Kapitel 12

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Savannah hatte natürlich recht, als sie sagte, Alice würde schnell wieder in allem drinnen sein. Nachdem das erste Guinness, mehr Schaum als Bier hatte, also sprichwörtlich in die Hose ging, klappte es spätestens nach dem fünften wieder, als hätte Alice, all die Jahre, nichts anderes gemacht.
„Zia, gelernt ist gelernt.“, kommentierte Pete sein Bier, nach dem Alice Erstes, eigentlich auch seines gewesen wäre.
„Du sagst es, Pete.“ Alice stellte es, mit einem kleinen Anflug von Stolz, auf den Tresen und zwinkerte Pete zu. Bevor sie das Tablett mit den Getränken nahm, um sie auf den Tischen zu verteilen.
Pete O'Mallay, seit je her Stammgast im Pub und ein guter Freund der Familie. Er war einer der wenigen Fischer, die es in Ballyconneely noch gab. Zusammen mit Marvin und ein paar anderen. Immer Samstags, gingen sie auf die Fischmärkte rund um Ballyconneely. Doch leben, konnte keiner der Männer, nur davon. Es reichte gerade noch so, um über die Runden zu kommen. Der Ehrgeiz und der Sturkopf der Iren, ließen sie weiter machen, nicht kapitulieren und einfach so aufzugeben.
Als Alice die Getränke verteilt hatte, klemmte sie sich das Tablett unter den Arm, bewegte sich im Takt zur Musik und sah einen Moment den Musikern zu.
Wie sehr sie das vermisst hatte. Die Musik, die tanzenden und fröhlichen Menschen und die Leichtigkeit. Keine schlechten Gedanke an gestern und morgen. Jeder konnte einfach mal abschalten und sich gehen lassen. Die Sorgen auf den nächsten Tag verschieben.
Genau so, ging es Alice auch. Sie fühlte sich, als sei keine Zeit verstrichen und ihr in der Vergangenheit nichts Schlimmes passiert. Sie fühlte sich leicht, als könne sie fliegen. Alice lebte einfach mal wieder. Ohne ihre Ängste, die sie Tag für Tag in den Fängen hielt.
„Siehst du was ich sehe?“ Savannah stieß John leicht in die Seite. „Alice scheint es in vollen Zügen zu genießen. Ich wusste es.“
John sah zu Savannah rüber, die ihm ein zufriedenes Grinsen schenkte. „Du bist nun mal die Beste.“ John gab ihr einen Kuss auf die Wange, um dann zu Alice zu gehen. „Schöne Frau, darf ich um diesen Tanz bitten?“ John legte seinen Arm um Alice Taille, als die Musiker ein neues Lied, 'Will you go, Lassie go', anstimmten und drehte sie zu sich um.
Alice grinste ihren Bruder an und legte das Tablett zurück auf den Tresen. Dann nahm sie Johns Hand und ließ sich von ihm im Takt führen.
„Du hast es nicht vergessen und kannst es immer noch.“ Stellte John stolz und gerührt fest, als er sich mit Alice durch den Pub bewegte.
„Wie könnte ich unser Lied vergessen. Schließlich hast du mich früh genug, immer dazu durch den Pub gewirbelt.“
„Du hattest die Musik und den Tanz schon immer im Blut.“ In Alice Augen, lag etwas was John, nach dem Tod ihrer Eltern, nie mehr bei ihr gesehen hatte. Dieses eigenartige, ja fast schon mystische Funkeln. „Und ich habe beides, all die Jahre vermisst.“ Der Schleier der Erinnerungen, legte sich über das Funkeln, welches John so liebte. Er zog Alice, als das Lied zu Ende war, an sich heran und atmete tief durch. „Ich bin froh, meine kleine Schwester wieder zu haben. Ich lasse dich nie wieder gehen und werde dich, von nun an, beschützen. Ob du willst oder nicht. Kein Kerl wird dir jemals wieder weh tun. Und zu nahe kommen auch nur, wenn du es wirklich willst.“
Bevor Alice etwas darauf erwidern konnte, tobte der Pub bereits wieder und John drehte sie einmal um sich selber, bevor er sich mit ihr im Arm, wieder in Bewegung setzte. Dieses Mal ging es etwas schneller, was Alice ebenso wenig Schwierigkeiten bereitete.
Ein Lied, jagte das andere. Von 'I'll tell me Ma, 'Carrickfergus‘ bis 'Star of the County Down' und noch viel mehr, war alles vertreten. John gönnte Alice kaum eine Verschnaufpause. Nur mal zwischendurch einen Schluck Bier, welches ihr Pete hin hielt, bevor es ins nächste Lied überging.

Conner musste schmunzeln, als er Alice so ausgelassen mit John tanzen sah. Mit ihm, hatte sie heute Abend, noch kaum ein Wort gewechselt. Außer das Übliche, was man während der Arbeit so redete. Was natürlich auch dem voll gefüllten Pub zu zuschreiben war.
Wie sich Alice wohl in seinen Armen anfühlen würde? Conner schüttelte kaum merklich den Kopf, ´Alice ist Tabu für dich, McCallum. Also halte dich daran.´
„Eine faszinierende Frau, nicht wahr?“ Marvin hatte Conner beobachtet. „Willst du einen Rat eines erfahrenen Mannes, der die Frauen dennoch nie verstehen wird?“
Conner drehte sich um. Marvin McLaughlins, ein kräftig gebauter Mann, stand neben ihm. Das Gesicht vom Leben und der schweren Arbeit auf See gezeichnet, aber mit Augen, aus dem die Güte seines Herzens sprach. Bei ihm hatte Conner auch gleich Arbeit bekommen, als er in Ballyconneely angekommen war. Die zwei Männer verstanden sich auf Anhieb blendend. Für Conner war Marv, wie er von allen genannt wurde, die männliche Person, die ihm in seinem Leben immer etwas gefehlt hatte. Eine Art Vater Figur.
„Von dir immer. Das weißt du doch.“
„Unsere kleine Alice da.“ Marvin machte eine Kopfbewegung in ihre Richtung. „Die ist nicht, wie andere Frauen. Sie ist was Besonderes. Die kriegst du nicht bloß mit deinem Charme und ein paar flotten Sprüchen rum. Sie hatte bereits als Kind eine unfassbare Tiefe an sich, die man selten bis kaum, bei Kindern sah.“
„Das habe ich mir schon fast gedacht. Ich wollte sie auch nicht einfach mal so schnell rum kriegen.“ Conners Blick wanderte wieder zu Alice, die ihn, genau in dem Moment ansah. Es war jedes Mal wie ein Beben, welches durch Conner hindurch ging. Dann wandte Alice ihren Blick zu Marv und schenkte ihm ein strahlendes Lächeln, welches auch ihre Augen erreichte. Würde der Tag jemals kommen, an dem sie ihm ein solches Lächeln schenken wird? „Ein solches Lächeln, würde mir bereits reichen.“ Murmelte Conner laut genug, dass es Marv hörte.
„Das lässt Männerherzen höher schlagen. Damit hat sie uns immer alle um den kleinen Finger gewickelt, als sie noch kein einziges Wort sagen konnte.“ Schwelgte Marv in Erinnerungen. Die Liebe zu seiner Patentochter, war grenzenlos. Weshalb es ihn all die Jahre schmerzte, nicht zu wissen wo Alice war und wie es ihr ging. Die Sorgen waren noch nicht verschwunden. Nun konnte Marv wenigstens wieder ein Auge auf die Kleine haben.
„Auch wenn es mein Herz höher schlagen lässt. Alice ist tabu für mich.“ Allein die Tatsache, dass er quasi sein Wort darauf gegeben hatte, betrübte Conner.
Marvin sah Conner fragend an.
„Na ja, sie hat zwei ältere Geschwister, die sie beschützen und mit Argusaugen über sie wachen. Und ich bin der kleine Casanova.“
„Als ob du das wirklich bist. Das denkt doch hier, wo dich jeder kennt, nicht wirklich einer von dir.“ Marv schüttelte den Kopf. Conner schien in letzter Zeit mit sich und seinem Leben zu hadern. „Alice ist nun ein Teil deiner Familie. Und ich weiß, was das für dich bedeutet. Darüber bin ich froh.“ Er klopfte Conner auf die Schulter und schenkte ihm ein aufmunterndes Lächeln. „Savannah und John wollen nur, dass ihre kleine Alice wieder glücklich ist. Genau wie wir alle hier.“
ˋNa toll. Da habe ich ein ganzes Dorf im Nacken. Also Finger weg, Conner.ˋ Ermahnte er sich. Marvins Betonung, auf dem Wort wieder, stimmte Conner genau so nachdenklich wie Alice Maske, die sie heute, immer wieder aufzusetzen schien. Was er wohl damit meinte?
Marv musterte Conner. „Und jetzt mal unter uns gesagt. Du wärst das Beste, was ihr hier in diesem Nest und überhaupt irgendwo passieren könnte. Und das wissen auch Savannah und John. Sie kennen dich schließlich besser als wir alle.“
Marvs Worte berührten Conner. Sein Blick schweifte wieder zu Alice und John. „Und wie stellt man es richtig an?“
„Das fragst ausgerechnet du?“ Marv sah ihn belustigend an. „Der Mann, der ein ganzes Dorf, innert kürzester Zeit für sich gewonnen hat und zum Freund wurde.“
Conner lachte kurz auf. „Na ja. Alice scheint etwas resistenter zu sein und dazu auch noch sehr kritisch Männern gegenüber, die sie nicht kennt. Sie meidet mich schon den ganzen Abend lang, als hätte ich die Pest. Ganz im Gegenteil zu manch anderen Frauen hier im Pub.“ Conner machte eine unauffällige Kopfbewegung.
Marv hatte schnell gesehen, wenn Conner meinte. Bereits den ganzen Abend lang, versuchte die Blondine, Conner in einen Flirt oder gar mehr, zu verwickeln. Ohne Erfolg. Der Gute hielt sich heute ziemlich erfolgreich zurück. „Die hängt mit ihrem Blick förmlich an dir. Du lässt sie schon den ganzen Abend abblitzen. Warum?“
„Weil ich…“ Conner atmete tief durch. „…ich hab keine Lust mehr auf diese einfältigen Flirts, die zu nichts führen, als einem One Night Stand. Und das alles nur, weil ich optisch gesehen, nicht gerade zu verachten bin. Das ist eigentlich so gar nicht meins.“ Conners Blick wurde sehnsüchtig. „Ich wünsche mir, dass eine Frau meinen Weg kreuzt, die von meinem Äußeren nicht so sehr geblendet wird, dass sie nicht mehr sehen kann, was dahinter steckt. Ich will mich nicht beschweren, dass ich dadurch auch einfach mal meinen Spaß haben konnte. Aber im Grunde reicht mir das nicht mehr. Ich bin da anders als John.“
„Dann bring deine anderen Qualitäten, neben deinem Charme, der dir Meilenweit voraus eilt, zum Einsatz. Von denen hast du genügend vorzuweisen. Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit, Conner. Dies sind die Schlüssel. Sei ehrlich und vor allem dich selbst. Zeig etwas von deinem Innern, was dich zwar verletzlich macht, aber gleichzeitig auf einer anderen Ebene nahbar.“
„Das allein ist die Lösung aller Probleme, wenn es um Frauen geht.“ Conner sah Marvin überrascht an. „Sich verletzlich machen? Damit hatte ich noch nie etwas erreicht, außer einer Enttäuschung mehr in meinem Herzen.“
„Hmm…“ Marv sah in Conners blauen Augen, die von Ehrlichkeit nur so sprühten. „Das mögen Frauen normalerweise. Zumindest die, die nicht so oberflächlich sind und gleich auf Hirntot schalten, wenn ein gutaussehender Mann vor ihnen steht. Zeig Alice den Conner, der wirklich in dir steckt und den Blondie niemals kennenlernen würde, hättest du dich auf ihre Versuche eingelassen. Lass es langsam angehen. Gib ihr immer wieder, diskret zu verstehen, dass du dich wirklich für sie interessierst. Wahrhaftig und nicht bloß zum Schein, damit du dein Vergnügen hast. Sondern, weil du sie besser kennenlernen möchtest, als Freund. Als Teil deiner Familie.“ Marv wurde nachdenklich. „Du und die Alice von vor zehn Jahren, bevor sich alles änderte, hättet euch bestimmt super verstanden. Sie war dir damals gar nicht so unähnlich. Ihr eigener Stil, war ziemlich identisch mit deinem. Deine Ketten und Armbänder, hätten ihr gefallen. Doch nicht nur das. Auch was den Charme und die Fähigkeit damit zu flirten, anging. Ihr hättet euch wahrscheinlich gegenseitig den Kopf verdreht.“
„Ich hätte die Alice von damals gerne kennenglernt.“ Für Conner war es nicht sehr schwer vorzustellen, wie sie damals war. Warum auch immer. „Was das andere angeht, klingt es doch schwieriger als gedacht.“ Conner seufzte geknickt. „Und doch so einfach. Bei euch allen kann ich das ja auch. Nur wenn es um Frauen geht, scheine ich komplett unfähig zu sein.“
„Ach was, das bekommst du schon hin, mein Junge.“ Marv drückte Conner freundschaftlich die Schulter. „Es muss nur die richtige Frau kommen, damit du das hinbekommst.“ Marv sah Conner vielsagend an. „Und jetzt, mach mir noch ein Bier. Um unser Mädchen, kannst du dich auch noch morgen kümmern.“
Conner lachte und verzog sich wieder hinter die Bar zum Arbeiten. Wie recht Marv doch hatte. Heute war nicht der richtige Zeitpunkt, um irgendetwas in die Wege zu leiten, was Alice anging. Marvins Rat, würde er sich dennoch zu Herzen nehmen. Falls er die Möglichkeit dazu bekam.

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