacht hatte. Wobei sie das Gefühl hatte, dass sie momentan in die richtige Richtung ging. Vor allem nachdem was sie so gestern von ihren Mitschülern gehört hatte, gehörte sie zu den oberen 20%, die schon eine konkrete Idee hatten, was nach dem Abi anstand, während ein Großteil noch völlig planlos war.
„Naja, je besser ich mich vor dem Studium informiere, desto eher treffe ich die richtige Entscheidung.", erwiderte sie ihrer Mutter. „Sag ich doch, zu vernünftig für dein Alter.", kam es von dieser lachend zurück. Zora winkte ab, da ihre Mutter doch ein wenig übertrieb. „Ach komm, Liv hat sich sogar schon an Unis beworben, Nat hat auch schon zahllose Flyer angefordert und Unis besichtigt. Man muss sich einfach so langsam schlau machen.", „Vielleicht hast du dir auch einfach genauso organisierte Freunde gesucht.", konterte ihre Ma. „Wie läuft es eigentlich bei den Beiden? Sind die jetzt wirklich zusammen?", fragte sie dann betont beiläufig. Zora wusste, dass ihre Mutter immer unterschwellig davon ausgegangen war, dass aus Nat und Zora nochmal ein Paar werden würde, so oft Zora das auch abgestritten hatte. Entsprechend war sie natürlich ein wenig enttäuscht, dass das jetzt anscheinend wirklich nicht mehr passierte. Nat war schließlich der absolute Schwiegermuttertraum.
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fragile (GirlxGirl)
RomanceIhr erstes Aufeinandertreffen ist denkbar belanglos und doch hinterlässt die Abiturientin Zora einen bleibenden Eindruck bei der angesehenen Architektin Jane, der diese bald zwingt ihre fundamentalen Grundsätze zu hinterfragen. Cover by @writersfate