Kapitel 10

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Warum war Savannah nicht da, wenn sie gebraucht wurde. Alice hetzte im Haus umher, wie ein aufgescheuchtes Huhn, auf der Suche nach ihrer Schwester.
'Ich kann heute Abend nicht in den Pub. Es geht nicht. Nein!' Alice rutschte an der Innenseite ihrer Zimmertür zu Boden und fuhr sich verzweifelt durch ihre Haare. Es war zu früh. Sie würde den ganzen Abend im Mittelpunkt stehen und dies hasste Alice. Eigentlich verabscheute sie es. Sie würde an einem anderen, ganz normalen Abend, in den Pub gehen. Einfach so. Sich still in eine Ecke setzen, um alles zu beobachten. Ohne groß aufzufallen.
„Alice?“ John kam in die Küche von Savannah, um seine Schwester abzuholen. Doch nichts rührte sich, als er nach Alice rief. „Alice komm schon, wir müssen in den Pub.“
„Savannah?“, rief es dann doch aus dem oberen Stock.
„Nein. Ich bin es, John. Alice, wir müssen los.“
„Ich kann nicht.“ Alice Stimme klang verzweifelt.
'Frauen', verdrehte John die Augen und ging nachsehen, worin das Problem wohl bestehen könnte. Er ahnte es jedoch.
„Warum ist Savannah nicht hier?“ Alice klang leicht vorwurfsvoll.
„Du weißt doch, so kopflos, zerstreut und völlig desorientiert Savannah im Alltag zuhause sein kann, desto grösser ist ihr organisatorisches Talent im Pub. Und genau dies braucht es an diesen Abenden.“ Ein Blick in Alice Zimmer genügte und John wusste, dass die Kleiderfrage, wohl noch nicht gelöst war. Alice hatte gefühlt ihren gesamten Schrankinhalt im Zimmer verteilt. „Sag mal, ist bei dir eine Bombe eingeschlagen? Oder was soll dieses ganze Chaos hier? Und weshalb, bist du noch nicht fertig?“
„Ich habe nichts an zuziehen.“ Alice war völlig durch den Wind und raufte sich erneut durch die Haare.
In Alice Blick konnte John jedoch noch mehr sehen. Etwas, was ihm sagte, dass er sich jetzt erst einmal Zeit für seine kleine Schwester nehmen musste. Ohne sie zu drängen. Sie hatten ja auch noch etwas Zeit. „Alice, beruhige dich. Es ist bloß der Pub.“ John nahm Alice Hände, die eiskalt waren und zitterten, in seine und setzte sich mit ihr aufs Bett. „Nervös?“
Alice nickte.
„Wieso, Alice? Der Pub ist dein Zuhause.“ John zog Alice an sich und drückte ihr einen Kuss auf die wilden Haare. Die hatte er schon immer gemocht an seiner Schwester. Sie machten sie zu diesem besonderen Wesen, dass sie war. John hoffte, dass es noch irgendwo in Alice war. Wenn auch tief verborgen. Dann bestünde zumindest die Hoffnung, dass es irgendwann wieder hervor geholt werden konnte.
„In dem ich zehn Jahre nicht mehr war.“ Alice war froh, dass John hier war. Sie vergrub ihr Gesicht an seinem Hemd und fühlte sich sogleich sicher.
„Na und? Weißt du wie viele Leute in den letzten Tagen bereits nach dir gefragt haben? Das ganze Dorf freut sich darüber, dass du endlich wieder hier bist. Egal, wie lange du weg warst. Pete und Marv, freuen sich so sehr, dich heute endlich wieder zu sehen.“
Über Alice Gesicht, huschte ein Lächeln, als sie zu John hoch sah.
„Du wirst sehen, es wird gut gehen und so sein, als ob du nie weg gewesen wärst.“ John strich eine Haarsträhne aus Alice Gesicht und stand auf, um etwas Passendes zum Anziehen zu suchen.
„Und jetzt zieh dich um und mach dich noch etwas hübscher, als du ohnehin schon bist, damit wir endlich los können.“ John hielt Alice eine Jeans und eine Bluse hin.
Alice atmete tief durch und verschwand mit den Klamotten im Bad.

John würde wohl nie verstehen, wir Frauen einen vollen Kleiderschrank haben können und dennoch immer das Gefühl hatten, nichts zum Anziehen zu haben. Kopfschüttelnd, verließ er Alices Zimmer, um unten in der Küche, auf seine Schwester zu warten.
Es grenzte beinahe an ein Wunder, dass Alice der Idee von Savannah zugestimmt hatte, ging es John durch den Kopf, als er in der Küche saß und ein Glas Wasser trank. John war sich nicht sicher, ob es der richtige Weg war. Wusste er jedoch auch, dass Alice wieder ein richtiges Leben, leben musste. Was das, was sie seit einem Monat tat, nicht war. Das war eher ein Aufarbeiten des widerfahrenen Traumas. Am liebsten würde John seine kleine Schwester in Watte packen, um sie vor der bösen Welt zu beschützen. Was ihr, da musste er Savannah natürlich mal wieder zustimmen, rein gar nichts helfen würde. Im Gegenteil. Nichts desto trotz, war Alice nun mal seine kleine Schwester, die er beschützen wird, wenn es denn nötig sein sollte.
„Du bist der beste Bruder der Welt.“ Zwei Arme, die sich von hinten um seinen Hals legten und ein Schmatzer auf seiner Wange, rissen John aus seinen Gedanken.
Lächelnd, drehte er sich zu Alice um und stand auf. „Lass dich ansehen.“ John drehte Alice einmal um sich selber. „Gut siehst du aus. Damit wirst du den Männern den Kopf verdrehen.“ Zwinkerte er, wobei er mal schön für sich behielt, welchen Kopf sie als erstes verdrehen würde.
Alice funkelte ihren Bruder böse an, worauf dieser abwehrend die Hände in die Luft hob. „Keine Sorge Schwesterchen, ich werde höchstpersönlich dafür sorgen, dass dir keiner zu nah kommen wird, wenn du es nicht willst.“
„Auch dieser Conner?“ Bei seinem Namen, verdrehte Alice die Augen. Konnte jedoch nicht verhindern, dass sich etwas in ihr freute, ihn wieder zu sehen.
Das hatte sein Freund ja wirklich wunderbar hinbekommen. „Conner ist nicht nur in Ordnung. Er ist der beste Freund, den man haben kann. Glaub mir. Da kannst du uns vertrauen.“ Alice Blick, sagte John jedoch etwas anderes. Vertrauen war ein Wort, welches nur noch im begrenzten Kreis, in ihrem Wortschatz vorkam. „Aber ja, wenn es sein muss, auch Conner.“ Das würde nicht einfach werden, die zwei auf einen Nenner zu bringen. Es musste jedoch klappen, denn sonst würde es schwierig werden, weil Conner neben Sean, ihr fünftes Familienmitglied war.
„Danke.“ Alice Blick  war wieder versöhnlich und ihre Stimme nur ein Flüstern.
„Nicht dafür, Ali.“ John legte den Arm um Alice und zog sie an sich heran, um ihr einen Kuss auf den Scheitel zu geben.
Alice schloss dabei die Augen. Wie hatten ihr, all die Jahre, diese kleinen, aber umso wertvolleren Gesten der Zuneigung gefehlt. Stück für Stück, versuchte sie diese nun auch wieder zulassen.
„Bereit?“ John sah sie fragend an.
Alice atmete tief durch, nickte jedoch dabei.
„Na dann komm.“ John nahm ihre Hand und verließ mit Alice das Haus, um endlich in den Pub zu kommen.

Eine Handvoll Leute, hatten sich bereits im Pub eingefunden, als Alice, immer noch an der Hand von John, diesen betrat. Fest umschloss sie die starke Hand von ihrem grossen Bruder, als würde sie heute lauter unbekannte Menschen kennenlernen.
Wo nahm diese zierliche Person so viel Kraft her, fragte sich John. Da mussten eine Menge an Emotionen im Spiel sein. „Niemand wird dir hier etwas tun, Ali.“, flüsterte John und drückte einen Kuss auf Alice Haare. „Das sind alles deine Freunde.“
„Ich weiß.“ Nickte Alice und ließ ihren Blick schweifen. Dabei sah sie in viele bekannte Gesichter, die ihr liebevoll entgegen lächelten. Es war ein komisches und gleichzeitig gutes Gefühl. Ein Stück Heimat und Freiheit, welches sich Alice wieder zurück eroberte. Es waren zumindest ein paar Schritte in diese zurück.
Alice Blick fiel auf Conner, der hinter der Bar stand und fleißig dabei war, Bier zu zapfen, um die ersten Durstigen zu versorgen. Dabei unterhielt er sich angeregt mit Pete. Sein Lachen, breitete sich im Pub aus. Es war warm, wohltuend und sollte niemals enden. Conner trug, anders als an jenem morgen, ein schwarzes Hemd. Welches seinem sportlichen Oberkörper schmeichelte. Die Ärmel, hatte er bis zu seinen Ellbogen zurück gekrempelt, so dass seine starken Unterarme sichtbar waren, an denen sich gerade all seine Muskeln anspannten, als Conner sie auf der Bar abstützte, um eine junge Frau zu begrüßen. Seine Handgelenke zierten einige Lederarmbänder. Die Hände waren schlank und von markanten Sehnen und Adern durchzogen, was sie kräftig aussehen ließen. Conners Haare waren genauso unordentlich, wie vor ein paar Tagen und was Alice erst jetzt auffiel, an den Schläfen zog sich ein leichter Grauschimmer hindurch. Um seine Augen, konnte Alice einige Fältchen ausmachen, welche das strahlende Blau umrandeten, wenn Conner lachte, wie gerade eben wieder.
Alice biss sich, unbewusst auf ihre Unterlippe. Was für ein Anblick, schoss es ihr durch den Kopf. Wie konnte man nur so verboten gut aussehen und dabei auch noch sympathisch wirken? Das tat Conner heute, musste Alice zu geben. Doch der scheinbar perfekte Schein, konnte trügen. Das hatte Alice in den letzten Jahren zur genüge erlebt, wenn es um Männer ging.
Genau in dem Augenblick, als Alice diesen Gedanken hatte, sah Conner zu ihr rüber. Seine Ozeanblauen Augen, trafen auf ihre und für den Bruchteil einer Sekunde war es, als könne Conner in Alice Seele blicken. In seinen Augen, könnte man sich verlieren und ganz tief darin versinken, wenn man es zu ließ. Dies würde Alice jedoch nicht wagen. Nicht einmal daran denken, es zu tun. Niemals.
„Wenn du dich an unserem Sunnyboy satt gesehen hast, können wir weitergehen und mit arbeiten beginnen.“ Alice wurde aus ihrer Trance gerissen. John grinste seine Schwester, zwinkernd an.
„Idiot.“ Kniff Alice ihn in den Arm. Was war nur los mit ihr? Warum half ihre Mauer nicht gegen Conners Ausstrahlung?

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