Einhundertvierzehn

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Jane schloss den Trolli etwas zu schwungvoll. Wie hatte sie sich nur so schnell von dieser Beziehung/kurzweiligen Bekanntschaft/Affäre oder was auch immer einnehmen lassen können? Sie hatte ja schon eine gemeinsame Zukunft gesehen, sah sie immer noch. Eine Zora, die in Düsseldorf studierte, sodass sie quasi jede freie Minute miteinander verbringen konnten, gemeinsame Urlaube und ein gemeinsamer Freundeskreis. Das Problem war nur, dass selbst ihre bisher angestellten pessimistischen Schlussfolgerungen voraussetzten, dass Zora etwas für sie sie empfand. Wenn Jane rational an die Sache heran ging, so sollte sie auch das in Frage stellen, schließlich hatte eindeutig Jane den ersten Schritt gewagt, den ersten Kuss initiiert und auch den zweiten.

Sie war es gewesen, die Zora auf Ruperts Party mitgenommen hatte, ach was, die Zora überhaupt eingeladen hatte bei sich zu wohnen, für ein 'Schnupper-Schülerpraktikum'. Sosehr Jane auch zu Beginn versucht hatte das mit rein geschäftlichen Gründen vor sich selbst zu rechtfertigen, im Nachhinein gab das alles ein ziemlich klares Bild ab. Egal ob bewusst, oder unbewusst, ihre Intention war von Beginn an zu erahnen gewesen. Und auch wenn es ihr um Zora, mit ihrer Intelligenz und ihrem humorvollen Charakter ging, und eben nicht um die heiße 19-Jährige, so konnte sie wohl kaum mit Sicherheit sagen, dass das auf Gegenseitigkeit beruhte. Denn obwohl Jane sich mit Nichten darauf reduzieren wollte, konnte sie doch nicht verneinen, was sie von Außen betrachtet war. Eine erfolgreiche, angesehene und wohlhabende Geschäftsfrau mit Beziehungen in die Wirtschaft. Jemand, an dessen Seite man gerne gesehen wurde, ein Karrieresprungbrett. Zora hatte sich ziemlich schnell sehr gut mit Janes Bekanntenkreis verstanden, sei es nun auf Ruperts Party gewesen oder an dem Konzertabend. Jane würde sicherlich nicht so weit gehen und ihr unterstellen, dass sie einfach nur eine berechnende Egoistin war, die das alles von langer Hand eiskalt geplant hatte. Auf gar keine Fall. Aber inwieweit hatten diese Fakten mit reingespielt, wenn auch vielleicht nur unterbewusst?

Jane besann sich auf den Nachmittag, als Zora sich quasi bei Jane beschwert hatte, dass sie dank ihr das Praktikum bei Niggenbölling bekommen hatte. Jane hatte sie damals für übermäßig korrekt erklärt, aber Zoras Argumente waren nicht unbegründet gewesen. Zora hatte zwar Talent und verdiente definitiv alle Chancen, die ihr geboten wurden und sich ihr noch bieten würden, aber ohne Jane hätte sie zumindest die aktuellen Möglichkeiten nie erhalten. War dieser Anflug von moralischen Bedenken ein Aufblitzen von Zoras grundsätzlichen Bedenken gewesen? Da sie sich der Situation einfach nur hingegeben hatte, da sie sich so perfekt geboten hatte, ohne ganz dahinter zu stehen? Jane hatte das Bedürfnis auf irgendetwas einzuschlagen, oder zumindest irgendetwas oder -wen anzuschreien, einfach nur um ihrem Frust Luft zu machen. Sie sah sich vor ihrem inneren Auge schon einen Schuh aus dem Regal zu ihrer Rechten an die gegenüberliegende Wand schmeißen. Ihr war als sei sie aus einem seidenweichen, kuscheligen Bett auf steinharten, bitterkalten Boden gefallen.

Heute morgen hatte sie noch ihre rosarote Brille aufgehabt, ihre Welt war einfach einfach zu perfekt gewesen, um wahr zu sein. Wie passend, dass sie genau das offenbar gewesen war. Zu schön, um wahr zu sein. Jane war schon viele Dinge gewesen, aber nie naiv. Man erwischte sie nicht eiskalt, sie war immer auf alles vorbereitet, hatte noch einen Trumpf in der Hinterhand. Doch jetzt fühlte sie sich geschlagen, ausgeliefert, hintergangen und hilflos. Resigniert verließ sie ihre Wohnung, bevor sie noch ihren Flug verpasste. Der Tag musste ja nicht noch traumatischer werden. Am Flughafen traf sie auf Lina, die sie auf dieser Reise begleitete. Wie wunderbar, dass sie Lina gestern Abend noch indirekt einen von Zora vorgeschwärmt hatte und nun überhaupt nichts mehr wusste. „Du wirkst ein wenig miesepetrig.", bemerkte Lina dann auch passenderweise sofort, als sie sich nach dem Check-In noch kurz bei Starbucks niederließen. „Zu wenig geschlafen.", erwiderte Jane nur. „Deine Arbeitsethik müsste man haben.", kommentierte Lina das und bohrte dann zum Glück vorerst nicht weiter nach. Jane ließ sie gerne in dem Glauben, sie hatte keinerlei Bedürfnis sich weiter mitzuteilen.

fragile (GirlxGirl)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt