Sechzig

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Zora war kurz verleitet sich kaltes Wasser ins Gesicht zu spritzen, um wieder ganz klar zu werden, aber das würde nur ihr Make-up ruinieren. Einen tiefen Atemzug nehmend verließ sie das schicke Gäste-WC und begab sich wieder in den Wintergarten zu ihrer kleinen Gruppe. In der Zwischenzeit waren noch mehr Leute zu ihnen gestoßen und Zoras Platz neben Jane war von einer dunkelhaarigen Frau eingenommen worden. Unschlüssig blieb sie in einigem Abstand vom Sofa stehen und sah sich um. Dann würde sie sich wohl an den Rand setzten müssen. Doch da fand Janes Blick sie, als sie sich gerade abwenden wollte. Jane winkte sie ungeduldig heran und klopfte auf ihren Oberschenkel. Und so saß Zora dann auf einmal auf Janes Schoß, während Rupert noch immer seine Geschichten aus Japan zum Besten gab. Er saß schräg gegenüber und war nun dabei sich mit einem Herren, den Zora nicht einordnen konnte in eine Diskussion über die langfristigen Auswirkungen von Fukushima zu verstricken.

Janes rechte Hand lag locker auf Zoras Oberschenkeln, während die linke auf der Armlehne in Reichweite ihres Weinglases ruhte. War Zora gerade noch unkonzentriert und fahrig gewesen, so nahm sie jetzt alles bis ins kleinste Detail war und hatte diesen 'das passiert mir gerade wirklich'-Moment, in dem sie fast schon ein bisschen geschockt war. Sie saß wirklich und wahrhaftig auf dem Schoß von Jane Neuhäuser, trug eines ihrer Kleider und hörte mit einem Ohr einer Debatte über Millioneninvestitionen in verschiedene Energieressourcen zu. Und da diskutierten keine wirtschafts- und politikbegeisterten Mitschüler, sondern die Investoren selbst.

Jane, die gerade einen Schluck aus ihrem Glas genommen hatte, stellte dieses weg und beugte sich leicht vor. „Hast du denn Spaß, oder sollen wir lieber vorzeitig verschwinden?", wisperte sie in Zoras Ohr. Diese drehte sich leicht zu ihr um. „Ich glaube nicht, dass" Zora warf einen schnellen Blick auf ihr Handy. „halb zwölf noch vorzeitig wäre. Und ich amüsiere mich definitiv. Oder willst du schon los?" Jane schüttelte den Kopf. „Nein. Aber ich könnte ein wenig frische Luft vertragen." Sie trank den letzten Schluck aus ihrem Weinglas. „Kommst du mit?" Zora neigte zustimmend den Kopf. „Klar!"


Die kühle Luft schaffte einen klaren Kopf. Sie waren ein gutes Stück in den Garten hinein gelaufen und somit abseits von dem Getümmel der Party. Es war lediglich noch ganz leise im Hintergrund Musik zu hören. Vor einem kleinen Springbrunnen, der an einer Weggabelung stand hielten sie an. „Rupert ist also nur ein Bekannter von dir?, begann Zora und musterte Jane von der Seite.

Als sie gerade vom Sofa aufgestanden waren, war Rupert sofort aufgesprungen, um sich nach Janes Befinden zu erkunden und sicher zu stellen, dass sie nicht schon nach Hause fuhr. Die Frage war also durchaus naheliegend, vor allem war Zora aber auch einfach verdammt neugierig. „Ja, eigentlich schon." Jane ließ ihren Blick durch die Nacht schweifen. „Wir kennen uns ja kaum." Zora zog die Augenbrauen hoch. „Und er sieht das auch so? Das wirkte anders." Jane zuckte mit den Schultern. „Vielleicht nicht ganz.", „Und wie siehst du das?", hakte Zora weiter nach. „Ich weiß es nicht. Ich meine er ist toll. Charmant. Gutaussehend. Aber ich kenne ihn wirklich so gut wie gar nicht. Bisher gibt es da also auch wenig zu berichten.", erklärte Jane sich. Zora bohrte dann auch nicht noch weiter nach, schließlich war sie selbst ja kein Fan solcher Gespräche. Doch als hätte Jane ihre Gedanken gelesen drehte sie den Spieß um: „Aber genug von mir. Du hast doch vorhin auch eine sehr nette What's App erhalten. Das war dein Freund?" Sie musterte Zora aufmerksam. „Nein, das war nicht mein Freund. Ich bin voll und ganz Single.", widersprach Zora umgehend, wie aus der Pistole geschossen. Fast schon ein bisschen zu harsch und schnell. Jane grinste. „Ach auch so ein Bekannter. So so." Jetzt wich Zora Janes Blick aus und ließ ihre Augen durch die Nacht schweifen, bevor sie ähnlich ausweichend antwortete. „Jein. Wir kenne uns vom Sehen und sind am vergangenen Freitag ins Gespräch gekommen. Mehr auch nicht.", „Ich dachte du saßt alleine draußen?", fragte Jane forsch nach. Zora nickte einmal ohne noch mehr hinzuzufügen. Jane lachte. „Du sprühst ja nur so vor Begeisterung." Zora hob zum wiederholten Male fragend die Augenbraue. „Aber du?", „Ja, wer im Glashaus und so... Vielleicht sollten wir einfach das Thema wechseln. Was hast du eigentlich gerade mit Herrn Liebert besprochen?", damit hakte Jane sich bei ihr ein und führte sie weiter vom Haus weg.

fragile (GirlxGirl)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt