Neugierig ging er näher und nahm das Buch in die Hand. ˋGesprengte Fesseln. Der Kampf einer Frau aus den Fängen ihrer Ehe.ˋ, las Conner den Titel. Wie passend zum heutigen Abend, dachte er und drehte das Buch, um den Rückentext zu lesen. Seine Stirn legte sich in Runzeln. Die Worte die er las, kamen ihm irgendwie, auf eine gewisse Art und Weise, bekannt vor. Noch einmal, wendete er es und erst jetzt, fiel sein Blick auf den Namen der Autorin. Conners Augen weiteten sich und beinahe, wäre ihm das Buch aus der Hand gerutscht. Sein Blick glitt zu Alice und dann wieder zurück auf den Namen. Ein und die selbe Person. Alice hatte ihre Geschichte aufgeschrieben und veröffentlicht. Was für eine starke und mutige Frau. Wahrscheinlich machte Conner damit einen riesengroßen Fehler, wenn er sich nun setzte und dieses Buch aufschlug. In allen Belangen. Alice hätte es sicher nicht gewollt, sonst hätte sie es ihm eben einfach in die Hand drücken können, statt sich damit abzuquälen, die ganze Geschichte noch einmal aus der tiefen Versenkung zu holen. Doch Conner musste dieses Buch lesen. Nach allem, was er bereits von Alice gehört hatte, konnte er nicht anders. Die Neugierde war grösser als die leise Stimme in seinem Kopf, die ihm davon abriet, weil er es bereuen würde. Nicht, weil Alice sauer werden konnte. Damit wusste Conner umzugehen. Er warnte sich selber mehr davon, dass seine sensible Seite nicht verkraftete, was dort stand.
Conner setzte sich in den Sessel und schlug das Buch auf.<< Dieses Buch widme ich allen Frauen, die sich von Männern dominieren ließen und es geschafft haben, dem zu entkommen. Ihr habt großartiges geleistet. Doch in erster Linie ist es für jene Frauen, die immer noch in dieser Hölle festsitzen. Habt den Mut und erkämpft euch eure Freiheit, euer Leben und euren Körper zurück. Auch wenn es aussichtslos erscheinen mag. Es gibt immer irgendwo einen Hoffnungsschimmer oder eine helfende Hand. Ergreift sie und haltet so fest ihr könnt, daran fest. Ihr seid stark. Glaubt daran.>>
Conners Blick glitt zu Alice. Was für starke Worte, einer so gebrochenen Frau, die nicht einmal an sich selber glaubte. Ob Alice ihrer Stärke so wirklich bewusst war? Conner konnte diese Frage nicht mit Sicherheit beantworten.
Mit einem liebevollen Blick, betrachtete Conner Alice, um sicher zu gehen, dass sie auch wirklich ruhig schlief. Bevor er sich in diesem friedlichen Anblick verlor, blätterte Conner eine Seite weiter.<< Ich war sechzehn Jahre alt, als ich meine Eltern, durch einen Autounfall, von einer Sekunde auf die andere verlor. Ein scheiss Alter, um den einzig wahren Halt im Leben zu verlieren. Einen guten Zeitpunkt dafür, gibt es nicht. Doch Sechzehn? Der feste Boden unter meinen Füssen, wurde mir buchstäblich weggezogen. Und ich fiel. Lange und tief. Wie lange? Ich habe keine Ahnung. Wahrscheinlich, rückblickend betrachtet, länger als ich damals dachte. Ich kam auf der, bis dahin, geraden und ziemlich ebenen Straße meines Lebens, gefährlich ins Schliddern. Was mir den folgenden Schlamassel einbrachte. >>
Von der ersten Zeile an, verschlang Conner den Inhalt des Buches. Sog ihn regelrecht in sich auf. Seite für Seite. Zeile für Zeile. Wort für Wort. Alice schrieb so unverblümt, dass er teilweise das Gefühl hatte, selber mittendrin zu stecken.
Schock, Unverständnis, Wut und Entsetzten, vermischten sich in seinem Innern zu einem nicht definierbaren Gefühl. Tränen verließen immer wieder seine Augen und benetzten die erhitzten Wangen.<< Die Schläge, die Besuche im Krankenhaus, die Erniedrigungen, das alles war irgendwann zu ertragen. Man lebte damit. Konnte ich mein Gegenüber irgendwann ziemlich gut einschätzen und war gewappnet. Aber eben nur manchmal. Auf das kochend heiße Wasser, welches, als ich unter der Dusche stand, plötzlich aus dem Wasserhahn peitschte, war ich nicht vorbereitet. Meine Haut verbrannte es zum Glück, nur an einem einigermaßen kleinen Teil meiner Hüfte. Auch das, war zu ertragen. Wieviel erträgt ein Mensch, habe ich mich immer gefragt. Heute weiß ich, dass es mehr ist, als wir alle wissen oder auch nur erahnen. Mehr, als Menschen ertragen sollten. Es ist kein Grund dafür, dass wir auch so viel ertragen sollten und müssen. Und das Ertragbare, hatte auch bei mir Grenzen. Diese begannen dort, wenn mich Brian anfasste. Mein Ehemann. Eine Ehefrau, sollte sich nichts mehr wünschen, als von ihrem Mann angefasst und auf diese Weise geliebt zu werden. Ich wusste jedoch ab einem gewissen Zeitpunkt zu gut was es bedeutete, wenn Brian mich anfasst, statt zu schlagen. Es drehte mir jedes Mal den Magen um, wenn ich seine kalten, schmierigen Finger an meiner nackten Haut spürte. Seine feuchten, gierigen Lippen, sich auf meinen Mund pressten, wobei seine Zunge, gewaltsam Einlass forderte. Doch auch dies, war auf eine gewisse Art und Weise, ertragbar. Doch gegen das, was danach immer kam, waren all die Prellungen, angebrochenen Rippen und Platzwunden, ein reiner Spaziergang durch ein Tal von Schmerzen. Der Augenblick, wenn er mich nahm. In mich eindrang. Unvorbereitet, wild und haltlos, wie ein Raubtier. Es war jedes Mal, als würden sich alle, voran gegangen Schmerzen, in einem einzigen, gewaltigen, nicht mit Worten zu beschreibenden Schmerz bündeln und in mir entladen. Mich innerlich zerreißen. Mal für Mal, Stoß für Stoß. Jede einzelne Minute, die mir immer wieder vor kamen wie Stunden. Es war ein Wunder, konnte ich danach noch aufrecht stehen und sogar gehen, ohne dass man mir groß was anmerkte. Ich möchte nicht wirklich wissen, wie es in mir aussieht. Und auch nicht, ob ich überhaupt noch in der Lage bin, etwas zu empfinden. Wahrscheinlich bin ich dort genau so taub, leer und tot, wie in meiner Seele und meinem Herzen. >>
Conner wurde es bei Alice Worten, speiübel. Sein Magen machte gefühlt einen Looping, worauf er ins Bad stürzte.
Schwer atmend, lehnte er sich an die kalten Fliesen. ˋWas für eine verdammte Scheisse.ˋ Conner raufte sich durch die Haare. Was hatte er getan, an jenem Morgen, als er Alice für sich nahm. ˋWarum konntest du deine animalischen Triebe nicht unter Kontrolle halten?ˋ
Conner brauchte frische Luft. Das Zimmer, in dem er die letzte Nacht und schon so viele davor, verbracht hatte, engte ihn plötzlich ein und nahm ihm die Luft zum Atmen. „Ich liebe dich, mein Engel und bin für dich da. Immer.“, flüsterte Conner. „Es tut mir so unendlich leid.“ Conner hauchte Alice einen leichten Kuss auf die Stirn und verharrte dort kurz. Nie wieder würde er Alice so anfassen. Nicht so, wie er es schon einmal getan hatte. Dies schwor sich Conner.
Alice regte sich seufzend, schlief jedoch weiter. Noch einmal, strich er ihr über die Haare und verließ dann das Zimmer.Der Weg führte Conner, rauf auf die Klippen. Das erste Mal, seit er das Buch zur Seite gelegt hatte, atmete er tief durch. Conner wusste, weshalb er es bis jetzt, vermieden hatte. Es funktionierte wie ein Ventil. Wie der Korken einer Sektflasche, der sich mit einem lauten Knall von der Flasche löste und der weiße Schaum einem gleich darauf über die Finger lief. Genauso, knallte es jetzt in Conners tiefstem Innern. Er sank zu Boden, vergrub das Gesicht hinter seinen Händen und fing hemmungslos an zu weinen. Sein Körper war nur noch ein einziges Beben. Noch nie in seinem Leben, fühlte er solche Gefühle und Emotionen in sich. Nicht einmal, als ihm klar wurde, dass er seinen Eltern völlig egal war. Alice Worte, mit denen sie ihre Geschichte erzählte, trafen ihn tief. Immer noch wüteten die selben Emotionen durch Conners Körper, wie zuvor beim Lesen. Wut auf diesen Mistkerl, der Alice das antat dominierte die ganze Zeit seine Emotionen.
Nun war noch ein Neues hinzugekommen. Tiefe Bewunderung überwog in diesem Moment. Wie konnte ein Mensch nur so viel in seinem kurzen Leben ertragen und immer noch so unglaublich stark durchs Leben gehen? Nicht einmal die Hälfte, der harten, tiefen und wahren Worte, konnte Conner lesen, bevor es ihn innerlich beinahe zerriss. Wie musste dies für Alice gewesen sein? Jahre, war sie in dieser Hölle gefangen. Bei diesem Monster, der ihr Herz und ihre Seele zerriss und verstümmelte. Ohne Aussicht auf einen Ausweg daraus. Kein Wunder hatte sie eine dicke, hohe Mauer um sich herum aufgebaut.
Doch was war geschehen, dass sie jetzt hier war? Conner musste das Ende der Geschichte auch noch wissen. Egal ob er es ertrug oder nicht. Dies dann jedoch von Alice persönlich. Zumal sie dazu in der Lage war.
Es bedeutete auch, dass sie erfuhr, was er letzte Nacht tat. Dieses Risiko musste Conner auf sich nehmen. Er konnte es ohnehin nicht für sich behalten. Irgendwann würde es ihn so sehr belasten, dass Conner es Alice gestand. Da war sich Conner sicher. Er ertrug es bereits jetzt nicht, mit all den schrecklichen Bildern, allein zu sein.
Seufzend stand Conner auf, und wischte sich, mit dem Ärmel seines Pullovers übers Gesicht. Erst einmal würde er Alice schlafen lassen. Conner verstand nun um einiges besser, warum sie das alles so mitgenommen und ausgelaugt hatte. Ihm ging es beim Lesen auch so. Alice Worte waren so hart und heftig, dass man beinahe jede ekelhafte Tat am eigenen Leib spüren konnte. Wie musste das dann für Alice sein, als sie ihm davon erzählte? Conner mochte es sich gar nicht vorstellen.
Seine Füße, trugen ihn wie von selbst zum Pub. Wenn er Glück hatte, war John bereits da und würde ihm mit einem Glas Whiskey, ein offenes Ohr schenken. Auch wenn Conner nicht gerne über Alice und sie beide sprach, so brauchte er es gerade ganz dringend. John war sonst immer für ihn da, wenn es um das Thema Frauen und Liebe ging. Seit Alice die Frau war, um die es ging, mied Conner es, seinen Kummer oder Frust, bei John abzuladen. Weshalb schon viel zu viel Ballast, schwer auf ihm lastete. Der musste sich Conner nun endlich mal von der Seele reden. Was er John alles erzählen wollte oder sollte, wusste er im Moment noch nicht. Conner wusste nur, dass er jetzt jemanden um sich brauchte. Auch wenn es nur zum Schweigen war. Jemanden, der Alice kannte. Der ihre Geschichte kannte. Der reine Gedanke daran, erleichterte Conner ein kleines Bisschen.
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Irish Heart - Sprache des Herzens
RomanceDie unberührten Küsten, sanften grünen Hügel, der Himmel, der die Erde zu berühren scheint, lang vergessene Gerüche und das raue Meer, Irlands. Dies ist Alice Callahans Heimat. Ihre Wurzeln. All das, hatte sie, nach dem Tod ihrer Eltern verlassen...