Nach dem Frühstück, stand Conner mit einem weiteren Kaffee in der Hand, im Wohnzimmer. Sein Blick fiel auf die Fotos auf dem Kamin Sims. Sie zeigten Alice und ihre Familie, aus glücklichen Tagen.
Eines der Fotos, kannte Conner aus dem Pub. Alice im Pub und wie sie frech grinsend ein Guinness in die Höhe hält.
„Mein erstes, wirklich gelungenes Bier“, kommentierte Alice schmunzelnd, als sie sich neben Conner stellte und sah, wie er es lächelnd musterte. „Mein Papa war so stolz. Gleichzeitig wahrscheinlich auch wenig froh darüber, dass doch irgendwo Interesse für den Pub schlummerte. Und scheinbar auch ein wenig Talent vorhanden war.“
„Wie alt warst du da?“
„Es war an meinem sechzehnten Geburtstag. Zwei Wochen später, waren sie tot.“ Alice musste schlucken, um die Tränen in Schach zu halten. Dabei lehnte sie sich, ganz unbewusst und automatisch, an Conner.
Dieser legte, ohne auch nur ein Wort zu sagen, seinen Arm um Alice und zog sie an sich. Wäre er damals schon hier gewesen, hätte Conner versucht, Alice diesen unglaublichen Verlust, leichter zu machen. Genau wie jetzt, wäre er für sie da gewesen. Vielleicht hätte Conner auch verhindern können, dass Alice nach Amerika flüchtet und dort, scheinbar in ihr Elend stürzte. Doch er war damals noch in Dingle und wusste nichts vom Schicksal der Callahan Familie, die nun schon seit fünf Jahren, wie eine Familie für ihn war.
„Wie ist es passiert? Wart ihr Kinder dabei?“ Alice atmete tief durch. „Tut mir leid, ich bin zu neugierig. Du musst es mir nicht erzählen, wenn du nicht willst.“
„Es war ein Autounfall. Meine Eltern waren auf dem Weg von Dublin nachhause. Eine Verkettung dummer Zufälle, dazu schlechtes Wetter mit Regen. So genau weiß ich nicht, was wirklich passiert ist. Nur, das ihr Auto unter einen Lastwagen kam. Wie uns gesagt wurde, waren beide sofort tot und haben nichts mehr gespürt.“ Eine unangenehme Gänsehaut überzog Alice Körper. Damals waren es einfach Worte. Doch je älter sie wurde, desto mehr wurden aus Worten Bilder. Eine Zeitlang hatte Alice sogar Alpträume vom Unfall, bei dem sie nicht dabei war.
„Und ihr ward zuhause?“ Conner konnte sich nicht im geringsten vorstellen wie es ist, wenn man daheim ist und sich auf die Rückkehr der Eltern freut und stattdessen diese tragische Nachricht erhält.
„Hast du nie mit John oder Savannah darüber gesprochen.“ Es erstaunte Alice, dass Conner so wenig darüber wusste, als bester Freund von John.
„Nicht so genau. John spricht nicht so gerne darüber. Ich stand ihm eher bei der nachträglichen Trauerbewältigung zur Seite.“
„Scheint, als war es dringend nötig, dass du hier aufgetaucht bist, damit Familie Callahan ihre zugeschüttete Vergangenheit endlich aufarbeiten konnte.“ Alice betrachtete nachdenklich die Fotos vor ihr. Nun war ihr klar, warum sie sich als Familie nicht gegenseitig durch diese Zeit helfen konnten. Weil keiner einen Weg fand, selber damit klar zu kommen. Wie sollte man dann auch noch jemand anderem helfen? „So jemanden hätte ich auch viel früher gebraucht“, sagte Alice mehr zu sich selber.
Conner stellte seine leere Kaffeetasse beiseite und schlang seine Arme, von hinten um Alice. „Ich bin jetzt für dich da.“ Zur Unterstützung seiner Worte, drückte Conner einen Kuss in Alice Haare.
„Es war der Jahrestag ihres Kennenlernens. Meine Eltern haben sich damals in Dublin kennen und lieben gelernt. An ihrer Hochzeit schworen sie sich, dass sie diesen einen Tag im Jahr nutzen werden, um einfach nur Ehepaar und Liebende zu sein. Egal wie stressig der Alltag sein möge. Dieser Tag sollte für immer, bis an ihr Lebensende, nur ihnen gehören.“ Alice Augen, bekamen einen sehnsüchtigen Glanz und ein Lächeln legte sich auf ihre Lippen. Gleichzeitig stahlen sich einzelne Tränen aus ihren Augen.
„Dafür, habt ihr sie verloren.“ Rutschte es Conner über die Lippen, bevor er darüber nachdenken konnte.
„Genau diese Gedanken hatte ich auch. Weshalb ich eine Zeitlang auch wütend auf die beiden war, dass sie so egoistisch sein konnten. Doch schlussendlich konnten sie nichts für diesen Unfall. Sie waren einfach zur falschen Zeit am falschen Ort.“ Alice drehte sich vom Fenster weg, an welches sie sich mittlerweile gestellt hatte und sah zu Conner. Er stand an den Kamin gelehnt und verfolgte jede ihrer Bewegungen und Gefühlsregungen. „Durch diese eingeplanten Auszeiten im Jahr, hatten sie immer wieder die nötige Energie, zwischen Fulltime Job Pub, uns Kindern, an den restlichen Tagen, Wochen und Monaten, ein liebevolles Zuhause zu schaffen. Uns spüren zu lassen, dass sie uns genau so sehr liebten. Wir bekamen nie zu spüren oder hatten das Gefühl, nicht geliebt zu werden.“ Conners Blick enthielt gefühlt tausend Fragen. „Unsere Eltern nahmen sich nicht nur einmal im Jahr die Auszeit, um nach Dublin zu fahren. Sie taten dies, wenn möglich einmal im Monat, manchmal auch zweimal. Diese Wochenenden verbrachten sie, was wir erst nach dem Tod erfahren haben, hier oben auf dem Feenhügel. Es war ihr Liebenest. Meinen Eltern war es immer sehr wichtig, neben allem anderen was sie liebten, uns eingeschlossen, sich selber, ihre Ehe und vor allem ihre Liebe nicht zu vernachlässigen. Meine Mama hat immer gesagt, dass man die Liebe hegen und pflegen muss wie eine Blume. Niemals sollte man sie leichtfertig behandeln oder sie als normal ansehen. Liebe sei ein Geschenk, weshalb man sich für sie Zeit nehmen sollte.“
„Deine Eltern scheinen große Romantiker und Liebhaber der Liebe gewesen zu sein.“ Conner gefiel diese Vorstellung. Er hatte die leise Hoffnung, dass ganz viel davon, auch in Alice schlummerte und er dies irgendwann kennenlernen würde. Ein bisschen was, drang immer wieder zaghaft an die Oberfläche, bevor Alice es wieder zurück drängte.
„Das waren sie wohl. Zumindest schien es geklappt zu haben, mit dem hegen und pflegen ihrer Liebe. Meine Eltern haben nie wirklich, besorgniserregend gestritten. Meinungsverschiedenheit und heftige Diskussionen, die meistens mit dem Pub zu tun hatten, gab es klar. Doch daneben...“ Wieder huschte Alice ein Lächeln übers Gesicht. „Ich sehe es heute noch vor mir, wie Mama, Papa immer mit diesem Blick ansah, der für mich so viel bedeutete, wie 'ich werde dich, bis an mein Lebensende lieben' und das haben sie auch. Ich denke, gerade meine Mum, wäre ihre Tage nicht mehr wirklich glücklich geworden, hätte sie ohne meinen Dad weiter leben müssen. Genauso, stellte ich mir die perfekte Liebe immer vor. Wie im Märchen...“ Über Alice Gesicht, zogen dunkle Wolken.
„Und heute, siehst du es nicht mehr so?“
„Das Leben ist kein Märchen. Das weißt du genauso gut wie ich.“ Der liebliche Ausdruck in Alice Stimme und ihrem Gesicht, waren wie auf einen Schlag verschwunden.
„Du siehst so unglaublich glücklich aus. Voller Leben, Träume und Hoffnung.“ Lenkte Conner das Thema, in eine etwas andere Richtung. Das Thema Liebe schien für Alice, kein gutes zu sein.
Alice lachte, fast schon verbittert, auf. „Das war einmal. Wohl das letzte Mal, in meinem Leben. Diese Gefühle, sind mit meinen Eltern gestorben und haben nie mehr wirklich, den Weg dorthin gefunden. Sie wurden, bevor sie eine erneute Chance gehabt hätten, ein weiteres Mal zerstört.“
„Dann hast du weder Hoffnungen noch Träume?“ Conner sah Alice fragend an.
„So kann man es nicht sagen. Träume, habe ich immer noch. Doch die Hoffnung ist nicht mehr so groß, dass sich diese auch erfüllen und alles dann auch so bleibt, wie es sein sollte.“
„Und was...“ Conner getraute sich kaum zu fragen. „Was hat dir die Träume, Hoffnung und deinen ganzen Freigeist genommen?“
„Die naive und blinde Liebe. Dazu, das im tiefsten Innern einsame Wesen, welches so einfach zu manipulieren war.“ Alice wirkte verbittert.
Conner wollte weiter fragen, ließ es dann jedoch sein. Stattdessen, blieb sein Blick wieder auf dem Bild im Pub hängen. Diese strahlenden Augen und das Lachen, hatte ihn schon immer fasziniert. Seit er das Foto zum ersten Mal, im Pub, gesehen hatte.
„Was fasziniert dich so an dem Bild?“ Wollte Alice wissen, als sie bemerkte, dass Conners Blick, erneut dort hängen blieb.
„Du hast so ein wundervolles Lachen.“
„Hmm...hatte, wäre wohl eher der richtige Ausdruck.“ Alice hatte, seit sie über dieses Bild sprachen, eine negative Haltung eingenommen und war nicht mehr offen für Conners Komplimente. Ohne, dass sie es wollte.
Conner drehte sich kopfschüttelnd zu Alice um, die immer noch gedankenverloren das Bild ansah. „Du irrst dich. Es ist immer noch da. Ich habe es gesehen.“ Sachte, strich er Alice eine Haarsträhne aus dem Gesicht. „Und ich möchte es noch ganz oft hören und sehen. Dafür werde ich sorgen.“
„Da wäre dir meine Mama, unendlich dankbar, wenn sie noch hier wäre.“
„Und du nicht?“
Alice löste ihren Blick von dem Bild, um ihn Conner zu zuwenden. Sie selber? Gute Frage. Konnte man selber, über sein eigenes Lachen froh sein?
„Komm schon Alice. Willst du etwa nie mehr glücklich sein?“
„Doch, ich denke schon. Aber das Glück ist vergänglich und kann ganz schnell in Unglück umschlagen. Dann ist es nur noch eine leere Hülle. Eine traurige Erinnerung.“
Was zur Hölle war dieser Frau in Amerika zugestoßen, was sie so denken ließ? Es war nicht der Tod ihrer Eltern. Alice sprach so liebevoll und voller Hoffnung von ihren Eltern und deren Liebe. Conner konnte spüren, dass sich Alice nichts sehnlicher wünschte und es wahrscheinlich immer noch tat, als eine solch tiefe Verbundenheit und Liebe zu erleben, wie sie ihre Eltern hatten. Bis ihr immer wieder in den Sinn kam, weshalb sie zu dem Menschen wurde, der sie heute ist. Wohlmöglich gab sie sich selber die Schuld daran, was passierte und sie so dermaßen veränderte.
Geeignete Worte auf Alice Aussage, fehlten Conner schlichtweg. So lange er nicht wusste, woher sie rührten, war es unmöglich dagegen anzukommen. Weder mit Worten, noch mit Taten. Den jedes Wort und jede Handlung, konnte zu viel sein und das Gegenteil bewirken. Alice steckte bereits viel zu tief in dieser Überzeugung drinnen. Machte es überhaupt Sinn - das alles? Würden sie beide, jemals eine Chance haben, so lange Alice sich und dem Leben keine Chance gab?
Diese und tausend andere Fragen, schwirrten in Conners Kopf herum, ohne dass er es wollte. Bis Alice Worte, wieder zu ihm drangen.
„Ich habe dir gesagt, dass ich kompliziert bin und du es mit mir nicht einfach haben wirst. Doch du warst ja so verdammt hartnäckig und hast nicht locker gelassen, bis ich mich endlich auf dich eingelassen habe. Bis zu diesem...unserem...“ Alice atmete tief durch. „Doch wenn jetzt dennoch Zweifel in dir hoch kommen, dann hast du genau noch diese eine, letzte Möglichkeit dazu, das alles zu beenden und zu gehen. Zu einem späteren Zeitpunkt, geht es dann nicht mehr.“ Alice konnte es beinahe sehen, wie es in Conners Kopf arbeitete, weshalb sie sich zu diesem drastischen Entscheid, durch gerungen hatte. Auch wenn sie danach, wieder einmal mehr, nur noch halb aus dieser Sache heraus kommen würde. Zu fest, hatte sich Alice schon darin verloren und hatte Conner in ihr Herz gelassen. Obschon sie sich selber, immer und immer wieder davor gewarnt hatte. ˋWarum, musstest du auch so verdammt dumm seinˋ, motzte sie sich innerlich an.
Was? Hatte er richtig verstanden? „Das ist jetzt nicht wirklich dein Ernst?“ Dieses Gespräch entwickelte sich in eine komplett falsche Richtung und drohte aus dem Ruder zu laufen.
Alice nickte nur. Ansehen, konnte sie Conner dabei nicht. Ihre Tränen überfluteten Augen, hätten dem Blick nicht stand gehalten.
„Ich...“ Mehr brachte Conner gerade nicht hervor. Was sollte man auf einen solchen Unsinn auch sagen? „Denkst du ernsthaft, ich hätte diese verdammte Herausforderung angenommen um jetzt, nachdem ich immer mehr von dir erfahre, feige den Schwanz ein zu ziehen? Wirklich, Alice?“
Alice zuckte mit den Schultern. Tat sie es wirklich? Oder wollte sie sich damit schützen, da die Chance bestand, dass Conner doch noch irgendwann, einen Rückzieher machte?
„Sieh mich an, Alice. Bitte! Ich will dir in die Augen sehen, wenn du mir noch einmal sagst, was du vorhin gerade gesagt hast.“ Alice schüttelte den Kopf. Langsam aber sicher, verlor Conner die Geduld. Die Frau machte ihn, wieder einmal rasend. „Verdammt noch mal Alice, sieh mich an.“ Kam deshalb lauter und heftiger, als gewollt, aus Conner heraus. Sein Griff, mit dem er Alice zu sich umdrehte, war ebenfalls forsch. Zu forsch.
In Alice krampfte sich alles zusammen und ihr Blick, als sie Conner endlich ins Gesicht sah, war voller Schreck und noch mehr Zweifel. Von den Tränen, mit denen Alice gerade noch kämpfte, war keine Spur mehr. „Lass mich los.“ Brachte sie zwischen zusammen gepressten Lippen hervor. Alice Blick wurde eisig.
Einen solchen Blick, hatte Conner bei ihr noch nie gesehen, weshalb er seinen Griff löste.
„Fass mich nicht noch einmal an.“
„Alice, es...“ Weiter kam Conner nicht, denn Alice fiel ihm ins Wort.
„Und jetzt verschwinde hier.“ Alice drängte Conner in Richtung Tür.
„Das ist nicht dein Ernst?“ Conner sah Alice verdutzt an.
„Das ist mein voller Ernst.“ Alice Blick, war beinahe tödlich. „Und jetzt RAUS!“ Alice hielt die Tür auf.
Bevor Conner noch einmal, überhaupt nur versuchen konnte, etwas zu sagen, knallte die Tür ins Schloss.
Alice lehnte sich, schwer atmend, mit dem Rücken gegen die Tür. Genau deshalb konnte es nicht funktionieren. Niemals.
„Alice, es tut mir leid. Ich wollte nicht wütend und laut werden. Es macht mich nur so unglaublich traurig und auch wütend, zu wissen, dass es jemanden gibt oder gab, der dich zu dem Menschen gemacht hat, der du heute bist. Dazu kommt, dass ich keine Ahnung habe, wie ich dir aus diesem verdammten Teufelskreis raus helfen kann. Ich fühle mich so verdammt hilflos. Alice?“
Dies musste das Ende sein. Conner würde an ihrer Beziehung, was es auch immer für eine war, zerbrechen. Hier und jetzt, musste Alice ihn ziehen lassen. Aus ihrem Leben, ihrem Kopf und, was am meisten schmerzte, aus ihrem Herzen. Bittere Tränen weinend, ließ sich Alice zu Boden sinken.
„Süße, komm schon. Du weißt, dass ich dir nie weh tun würde. Niemals. Du weißt es.“ Verzweifelt, lehnte Conner seine Stirn an die Tür und schloss die Augen. Vergebens. Sie blieb verschlossen.
DU LIEST GERADE
Irish Heart - Sprache des Herzens
RomanceDie unberührten Küsten, sanften grünen Hügel, der Himmel, der die Erde zu berühren scheint, lang vergessene Gerüche und das raue Meer, Irlands. Dies ist Alice Callahans Heimat. Ihre Wurzeln. All das, hatte sie, nach dem Tod ihrer Eltern verlassen...