Zweiunddreißig

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Jane fasste sich an die Stirn und atmete einmal tief durch. Sie war es einfach nicht mehr gewohnt unter der Woche mehr als ein Glas Wein zu trinken. Obwohl sie sich eingestehen musste, dass der gestrige Abend Spaß gemacht hatte; und Rupert war wirklich toll. Lina hatte sie in der Mittagspause über den restlichen Verlauf des Abends ausgequetscht. Jane war leider gänzlich daran gescheitert die Sache einfach abzutun oder herunter zuspielen, was wahrscheinlich im Wesentlichen daran lag, dass um halb zehn ein Herr im Anzug mit einem riesigen Blumenstrauß vor der Brust das Büro betreten hatte. Der Strauß kam von Rupert und in ihm steckte die Einladung zu der Gartenparty zusammen mit einer kleinen handschriftlichen Notiz von ihm:

Danke für den schönen Abend. Ich hoffe wir sehen und nächste Woche, Rupert.

Lina schien fast begeisterter als Jane selbst. Wenn man ihr so zuhörte konnte man fast meinen Jane und Rupert stünden kurz vor der Verlobung. Jane freute sich wirklich eine Freundin zu haben, die sich ehrlich Gedanken um sie machte und ihr Bestes wollte. Das war ein gutes Gefühl, dennoch musste sie Lina definitiv bremsen. Klar, Rupert war gutaussehend, charmant und hatte Charisma, aber mehr sah Jane da bisher einfach nicht; und sie würde mit Sicherheit nichts erzwingen oder nur mit halbem Einsatz betreiben. So viel hatte sie aus ihrer gescheiterten Ehe gelernt. Sie verbrachte gerne Zeit mit Rupert und würde auch nächste Woche auf die Party gehen, dort vermutlich eine Menge Spaß haben, aber sie würde sich auf nichts einlassen, wo sie nicht zu 110% hinter stand. Jane nahm eine 400er Ibo und spülte mit einem großen zug stillem Wasser hinterher. Sie hatte noch einiges zu erledigen.

Ihr Blick fiel auf ihren Notizblock, wo sie jeden Tag eine neue To-Do-Liste notierte. Fast alle Kollegen nutzten dazu ihr Handy, aber in dieser Beziehung war Jane altmodisch. Sie schrieb lieber mit der Hand, schließlich war es sogar wissenschaftlich bewiesen, dass man sich per Hand notiertes besser merken konnte. Das hatte sie von ihrer Mutter. Jedes von deren Skripte war zunächst auch mit ihrem geliebtem Montblanc Füller verfasst worden. Sie hatte das schreiben fast schon wie ein Ritual zelebriert. Schreibmaschinen waren in ihren Augen Teufelswerkzeuge gewesen. Mit Computern hatte sie sich nie auch nur im Ansatz befasst.

Mittlerweile konnte man ihr ihre eigenen Skripte in die Hand geben und sie erkannte sie nicht wieder. Jane mochte sich gar nicht vorstellen, wie es war den eigenen Lebensinhalt einfach zu vergessen. Kein Wunder, dass sie Berührungsängste hatte. Und damit war sie in Gedanken bei Zora.

Die hatte definitiv keine Berührungsängste gehabt. Die Mail von gestern Nacht hätte sie am liebsten wieder rückgängig gemacht. Sicherlich war es keine Horrornachricht, wie sie manch anderer schon im alkoholisierte Zustand verfasst hatte, aber doch wesentlich informeller als alles was sie im nüchternen Zustand je getippt hätte. Dennoch erfasste sie Vorfreude, wenn sie an das morgige Treffen dachte. Falls Zora überhaupt so kurzfristig Zusagen würde.

Jane öffnete ihren Mailaccount, und siehe da, Zora hatte vor wenigen Minuten geantwortet. Sie würde kommen. Ein Lächeln umspielte Janes Lippen. Dann galt es jetzt also einen Tisch zu reservieren. Außerdem sollte sie Steffi fragen, ob sie Zora im Zweifelsfall ein Praktikum anbieten würde, schließlich hatte sie Zora gesagt, dass sie sie auch an einen Innenarchitekten vermitteln könnte. Jane fiel kein Grund ein, warum Steffi sie versetzten sollte, aber sie sollte wohl trotzdem noch einmal nachhaken. Einen kurzen Anruf später hatte sie das geklärt. Steffi würde Zora jederzeit aufnehmen. Jetzt musste sie sich nur noch um ein Restaurant kümmern. Wo sollten sie bloß hingehen? In Düsseldorf kannte sie zig Adressen, aber Winterbaum bot wohl kaum viele Möglichkeiten. Sie wollte ihren Vater ja heute eh noch anrufen, um zu fragen, wann genau er morgen entlassen wurde. Der wusste da bestimmt Rat. Somit griff sie erneut zum Hörer. Kurz hielt sie inne. Normalerweise erledigte ihre Sekretärin jegliche Reservierungen und dergleichen für sie. Klar, die Lage war ein bisschen anders, das das Essen nicht in Düsseldorf, sondern in einem kleinen Örtchen auf dem Land stattfand, aber trotz all dem hatte sie primär das Bedürfnis die Sache unabhängig von den Umständen selbst zu erledigen.

fragile (GirlxGirl)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt