Kapitel 35

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Hatten sie gerade wirklich die Rollen getauscht? War jetzt Alice für ihn da? ˋNimm es an, Conner. Auch du brauchst mehr als du zu gibst, jemanden, der für dich da ist. Außerdem, kannst du nicht von Alice verlangen, dir ihre ganze Vergangenheit offen dar zulegen und du verschließt dich vor ihrˋ, so die Stimme, in Conners Kopf. Sie hatte natürlich, wie fast immer, Recht. Conner atmete tief durch und legte seinen Kopf an den von Alice.
Diese stille Vertrautheit zwischen ihnen beiden, nahm von Alice gerade Oberhand und es war, als würde sie von einer tiefen, inneren Sehnsucht geleitet. Ihre Hand, machte sich wieder selbstständig und fuhr durch Conners Haare, während sie, mit geschlossenen Augen, ihre Lippen an Conners Schläfe legte.
Er lächelte und wurde dabei immer ruhiger. „Danke.“ Conner sah Alice dankbar an. „Können wir ein Stück gehen?“
Alice sah Gefühle in Conners Augen, die ihr sagten, dass es ihm wirklich unglaublich schwer fiel. „Ja klar.“
Eine Weile, gingen sie einfach schweigend neben einander her, während sie um den See liefen. Bis Conner mit seiner Hand, die von Alice umfasste und tief durch atmete.
„Aufgewachsen bin ich, mit einem jüngeren Bruder und einer jüngeren Schwester, etwas außerhalb von London. In einem unglaublich protzigen Haus. In einer Gegend, in der nur die Reichen der Reichsten wohnten.“ Fing Conner an zu erzählen. Die Erinnerungen daran, verdrängte er gerne in den tiefsten Winkeln seines Körpers. „Mein Dad ist, war Banker und Leiter einer Filiale, der erfolgreichsten Banken der Welt. Bedienstete wohin man sah und Privilegien, wo man auftauchte.“ Conner wurde also in die Welt hinein geboren, in die sie sich hinein geheiratet hatte. Das Leben war schon merkwürdig, dachte Alice. Sie musterte Conner, was ihm nicht entging.
„Was ist?“
„Nichts, es ist nur...man merkt dir das gar nicht an.“
Conner lächelte und strich mit seinem Daumen, über Alice Handrücken. „Das nehme ich jetzt mal als Kompliment.“
„Mochtest du es nicht?“
Kopfschüttelnd, erzählte Conner weiter. „Nicht wirklich. Schon sehr früh spürte ich, dass ich anders war, als der Rest meiner Familie und all die anderen Kinder, mit denen wir uns abgaben. Irgendwie fehl am Platz. So, als sei ich am falschen Ort und in der falschen Familie. Ich trieb mich lieber, anstatt Benimmregeln zu lernen, draußen in dem bisschen Natur herum, welches es dort gab und spielte mit den anderen Kids, die ich dort traf. Denen aus der Normalschicht, wie es meine Eltern nannten. Ich verstand nie, weshalb man da irgendwelche Unterschiede machte. Sehr zum Missfallen meiner Eltern, wie du dir sicher vorstellen kannst.“
Leibhaftig, dachte Alice bei sich selber.
„Es reichte mir, dass ich wusste, dass man Bitte und Danke sagte und noch so andere, grundlegende Sachen, die man Kindern beibringt. Alles andere, empfand ich als überflüssig und unnötig.“ Conner blieb stehen und sah über die glatte Oberfläche des Sees. Dann hob er einen Stein vom Boden auf, drehte ihn in seinen Händen und ließ ihn übers Wasser flitzen. „Der einzige Ort, an dem ich mich wirklich wohl und richtig fühlte, war in Irland, wenn ich bei meiner Großmutter die Ferien verbrachte. Bei ihr, durfte ich noch Kind sein. Durfte ich, ich sein.“ Conner hob einen weiteren Stein auf und legte ihn in Alice Hand. Mit einem auffordernden Blick sah er sie dabei an, es ebenfalls zu versuchen. Als hätte Alice nie etwas anderes gemacht, flitzte sie diesen über das Wasser. „Du bist ein Naturtalent.“ Lächelte Conner.
„Deine Großmutter wohnt in Irland?“
„Ja. Meine Mutter, stammt ursprünglich aus Irland. Sie ist, in der Nähe von Dingle, in sehr einfachen Verhältnissen aufgewachsen. Charles, also meinen Vater, hat sie in London kennengelernt. Als sie, rebellisch wie sie scheinbar zu der Zeit war, einfach von zuhause abgehauen ist, um ihr Glück und damit ein besseres Leben, in London zu suchen. In Charles, sah sie dies dann auch. Doch so, hatte sie es sich wohl nicht vorgestellt.“ Tief, versteckte Conner seine Hände in den Hosentaschen. „Meine Mutter, war ein ziemlicher Freigeist und nahm es, bis dahin, mit den Männern nicht so genau. Und deshalb kam es, wie es kommen musste. Oder besser gesagt, passierte, was passieren musste.“
„Sie wurde schwanger.“ Vollendete Alice den Satz.
„Sie war es schon und wusste es nur noch nicht, als sie nach London ging. Und da die beiden, es eben auch nicht sehr genau nahmen, mit den Gepflogenheiten und Sitten dieser Schicht, dachten sie, Charles sei der Vater. Was eine schnelle Hochzeit mit sich brachte. Ich weiß nicht, ob sie dies je getan hätten, wenn sie zuvor gewusst hätten, was leider erst nach der Hochzeit, allen klar wurde. Doch, was macht man in solchen Familien, wenn so etwas geschieht?“
„Man bewahrt den Schein, schickt sich in die Situation und lässt sich nichts anmerken.“ Alice kannte diesen trügerischen Schein nur zu gut. Conner nickte. „Und Charles, hat dich als seinen Sohn ausgegeben und akzeptiert? Einfach so?“ Alice ahnte, dass es wohl nicht so einfach war. Sie kannte diese Art Menschen nur zu gut. Seit sie weg war von Brian und auch schon davor, war sie froh, dass sie nicht auch noch in den Schlamassel geriet, schwanger geworden zu sein. Es hätte alles um einiges komplizierter gemacht.
Conner antwortete nicht. Zu sehr schmerzten die aufkommenden Erinnerungen. Doch als Alice ihm liebevoll über den Arm strich und seine Hand aus der Hosentasche nahm, um sie mit ihren schmalen, zarten Händen zu umschließen, wurde ihm klar, dass er nicht alleine war, wenn der Schmerz, vollends über ihn herein brechen würde. Ein Zurück, gab es jetzt so wieso nicht mehr.
„Geduldet, wäre wohl eher das richtige Wort. Ich war quasi der schwarze Fleck an der Wand, welcher dort schon lange ist, man sich aber nie wirklich daran gewöhnt, dass er dort ist. Ihn einfach so los werden, kann man jedoch auch nicht.“
Alice konnte nicht glauben, was ihr Conner da erzählte. „Und was war mit Liebe?“
Ein sarkastisches Lachen, entwich Conner. „Liebe. Das Haus, welches eigentlich mein Zuhause hätte sein sollen, war nur eine kalte, graue Fassade.“ Bei diesem Satz, spannten sich all seine Muskeln an und Conner musste sich beherrschen, um nicht laut zu schreien, da sich der Schmerz, gerade wieder, wie eine eiserne Hand um sein Herz legte und zu drückte. „Nicht einmal meine Mutter brachte es fertig, nur einen kleinen Funken von Liebe, für mich auf zubringen. Wahrscheinlich machte sie mich dafür verantwortlich, dass ihr freies Leben, so schnell zu ende war. Oder die Ehe mit Charles, auch deswegen, nicht gerade rosig verlief. Sie stritten sich oft. Irgendwann bekam ich mehr von meiner Umgebung mit und ich verstand, dass Charles meiner Mutter nicht treu war.“
Alice schüttelte innerlich den Kopf. Die sind doch alle und überall gleich. „Wahrscheinlich erinnerte ich sie auch zu sehr, an meinen leiblichen Vater. Meine Mutter sagte mir immer wieder, dass ich das Ebenbild meines nichts nutzen Vaters sei. Und zwar in allen Belangen.“ Ein weiterer Stein, flitze über das Wasser. In Conners Bewegungen und mit welcher Kraft der Stein übers Wasser sprang, konnte Alice Wut, Enttäuschung und Traurigkeit sehen. „Ich denke, wenn ich wie meine Geschwister gewesen wäre, so hätte alles einen anderen Lauf genommen. Doch ich war halt nun mal anders und passte überhaupt nicht in die Familie. Und das Schlimmste für alle war wahrscheinlich, dass dies auch optisch so war. Unsere Angestellten, mochten mich mehr, als es meine Eltern taten.“ Verstohlen, wischte sich Conner übers Gesicht.
Alice brach es beinahe das Herz, wenn sie sich klein Conner vorstellte. In einem protzigen, kalten Haus, jeglicher Liebe versagt, ohne die Kinder und überhaupt Menschen, verloren waren. Sie konnte sich nicht im geringsten vorstellen, wie Eltern ihre Kinder nicht lieben können.
„Das Einzige, was meine Eltern wohl, in irgendwelcher Weise erfreute, war dass ich nicht dumm war und gute Leistungen in der Schule zeigte. Und meine Begeisterung zum Klavier spielen. Doch die Tatsache, dass ich nicht den Ehrgeiz aufbrachte, um daraus etwas Großes zu machen, wie meine Eltern es sich vorstellten, brachte sie anfangs, ebenfalls zur Verzweiflung und erzürnte sie zunächst auch noch. Irgendwann, gaben es meine Eltern dann jedoch auf, mich einigermaßen tauglich für ihre Familie zu machen. Sie fanden sich damit ab, dass sie ein schwarzes Schaf hatten. Und irgendwann...“ Conner rang mit seinem inneren Schmerz und lief deshalb, unruhig auf und ab. „...schrien sie mich nicht einmal mehr, wegen jeder Kleinigkeit an, weil ich nichts taugte. Nein, sie schenkten mir einfach keine Beachtung mehr. Es war ihnen egal, was ich tat oder wo ich war. Ich denke, es wäre ihnen Recht gewesen, wenn ich irgendwann, einfach so verschollen wäre. Ein Übel weniger, mit dem man sich herum schlagen musste. Dieser Zustand war viel schlimmer, als alle Beschimpfungen und Strafen. Dagegen kann man, irgendwie, immun werden. Doch in dem sie mich ignorierten und mich dadurch ganz deutlich spüren ließen, dass ich ihnen nichts bedeute, trafen sie mich viel tiefer.“ Conner hatte sich, mittlerweile, auf die Lehne der Bank, die am Ufer des Sees stand, gestützt und krallte seine Hände am Holz fest. Sein Körper bebte.
Alice, die immer noch am selben Ort stand, wo sie mit Conner stehen blieb, näherte sich ihm langsam. Sie wusste nicht genau, was sie tun sollte, also reagierte sie einfach instinktiv und  stellte sich dicht hinter Conner und schlang ihre Arme um ihn. Dabei schmiegte sie ihren Kopf an seinen Rücken. Kaum spürte Conner ihre Nähe und die liebvollen Berührungen, entwich ihm ein erleichterter Seufzer. Er drehte sich zu Alice um und ließ sich, sogleich, von ihr in die Arme schließen. Den Tränen, die seine Augen fluteten, wurde er nicht mehr Herr und so ließ Conner sie einfach fließen. Fest und geborgen in Alice liebevoller, vertrauter und beschützender Umarmung. Was für eine Kraft von dieser zierlichen, zerbrechlichen und innerlich zerbrochenen Person, in dem Moment ausging, war enorm. Conner sog es auf, wie ein ausgetrockneter Schwamm.

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