Kapitel 102

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Nachdem sie ausgiebig gefrühstückt hatten, machten es sich Alice und Conner auf dem Sofa, vor dem knisternden Kamin, gemütlich. Auch wenn sie wieder raus in den Garten wollte, so konnte sie Conner doch davon überzeugen, dass es heute einfach zu kalt war, um dort zu sitzen. Wenn es wärmer und alles am blühen war, wäre es ohnehin viel schöner und gemütlicher. Recht hatte er. Doch Alice konnte sich einfach nicht an ihrem Garten satt sehen.
Ebenso wenig wie an dem Mann, der neben ihr saß und in sein Buch vertieft war. Seine Gesichtszüge und seine ganze Haltung, waren dabei völlig entspannt. Selbst bei einer so normalen Tätigkeit, wie ein Buch zu lesen, sah Conner einfach zum anbeißen aus. Oder waren dafür wohlmöglich ihre überreizten Endorphine schuld? Alice wusste es nicht. Nur, dass sie stundenlang so da sitzen und Conner zusehen könnte. Dabei wurde ihr wieder einmal bewusst, wie schnell es ging und sie sich an seine Gegenwart gewöhnt hatte. Conner war einfach nicht mehr aus ihrem Leben wegzudenken. Alice wusste, nun im Nachhinein, ganze genau wann dies seinen Lauf nahm. Es war nicht erst, seit sie intim mit einander wurden. Auch nicht erst, seit sie Conner gesagt hatte, dass sie ihn liebte. Der Ursprung lag viel früher. Das alles, nahm an jenem Abend seinen Lauf, als Conner sie im Unwetter gefunden hatte. Von da an, war er einfach immer da. Tag und Nacht, wich er nicht von ihrer Seite. Alice war zu der Zeit zu schwach und brauchte ihre gesamte Kraft, damit sie wieder gesund wurde, um sich auch nur ein bisschen, gegen irgendwas zu wehren. Heute war Alice mehr als froh darüber. Auch, dass Conner so unglaublich hartnäckig war und sich nicht von ihr und ihrem ekelhaften Verhalten, vertreiben ließ.
Ein Lächeln legte sich auf Alice Gesicht und das Gefühl von purem Glück, machte sich in ihr breit. Endlich konnte sie wieder von sich behaupten, dass sie glücklich und zufrieden war und ihr Leben in vollen Zügen genoss. Dieses Gefühl, kam aus ihrem tiefsten Herzen. Aus dem Reflex heraus, ließ Alice ihre Finger durch Conners Haare gleiten. „Weißt du eigentlich, wie unbeschreiblich glücklich du mich machst?“
Conner ließ sein Buch sinken und wandte seinen Blick Alice zu. Ihm war natürlich nicht entgangen, dass sie sich nicht dem Buch in ihrer Hand widmete, sondern die ganze Zeit ihn ansah. Mit ihren Worten, hatte er nicht gerechnet. Noch immer, war Alice sparsam mit ihren in Worte gepackten Liebesbekundungen. Was nicht an ihrer tiefen Liebe zu ihm liegen konnte. Das spürte Conner. Deshalb rührten ihnen diese Momente immer umso mehr, weil er wusste, dass sie in dem Augenblick, aus der Tiefe ihres Herzens kamen. So wie jetzt. Weshalb Conner spürte, wie Tränen der Rührung in seine Augen krochen. Gleichzeitig umspielte ein Lächeln seine Lippen. „Komm her.“ Breitete Conner seine Arme aus und schloss Alice, gleich darauf in diese. „Wenn ich dich, nur halbwegs so glücklich mache, wie du mich, dann weiß ich es, ja.“ Conner drückte einen Kuss auf Alice Scheitel und vergrub sein Gesicht in ihren Haaren.

„Conner.“ Unterbrach Alice, nach einer Weile, in der sie einfach den Moment und die ungeteilte Zweisamkeit genossen, die Stille.
„Ja, mein Schatz?“ Erneut landete ein Kuss in Alice Haaren. Conner bekam gar nicht genug davon, sie immer wieder zu berühren, wenn er sie so nah bei sich hatte.
„Ich ehm…“ Alice atmete tief durch. Sollte sie ihn wirklich darum bitten? Wenn doch, wie sollte sie ihn fragen? Es war ja nicht so, dass es was Normales an sich hatte, wenn sie ihn fragte, ob er zu einem kurzen Besuch bei ihren Eltern, mit kommen würde.
„Was ist denn?“ Conner setzte sich nun so hin, dass er Alice ansehen konnte. Dabei sah er, dass sie nervös auf ihrer Unterlippe kaute. „Was bedrückt dich, Kleines?“ Auf diesen Kosenamen und noch einige mehr, konnte Conner nicht mehr verzichten. Sie verließen ganz automatisch seinen Mund. Es war der erste Kosenamen, den er ihr gab, nach dem sie Freunde wurden. Alice würde für immer seine Kleine bleiben.
„Ach nichts. Ich…“ Alice stand auf und ging zur Tür, um sich Schuhe und Jacke überzuziehen.
„Wo willst du denn jetzt hin?“ Überrascht sah Conner ihr nach. Was war denn auf einmal los? Was lag Alice auf dem Herzen, was sie ihm nicht erzählen oder um was sie ihn nicht bitten konnte?
„Ich mach einen kleinen Spaziergang zu meinen Eltern. Es ist viel zu lange her, dass ich dort war.“ Alice wandte sich von Conner ab, um sich nicht noch weiter erklären zu müssen. Dieser stand jedoch bereits hinter ihr und legte seine Arme um Alice.
„Erste Frage. Du willst in deiner Jogginghose nach draußen? Zweite Frage. Warum fragst du mich nicht einfach, ob dich begleite?“ Alice zuckte mit den Schultern. „Einiges wird sich wohl nie ändern. Ich bin dein Freund und als dieser, darfst du mich alles fragen. Selbst wenn ich nur dein bester Freund wäre, würde ich dich belgeiten. So, wie ich es schon mal bei John getan habe.“
Alice seufzte. „Vielleicht werde ich dieses um Hilfe bitten oder meine Bedürfnisse aussprechen, auch mal noch ohne Ausnahme lernen.“
„Ganz bestimmt. Du hast schon so viel gelernt und wieder zurück erobert, in der kurzen Zeit, dann lernst du das auch wieder. Und wenn nicht, ist es eben eine weitere Eigenschaft an dir, die mich nicht im geringsten abschrecken lässt, weil sie dich ausmacht. Ich konnte mich ja schon etwas mit ihr anfreunden.“ Grinste Conner Alice an, die er zu sich umgedreht hatte. Alice entlockte es ein Lachen. Leicht war es und kam aus ihrem tiefsten Herzen.

„Warum hattest du auf einmal diese Eingebung, heute deine Eltern zu besuchen?“ Conner und Alice spazierten gemütlich über den Feenhügel.
„Weil ich im Moment in dieser Phase des Glücks stecke, in der ich es mit allen und jedem teilen und davon erzählen möchte. Den beiden wichtigsten Menschen, neben meinen Geschwistern, kann ich es nicht mehr erzählen, obschon ich dieses unbändige Bedürfnis verspüre, dich ihnen vorstellen. So wie du es kaum erwarten konntest, mich Rose vorzustellen.“ Conner legte den Arm um Alice und zog sie fest an seine Seite. „Ich wusste einfach nicht, wie ich dich darum bitten soll, weil es für mich so merkwürdig klang.“ Alice schloss kurz die Augen, als sie Conners Lippen in ihren Haaren spürte. Der Kuss ließ sie kurzzeitig ruhiger werden. Fühlte sich ihr Vorhaben zuhause noch einfach an, wurde es mit jedem Schritt schwerer.
Selbst Conner konnte es spüren. Mit jedem Schritt, mit dem sie der Kirche näher kamen, verstärkte sich Alice Griff um seine Hand. Es war nicht das erste Mal, dass er hier hoch kam. Er wusste wo auf dem Friedhof das Grab von Alice Eltern befand. Was Conner gleich mit Alice erwarten würde, wusste er nicht. Sie hatte nicht nur an ihrer Vergangenheit mit Brian, immer noch zu arbeiten, sondern auch am Tod ihrer Eltern. Aus dem Grund, weil es scheinbar in der Familie Callahan so üblich war, diese Tragödie von sich zu schieben, um scheinbar leichter zu leben. Was natürlich völliger Quatsch war. John war damals mit ihm, das erste Mal nach der Beerdigung, wieder am Grab seiner Eltern.
Tief atmete Alice durch, als sie das schwere Eisentor erreicht hatten. Jedes Mal war es so, als sei es eben erst gewesen, dass sie hier oben war. Mit ihren zarten sechzehn Jahren. Mit Gefühlen und Emotionen in sich, die kein Kind mit sich herum tragen sollte. Mit einer Zukunft vor Augen, die nicht düster, sondern Rabenschwarz aussah und sich auch genauso anfühlte. „Wärst du damals hier gewesen, wäre bestimmt alles ganz anders gekommen“, sagte Alice mehr zu sich selber. Es klang, als würde sie einfach laut denken.
„Damals hatte ich mit meinen eigenen Dämonen zu kämpfen. Aber jetzt bin ich da. Ich gehe mit dir den selben Weg und wenn es dich an damals erinnert, nehme ich auch die Hand von der kleinen, sechzehnjährigen Alice und beschütze sie.“, flüsterte Conner, während er Alice in seine Nähe zog. Es war deutlich zu sehen, dass sie mit sich am ringen war. Der Wunsch, ihren Eltern wieder nah zu sein, kämpfte gegen die Vergangenheit, die immer noch schwer auf Alice lastete.

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