Sechsundzwanzig

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„Und?", „Mein Urteil bleibt positiv.", antwortete Jane. Nicht, dass sie auch nur einen Hauch von Ahnung von Kunst gehabt hätte, aber in soweit sie das beurteilen konnte waren die Fotos wirklich gut. Die Aufnahmen zeigten krebskranke Kinder rund um den Planeten. Teilweise mit ihren Familien und Freunden, teils Portraitfotos, sowohl an guten, als auch an schlechten Tagen. Man bekam ein Gespür für das Leiden der Kinder vermittelt, ohne abgestoßen oder entfremdet zu werden. Die letzten Bilder zeigten Friedhöfe, teils offene Gräber umringt von Familien, einzelne Trauernde vor Blumenmeeren und abschließend ein bedrückendes Foto, eines vernachlässigten Grabes, dass ausgestorben dalag.

Herr Loh atmete übertrieben erleichtert aus. „Da bin ich aber froh." Jane lachte. „Stimmt, meine Meinung ist sicher äußerst ausschlaggebend, da ich ja eine weltweit anerkannte Kunstkritikerin vom Dienst bin." Doch Herr Loh wurde unerwartet ernst. „Ich meine das wirklich so. Ich halte sehr viel von ihrer Arbeit, deshalb interessiert es mich auch ehrlich, was sie hiervon halten." Jane wurde unwohl zu Mute, sie hatte ihn ja nicht kränken wollen. „Verstehen sie mich nicht falsch, ich möchte ihre Arbeit auf gar keinen Fall ins lächerliche ziehen. Seien sie mir nicht böse, aber ich verstehe wirklich nicht viel von Kunst. Ich sehe nur viele wundervolle Fotos, die die Geschichten verschiedener Individuen erzählen und auf eine Krankheit und unsere verschiedenen Ansätze damit umzugehen, aufmerksam machen. Der Grundgedanke der Ausstellung ist wirklich wichtig und wird viel zu wenig behandelt. Die Umsetzung ist, soweit ich das beurteilen kann grandios gelungen. Man fühlt mit den Menschen auf den Fotos richtig mit, erliegt der Illusion man könnte ihr Leid nachempfinden."

Jane unterbrach ihren kleinen Monolog. Sie hatte schon viel zu viel geschwafelt und Herr Loh hielt sie sicher längst für beschränkt und unhöflich. Dieser entspannte sich allerdings wieder und erwiderte: „Keine Sorge, sie haben mich nicht verärgert, keineswegs. Ich denke nur, dass ihre Herangehensweise an Kunst, mit Verlaub, völlig falsch ist. Was sie da beschreiben ist genau das, was ich mir erhofft hatte. Oder besser gesagt vorwiegend der Künstler. Ich habe das Ganze ja nur abgenickt und minimal bei dem Arrangement der Bilder mitgewirkt. Diese Emotionen, die Tatsache, dass sie sich mit globalgesellschaftlichen Problemen konfrontiert sehen, das soll die Ausstellung leisten. Das ist Kunst! Dazu braucht es keine studierten Kunstkritiker, die sich stundenlang über die Bedeutung von Details streiten." Jane nickte. „Gut, da muss ich ihnen natürlich auch wieder recht geben.", „Ob ein von ihnen geplantes Gebäude schön ist, oder nicht, dass darf ich doch auch ohne Architekturstudium entscheiden.", fuhr er fort. Jane schmunzelte. „Da sie von unserem Entwurf für das Stadtmuseum ja wie ich vernommen habe angetan sind, stimme ich ihnen mal zu.", antwortete Jane unverfroren. Herr Loh lachte laut auf. „Da bin ich aber geehrt. Und bitte, lassen sie und doch du sagen. Rupert." Er streckte ihr seine Hand entgegen. Jane ergriff diese. „Jane." In dem Moment gesellten sich Lina und Tom erneut zu ihnen. „So, wir wollen so langsam heim.", sagte Lina. Jane war schon im Begriff sich anzuschließen, doch Rupert kam ihr zuvor. „Dann hoffe ich, dass sie einen angenehmen Abend hatten. Ich wollte Jane gerade fragen, ob sie noch mit uns mitkommen möchte. Das Team wollte zur Feier des Tages noch in eine Bar gehen."

Lina sah Jane mit großen Augen an, als Rupert diese beim Vornamen nannte, fing sich dann jedoch sofort wieder. „Wir hatten einen wunderbaren Abend und nun wollen wir auch nicht weiter stören." Sie umarmte Jane zum Abschied. Natürlich nicht ohne ihr ein überdrehtes „Viel Spaß." ins Ohr zu raunen. Auch Tom verabschiedete sich herzlich, sodass Jane anschließend wieder mit Rupert alleine dastand. Sie war ein wenig perplex. So hatte sie den Abend definitiv nicht vorhergesehen. Aber Rupert war nett, wirklich nett. Und wie Lina gesagt hatte musste sie sich vielleicht wirklich einfach mal überwinden, ins kalte Wasser springen. „Also, was hältst du noch von einem Drink? Das ist ein wirklich nettes Lokal, in dem wir da reserviert haben."

fragile (GirlxGirl)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt