Einhundertachtundzwanzig

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Als Zora neben ihr auf dem Beifahrersitz Platz genommen hatte und sie in die stille Nacht hinaus fuhren wusste Jane gar nicht wohin mit ihren Endorphinen. Sie war beseelt vom Glück und sie würde Zoras Hand, so lange es ihr möglich war nicht mehr loslassen. Jane hätte dieses außergewöhnliche Mädchen an ihrer Seite beinahe verloren, das würde sie nicht noch einmal riskieren. Ihre gemeinsamen Momente waren so schön, ihre kleine heile Welt scheinbar so zerbrechlich gewesen, dass sie jedes auch nur minimal heikle Thema gemieden hatten. Das hätte sie um ein Haar in den Ruin getrieben, alles zerstört. Doch nun waren sie wieder vereint und Jane würde alles daran setzen, dass das so blieb.

Zora blickte über die Stadt. Das Wetter war nicht ganz so optimal, wie bei ihrem letzten Besuch dieses Ortes. Ein paar Wolken trübten die Sicht, dafür war es definitiv wärmer. Aber es hätte in Strömen regnen können, Zora wäre es egal gewesen. Sie saß wieder auf dem Baumstamm, so nah an Jane heran gerückt, dass sie fast auf ihrem Schoß saß. Jane hatte sie lediglich beim Ein- und Aussteigen kurz losgelassen, ansonsten waren sie ständig in Verbindung gewesen. Selbst während der Fahrt hatte Jane fest ihre Hand gehalten, so als würde sie nie wieder loslassen. Zora hatte ihre Pumps gegen die Baustellengummistiefel aus Janes Kofferraum getauscht. So waren sie das letzte Stück zu ihrem Baumstamm gelaufen. Zoras Outfit war dabei definitiv Vogue-würdig. Gummistiefel und Abendkleid, sie löste garantiert eine Fashionrevolutuion aus.

Sie saßen nun schon seit über einer Stunde hier, hatten viel geredet. So sehr Zora Liv ursprünglich belächelt hatte, mit ihrem ganzen 'der Streit hat uns stärker gemacht', musste sie ihr nun doch zustimmen. Auch wenn Zora jede Sekunde, die sie entzweit im Konflikt gestanden hatten, gehasst hatte, fühlte sich ihre Bindung jetzt stärker an. Zudem musste man sich einfach geschmeichelt fühlen, wenn die Freundin mitten in der Nacht auf dem eigenen Abiball auftaucht, um sich zu entschuldigen. FREUNDIN. Alleine bei dem Gedanken, dass diese Wort jetzt endlich eine Daseinsberechtigung hatte, real war und offiziell, hätte Zora hier und jetzt vor Freude Luftsprünge machen können.

Außerdem hatte Jane das mit dem Anhören wirklich ernst gemeint und hielt mehr als Wort. Sie fragte respektvoll, aber bestimmt nach Zoras Mutter und auch nach ihrem Vater. Nach und nach, Stück für Stück erzählte Zora von dem katastrophalen Brunch mit ihrer Ma und anschließend sogar von dem Brief ihres Vaters. Jane hört gebannt und aufmerksam zu, unterbrach Zora nicht, urteilte nicht und wertete nicht, sondern war einfach nur für sie da. Nachdem Zora geendet hatte saßen sie nur weiter stillschweigen da. Mehr wollte sie auch erst einmal gar nicht. Das da jemand neben ihr saß, dem sie sich bedenkenlos anvertrauen konnte, war schon ein kleines Wunder für sich.

Wie sie da so saß, die Nacht und die Lichter der Stadt vor ihr ausgebreitet, Jane an ihrer Seite, war Zora wundersam friedvoll in Anbetracht der Ereignisse der letzten Tage, ja Stunden. Sie war einfach nur zuversichtlich und glücklich. Die Zukunft barg viele Herausforderungen und Unwegbarkeiten. Das Outing gegenüber ihrer Mutter, ihr Vater, der vermutlich auch nicht im Sinn hatte, dass seine Tochter mit einer älteren Frau zusammen war, und ihr Studienbeginn. Aber wie sie die Vergangenheit bewältigt hatte, so würde sie auch die Zukunft meistern, erst recht mit Jane an ihrer Seite. Zora wandte sich zu ihrer Freundin um, gab ihr einen Kuss auf die Wange und kuschelte sich an ihre Schulter.

Irgendwann mussten sie dann leider aufstehen und zurück zum Auto gehen. Es war doch noch ziemlich herunter gekühlt und sie Beide übermannte so langsam der Schlaf. Als Jane vor Zoras Haustür hielt und den Motor abstellte, um Zora zu verabschieden stockte sie kurz, bevor sie sich zu Zora herüber beugte. Allerdings nicht für einen Kuss oder eine Umarmung, sondern scheinbar um das Handschuhfach zu erreichen. Dann stoppte sie jedoch erneut und wandte sich zunächst an Zora: „Eine Sache wäre da noch." Zora erwiderte fragend ihren Blick. „Ich habe am Mittwoch nicht ganz die Wahrheit gesagt.", fuhr Jane fort und griff dann in Richtung des Handschuhfachs, öffnete es und nahm einen kleinen Beutel heraus, bevor sie es wieder zuklappte. Zora war irritiert. „Die Wahrheit worüber?", hakte sie echoend nach.

Jane hatte den Blick abgewandt und starrte auf das kleine blaue Säckchen in ihrer Hand, um nach einer kurzen Pause mit ihrem Blick wieder Zoras Augen zu finden. Sie öffnete das Säckchen, indem sie es an den beiden seitlichen Kordeln aufzog. „Ich habe nicht nur überlegt dir einen Schlüssel nachmachen zu lassen.", damit drehte sie den nun offenen Beutel um und ließ den simplen silbernen Schlüssel in ihre Handfläche fallen.

„Ich hatte ihn schon nachmachen lassen." Sie drückte ihn der völlig sprachlosen Zora in die Hand. „Wenn ich das nächste Mal überstürzt weglaufe kannst du mich dann bitte im Schlaf erwürgen?", kommentierte Jane, ein kleines Grinsen um die Lippen, bevor sie wieder ernst wurde. „Damit steht dir meine Tür jetzt wirklich immer offen. Mir ist es ernst mit dir, mit uns." Zora war viel zu überwältigt, um auch nur irgendein Wort hervorzubringen. Stattdessen zog sie Jane für einen Kuss zu sich heran, den Schlüssel so fest mit ihrer Faust umschlossen, als hinge ihr Leben davon ab.

fragile (GirlxGirl)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt