Kapitel 54

4 1 0
                                    

„Alice Schatz, kommst du runter, um den Baum zu schmücken?“
Weihnachten. Letztes Jahr zu der Zeit, hätte sich Alice nicht träumen lassen, dass sie in einem Jahr wieder zuhause, im Kreise ihrer Familie war. Es war ihr größter Wunsch. Wenn ihr Plan aufgegangen wäre, so hätte es auch geklappt. Doch stattdessen, verbrachte Alice Weihnachten im Krankenhaus. Mit der Angst im Nacken, jeden Tag von Brian abgeholt und wieder in die Hölle zurück gebracht zu werden. Was ihr Ende bedeutet hätte. Den Brian hätte diese ganze Aktion, nicht ungestraft an ihr vorbeiziehen lassen. Soweit kam es jedoch nicht. Dafür lag eine neue Zukunft vor Alice. Ungewiss, wie genau sie aussehen würde. Mit der sicheren Gewissheit, dass sie frei sein würde.
Jetzt stand sie da, zuhause in Irland und sah den kleinen, feinen Schneeflöckchen zu, wie sie fröhlich vom Himmel tanzten. Es war wohl eines der wenigen Male, die es in diesem Winter schneien würde, da Schnee nicht unbedingt zur Regel, in Irland gehörte. Von unten drangen weihnachtliche Klänge, Lachen und der leckere Duft von frisch gebackenen Plätzchen, in ihr Zimmer.
Alice und Savannah, hatten einen großen Spaß, beim Backen der Plätzchen. Die Küche sah danach aus wie ein kleineres Schlachtfeld. Voll Mehl und anderen Zutaten. Genau, wie sie beide auch. So war Weihnachten perfekt. Es waren diese kurzen, aber umso kostbareren Momente, in denen Alice sich wohl fühlte und die neu erhaltene Freiheit in jedem Winkel ihres Körpers spüren konnte. Momente, die noch immer nicht zur Normalität in Alice Leben gehörten. Sie konnte sich, bis heute nicht entspannen, sich endlich mal fallen lassen und darauf vertrauen, dass alles gut ist und wird. Weshalb die Schwere, Alice schneller wieder heimsuchte, als es ihr lieb war. Genau wie eben, als sie sich mit einer Dusche, für den Abend fertig machte und wieder mit sich und ihren Dämonen alleine war.
„Alice?“ Savannah versuchte ihre kleine Schwester erneut aus ihren Gedanken zu holen. Sie steckte wieder viel zu oft ihnen fest und es brauchte die Bemühung von ihnen allen, um Alice so oft es ging, aus diesen raus zu holen.
„Gib mir noch einen Moment.“  
„John ist auch gerade gekommen. Und er hat nach dir gefragt.“ Savannah ging auf Alice zu und legte ihre Arme um sie. „Wir würden wirklich sehr ungern ohne dich anfangen. Es ist doch unser erstes gemeinsames Weihnachten seit…“ Savannah brach mitten im Satz ab. „Du hast uns all die Jahre so sehr gefehlt. Und vor allem an Weihnachten. Jetzt haben wir dich endlich wieder, was wir endlich so richtig feiern wollen.“
Alice Mund formte sich zu einem Lächeln.
Was Savannah nicht sehen konnte war, dass es ihre Augen nicht erreichte. Sie wusste es jedoch auch so. Seit diesem Abend, mit dem ominösen Telefonanruf, war wieder etwas in Alice zerbrochen. Das kleine Stück Hoffnung, welches sie sich die Wochen davor, mühsam zurück geholt und zusammen geflickt hatte. „Conner wird auch gleich hier sein.“
Alice nickte. „Ich komm gleich nach.“
„Ok. Hab dich lieb meine Kleine.“ Savannah drückte einen Kuss auf Alice Haare und verließ das Zimmer. Wann dieses gleich sein würde, war sie sich dabei nicht sicher. Wahrscheinlich musste sie zuerst jemand anderes noch hoch zu Alice schicken. Conner war der einzige Mensch, dem es scheinbar gelang, tief in ihr Inneres vorzudringen und dort Dinge zu heilen oder hervor zu holen, die unter dem Schutt der Vergangenheit verborgen waren.

„Wo ist Alice?“ Wollte John wissen.
„Sie ist noch oben. Aber kommt gleich, hat sie gesagt.“, antwortet Savannah auf Johns ungeduldige Frage. Begrüßte danach Conner mit einer liebevollen Umarmung. „Ich habe das Gefühl, da braucht dich jemand gerade ganz dringend.“, flüsterte sie ihm dabei zu.
Conner nickte und verschwand im oberen Stock.
Leise, öffnete er die Tür. Alice stand am Fenster und machte keine Anstalten, runter zu kommen. Sie schien einmal mehr, in tiefen Gedanken versunken zu sein. Seit dem sie ihr schweres Geheimnis gelüftet hatte, war Alice nachdenklicher und Stiller, als davor. Oftmals, war sie genau so abwesend, wie gerade eben. Conner hatte keine Ahnung, wie er ihr helfen konnte. Manchmal reichte eine Umarmung und Nähe. Half jedoch nicht auf Dauer. In genau dem Moment, könnte es jedoch helfen. Ein Versuch war es wehrt.
„Na, wieder so tief in deinen Gedanken versunken?“ Conner stellte sich hinter Alice. Küsste ihre Haare, die noch ein bisschen feucht waren, strich einmal über ihre Arme, bevor er seine um ihren Körper schlang.
Alice atmete tief durch und lehnte sich an Conners Brust. Genau in dem Augenblick, als das leise Knarren der Tür zu ihr drang, wünschte sie sich, dass Conner sie in den Arm nahm und sie ein paar Minuten in seiner Nähe versinken konnte. „Kannst du Gedanken, telepathisch empfangen?“
„Nein, wieso?“ Schmunzelte Conner und drückte einen Kuss auf Alice Schläfe.
„Weil ich mir genau das gewünscht habe.“ Alice drehte sich in Conners Umarmung um und schmiegte sich fest in diese hinein.
„Was ist los, hmm? Weshalb hast du so trübe Gedanken, an einem so schönen Abend?“ Conner konnte dem Drang nicht widerstehen, weitere Küsse auf Alice Scheitel und ihrer Schläfe zu verteilen.
Alice seufzte. Wenn sie dies selber wüsste, hätte sie es schon längst geändert. „Ich will es doch gar nicht. Es lässt mich einfach nicht mehr los.“
Conner konnte Verzweiflung in ihrer Stimme hören. Leicht, drückte er sie etwas von sich weg, um Alice an sehen zu können. „Nicht weinen, Leannan.“ Conner strich ein paar Tränen von ihren Wangen. Doch es wurden immer mehr.
„Es tut mir leid. Ich wollte euch nicht Weihnachten verderben. Am besten feiert ihr einfach ohne mich.“
„Kommt nicht in Frage.“ Protestierte darauf Conner. „Deine Geschwister mussten viel zu viele Weihnachtsfeste ohne dich feiern. Ich war bei einigen dabei und spürte jedes Mal, wie sehr sie dich vermissten.“
„Aber ich...“ Alice wurde durch sanfte Lippen, zum Schweigen gebracht.
„So einen Schwachsinn, möchte ich nicht noch einmal hören. In Ordnung?“ Alice nickte leicht. „Und jetzt erzähl mir, was los ist.“ Conner setzte sich in den Sessel und zog Alice auch gleich auf seinen Schoss. „Ist es der Telefonanruf?“
„Auch, ja. Es war einfach etwas zu viel Vergangenheit auf einmal. Nachdem ich sie, so gut wie möglich, in den Hintergrund geschoben hatte und mich in Sicherheit wägte. Doch genau das, war wohl das Problem.“ Alice schnaubte.
„Tut mir leid.“, flüsterte Conner, worauf ihn Alice fragend an sah. „Wegen mir, musstest du deine Vergangenheit, noch einmal hervor holen und aufwärmen.“
„Was auch gut so war. Doch dieser merkwürdige Anruf, hat das Ganze nicht gerade unterstützt.“
Stille. Nur die fröhlichen Klänge der Musik, drangen zu ihnen rauf.
„Lass uns zusammen wegfahren, Alice. Ein paar Tage, wenn Weihnachten vorbei ist.“ Brach Conner die Stille, mit einem Blitzgedanken. Ungläubig, fragend und wohl auch etwas verwirrt, sah Alice ihn an. „Etwas Abstand, würde dir bestimmt gut tun. Und ich, hatte so wieso geplant, zwischen Weihnachten und Neujahr, endlich mal wieder zu Rose zu fahren. Aber ich...“ Conner brach ab.
„Was?“ Alice konnte Sorgen in Conners Blick sehen.
„Ich kann nicht gehen, wenn ich nicht hundert prozentig davon überzeugt bin, dass es dir gut geht und du hier allein zurecht kommst. Deshalb...Alice, bitte komm mit mir.“
Flehte Conner sie hier gerade wirklich an, dass sie ihn begleiteten sollte? Seine Worte und der Gedanke daran, erwärmten Alice Herz.
„Dingle wird dir gefallen und Rose päppelt jeden wieder auf, ohne dass derjenige es merkt.“ Conner musste beim Gedanken an seine Großmutter lächeln. Dann sah er Alice erwartungsvoll. Dabei konnte er sehen, wie es in ihrem hübschen Kopf, nur so rund lief. Wahrscheinlich fuhren ihre Gedanken, gerade mal wieder Achterbahn mit dreifach Loopings. Innerlich, musste Conner schmunzeln, wenn er sich das so bildlich vorstellte.
„Na ja, ich wollte schon immer mal in den Westen. Denn wenn ich ehrlich bin, hab ich auch noch viel zu wenig von meiner Heimat gesehen. So wie du damals.“ Conners Gesicht erhellte sich augenblicklich. Wie konnte man diesen strahlenden Augen, auch nur irgendwas abschlagen? „Ok, ich komme mit dir. Du hast recht, vielleicht...“ Weiter kam Alice nicht. Sanfte Lippen unterbrachen sie und ließen sie einmal mehr dahin schmelzen.
Sie versanken in einem langen und sehnsüchtigen Kuss. Darauf, konnten weder Conner noch Alice, nicht mehr verzichten.
„Was wolltest du sagen?“, nuschelte Conner, grinsend in den Kuss hinein.
„Nicht so wichtig. Es würde mir gut tun. Wahrscheinlich...irgend...hmm...“ Unfähig zu sprechen, geschweige denn einen klaren Gedanken zu fassen, gab sich Alice wieder Conners süßen Küssen und Liebkosungen an ihren Lippen hin.
„Zuerst feiern wir jetzt aber Weihnachten.“ Alice nickte und ging mit Conner nach unten, wo alle bereits auf sie warteten.

Irish Heart - Sprache des HerzensWo Geschichten leben. Entdecke jetzt