Achtundsiebzig

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Er hatte bereits reserviert und ein Kellner geleitete sie unverzüglich zu einem direkt am Fenster gelegenen Tisch. Bevor er sich selbst setzte, rückte Rupert Jane den Stuhl zurecht und bestellte anschließend, ohne sie zu fragen resolut eine Flasche Champagner. „So, seit ihr am Freitag noch gut nach Hause gekommen?", erkundigte er sich, dass Kinn auf die Hände gestützt und die Ellbogen auf dem Tisch. „Ja, was haben wir denn noch verpasst?", erwiderte Jane, in aufrechter Haltung, ihre Unterarme lagen ruhig auf dem Tisch, rechts und links von dem Gedeck. „Nichts weltbewegendes. Die letzte Gäste sind so gegen kurz nach vier gefahren." In dem Moment kam der Kellner schon wieder an ihren Tisch zurück, um den Champagner zu bringen. „Auf dich!", prostete Rupert ihr mit erhobenem Glas zu. Jane nickte ihm zu, erhob ebenfalls ihr Glas, erwiderte jedoch nichts und trank einen Schluck.

„Hat die gute Zora sich denn schon entschieden, welche Richtung sie einschlagen möchte?", fuhr Rupert fort, ganz klar im Glauben die Konversation mit einem unverfänglichen Thema zu starten. Janes Magen zog sich zusammen. Ihr wäre so ziemlich alles lieber, als sich jetzt mit Rupert über Zora zu unterhalten. Glücklicherweise ließen sie dann aber schnell wieder von diesem Thema ab und der Rest des Abend war wirklich sagenhaft. Das Essen war sensationell gut; Rupert war intelligent und gebildet, weshalb das Gespräch ansprechend war. Ihr weitgefasster Bekanntenkreis überschnitt sich, wodurch sie unter anderem mehrfach über die teilweise zweifelhaften Machenschaften des Bürgermeisters herzhaft lachen konnten. Als sie das Essen beendet hatten schlug Rupert vor, noch auf einen Drink in eine Bar zu gehen. Jane war versucht zuzusagen, aber so hervorragend und grandios diese Date auch gewesen, ihr Vorsatz seit der Scheidung von Christian war, keine Beziehung oder auch nur Affäre einzugehen, lediglich weil es ganz nett war und objektiv betrachtet passte. Das hatte sie sich auch gesagt, bevor sie zu der Ausstellungseröffnung gegangen war; und wie sie nun hier saß, musste sie sich eingestehen, dass Rupert zwar unverschämt attraktiv war und momentan vermutlich gute Chancen auf den Titel des 'Begehrenswertesten Junggesellen der Stadt' hatte, er für Jane aber nicht der Richtige war. Da war keinerlei Chemie oder Anziehung von ihrer Seite aus.

Sie wusste, wie das enden würde, wenn sie jetzt weiter in eine Bar gingen. Man musste kein Genie sein, um zu wissen, wie das dann weiter ginge. Sie waren schließlich Beide erwachsen. Jane war keine prüde Nonne, vor allem in ihrer Studienzeit, war sie einige Semester lang jedes Wochenende unterwegs gewesen und hatte so ihre Erfahrungen gemacht. Nur langfristig oder vermutlich sogar eher schon mittelfristig war Rupert leider Christian in ein wenig älter und deutlich erfolg- und einflussreicher. Blendend und märchenhaft für die ersten Wochen oder vielleicht Monate, aber letztendlich nicht das, was Jane glücklich machte.

Sie blieb konsequent, bedankte sich für die Einladung, verabschiedete sich und fuhr allein nach Haus. Dort ging sie dann aber nicht sofort ins Bett, sondern griff sich eine Weinflasche aus dem Kühlschrank. Die Flasche und ein Weinglas in der einen, eine Wolldecke in der anderen Hand ging sie hinaus auf die Terrasse. Es war richtig gewesen Rupert stehen zu lassen. Die Frage war nur, weshalb sie dieser war gewordene Traum von einem Gentleman, sie so kalt ließ. Jane schenkte sich ein Glas ein und trank einen ersten Schluck. Wenig später hatte sie ihr Handy hervor geholt und den Verlauf mit Zora geöffnet. Sie rief Zoras Profil auf. Ihr Foto war eine Profilaufnahme im Freien. Sie trug die Haare im lockeren Dutt, hatte ein dunkelgraues T-Shirt an und einen Schal um den Hals geschlungen. Jane sperrte den Bildschirm und ließ die Hand mit dem Handy darin wieder sinken. Lange starrte sie in den Himmel, trank einen zweiten, größeren Schluck Wein, entsperrte den Bildschirm wieder und ging auf Wählen.

fragile (GirlxGirl)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt