Kapitel 53

3 1 0
                                    

„Weshalb habe ich das Gefühl, dass du mein Szenario im Krankenhaus, besser kennst, als manch anderer?“ Wollte Alice, nach einer Weile Schweigen und die Zweisamkeit genießen, dann doch noch wissen. Sie hatten sich in der Zwischenzeit hingesetzt und Conner lehnte an einem großen Stein. Alice saß zwischen seinen Beinen und lehnte an seiner Brust.
So könnte es immer sein, dachte Conner, als ihn Alice Frage, aus seinen Gedanken riss. „Weil ich, durch meine Arbeit als Krankenpfleger, so einiges gesehen habe. Angehörige, die um ihre Liebsten bangen, für die es schon lange keine Hilfe und Zukunft mehr gab. Diese sich jedoch an den noch so kleinsten Strohhalm von Hoffnung klammerten, bis man ihnen, die einzig sinnvolle Lösung, quasi einreden muss. Zu oft, war ich in dieser ungeliebten Position, dies zu tun. Bis es mich beinahe kaputt gemacht hat und ich die Arbeit an den Nagel hängte. Ich machte diese Ausbildung, um Menschen zu helfen und weil ich wusste, dass ich nicht gerade mit wenig Feingefühl gesegnet bin. Doch schlussendlich, war es zu viel Fein- und Mitgefühl, um mich selber richtig abgrenzen zu können. Ich erlitt das, was man ein Burnout nennt. Ein seelisch bedingtes. Bevor ich jedoch, zu tief darin versank, um nicht mehr alleine daraus zu kommen, zog ich, mit Rose Hilfe, die Reißleine.“
Alice drehte sich zu Conner um und sah ihn erstaunt an. „Und was, hast du danach gemacht?“
„Ich ging auf Reisen. Zuwenig, hatte ich noch von dem Land gesehen, welches ich mein Heimatland nannte. Ich nahm jeden Job an, welchen ich kriegen konnte, egal was. Dadurch, eignete ich mir so einige, zusätzliche Fähigkeiten an, welche ich dann an einem neuen Ort einsetzen konnte. So konnte ich mich, finanziell, gut über Wasser halten. Und so, bin ich hier gelandet.“ Lächelte Conner und strich Alice eine Haarsträhne aus dem Gesicht.
„Der Mann für alle Fälle, wie sie dich liebevoll nennen.“
Conner nickte. „Und seit ein paar Wochen, sogar noch Seelsorger, persönlicher Suchtrupp, neuer bester Freund und noch so einiges mehr. Und dieser 'Job' ist mir, der Liebste geworden.“ Conner grinste.
Worauf Alice lachen musste. „Spinner.“ Kniff sie ihn in die Seite. „Hattest du auch mit Frauen, wie...mir zu tun?“
„Die gibt es leider überall. Doch nur wenige, waren so unglaublich stark wie du und lösten sich von dem Ganzen, um sich aus dieser Hölle raus zu kämpfen. Viele hatten Angst. Vor was, habe ich nie verstanden. Auch noch dann, wenn ihnen der Dienst des Frauenhauses, zur Seite gestanden wäre.“
„Hmm. Für mich war dieser Tag, als würde mir der Himmel, einen Engel vorbei schicken und meine Eltern, immer noch auf mich Acht geben.“ Conner sah Alice fragend an. „In der Notfallstation, wurden häufig Frauen eingeliefert, die unglücklich gestürzt oder einfach von Natur aus, ungeschickt waren. Du kennst das ja.“
Conner nickte. Der Gedanke, dass Alice tausende von Kilometer von ihm entfernt, genau eine dieser Frauen war, die er selber tagtäglich behandelte und zu bestärken versuchte, war irgendwie merkwürdig. Hatte sie das Schicksal wohlmöglich deshalb zusammen geführt?
„Das Hilfswerk 'Womens Help', schaltete sich deswegen ein. Sie gehen alle paar Wochen dort vorbei, um nach dem Rechten zu sehen. Unterstützt, von dem ganzen Ärzteteam. Und wie es der Zufall so wollte, waren sie auch mal wieder unterwegs, als ich noch dort war. Ich musste ja, nachdem ich aufgewacht war, noch Wochen im Krankenhaus bleiben.

„Entschuldigen sie die Störung. Darf ich rein kommen?“
Alice nickte schwach. Sie war noch nicht lange wieder im hier und jetzt angekommen und erholte sich noch von ihren Verletzungen. Sie betrachtete die Frau, mit dem engelsgleichen Gesicht und dem Strahlen in den Augen.
„Wenn ich mich kurz vorstellen darf.“ Zog sie sich einen Stuhl, zu Alice ans Bett und setzte sich. „Ich bin Claire und komme vom Hilfswerk 'Womens Help'. Wir unterstützen Frauen, welche häusliche Gewalt erleben, von ihren Männern los zu kommen.“
Alice atmete erleichtert durch und schloss kurz die Augen. Dann sah sie die Frau, die nicht viel älter war, als sie selber, an und seufzte. „Sie schickt der Himmel.“
„Das dachte ich mir schon. Oder besser gesagt, ein Vögelchen, hat es mir gezwitschert.“ Ein schwaches Lächeln, das Erste seit langem, huschte über Alice Gesicht.
„Die Treppe runter gefallen?“
„Sowas Ähnliches. Wir Frauen, können ja so unglaublich tollpatschig sein“, sagte Alice darauf verächtlich.
„Dann sind wir, genau die Richtigen für sie.“ Claire lächelte Alice aufmunternd an.

Als Alice ihren Blick von der, noch gar nicht so weit entfernten Vergangenheit löste, spürte sie Tränen auf ihren Wangen. „Es war, wie mein zweiter Geburtstag.“ Conner strich ihr über die Haare und gab ihr einen Kuss darauf. „Ein paar Wochen später, zog ich mit meinen paar wenigen Habseligkeiten, mit denen ich zu Brian gezogen bin, im Frauenhaus von 'Womens Help' ein. Ein Anwalt hatte dafür gesorgt, dass ich in Begleitung einer Mitarbeiterin und der Polizei, das Nötigste zusammen packen konnte. Nicht gerade ein leichter Schritt, noch einmal in die Hölle des Schreckens zu gehen. Doch da ich wusste, dass es das letzte Mal sein würde, riss ich mich zusammen und überstand die paar Minuten, auch ziemlich gut. Deshalb war der Rucksack, welchen ich nie wirklich ausgepackt hatte, das Einzige was ich mit nahm.“
„Dann warst du die ganze Zeit im Frauenhaus, bevor du hier her zurück gekommen bist?“
„Ja. Bis nach der Scheidung und dem Schuldspruch, wegen versuchtem Totschlag. Trotz den besten Anwälten, die nicht geschmiert waren, kein leichtes Unterfangen. Ein ganzes Jahr, sollte es dauern, bis ich auf dem Papier, endlich wieder eine freie Frau, mit irischem Pass war.“ Nun musste diese Freiheit auch noch in Alice Leben ankommen.
Conner konnte sich nicht im geringsten vorstellen, wie hart diese Zeit für Alice gewesen sein musste. Nach dem Jahrelangen Kampf durch ihre Ehe. Dem Kampf zurück aus dem Komma ins Leben, auch noch der, endlich wieder frei zu sein. Dann, als sie es endlich war, ging das Kämpfen weiter. So wie es Alice scheinbar sah, ohne Aussicht auf ein Ende. Conner war da anderer Ansicht. Denn er würde ihr dabei helfen, dass dieser elende Kampf, endlich ein Ende haben würde.
„In dieser Zeit, habe ich angefangen zu schreiben. Meine Therapeutin im Frauenhaus, hat mir dazu geraten, weil ich nicht darüber sprechen konnte und auch nicht wollte. Ich fand einfach nicht die richtigen Worte. Und auf der anderen Seite, wollte ich dieses Kapitel meines Lebens, so schnell wie möglich abhacken und vergessen. Ein nicht gerade einfaches Unterfangen, wie sich heraus gestellt hat.  Doch das Schreiben, hat die oberste Schicht Dreck und Mief, aus mir entfernt. Ich merkte, wie es mich auf eine gewisse Art und Weise erleichterte, wenn ich einfach genauso schreiben konnte, wie ich mich gefühlt und es sich angefühlt hat. Deshalb ist ein nicht gerade schonungsloses Buch entstanden. Doch wie du es treffend gesagt hast. Ein solches Thema, kann man nicht schonungslos wiedergeben.“
„Wie und wo, endet das Buch?“
„An dem Tag, als ich das Frauenhaus und Amerika für immer verließ, um wieder zurück in meine Heimat zu kommen. Um genau zu sein, einen Tag zuvor. Ich wurde gerade fertig mit dem Ende, bevor es am nächsten Tag auf die Reise in mein neues Leben ging. Du darfst den Schluss gerne lesen, wenn du möchtest.“
Der Tag, der Alice Leben verändern sollte. Sie damals jedoch noch nicht im geringsten Ahnen konnte, wie und auf welche angenehme Art und Weise. Liebevoll sah Alice Conner an. „Danke.“, flüsterte sie und schmiegte sich in seine Arme, die er um sie schlang und damit fest an sich zog.
Conner brauchte nicht zu fragen, für was sie ihm dankte. Er konnte es in Alice Augen sehen, die gerade für einen kurzen Augenblick, den Blick auf ihr Herz und ihre Seele freigab.

Irish Heart - Sprache des HerzensWo Geschichten leben. Entdecke jetzt