Kapitel 2

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Als der wohlklingende Name Ballyconneely, im vertrauten irischen Singsang, durch die Lautsprecher des Buses knarrten, welcher Alice von Galway aus, fast schon mitten in die karge Landschaft der Connemaras brachte, warf sie sich, zum letzten Mal, ihren Rucksack über und stieg aus. Ohne zu wissen, ob der Brief bereits angekommen war. Genauso wenig wusste Alice, ob einer ihrer Geschwister da sein würde.
Alice war noch nie aufgefallen, wie witzig der Name Ballyconneely klang und wie sehr es sich nach einem verschlafenen Kaff anhörte, in welchem sich nicht viel tat. Was auch so war, so viel sich Alice erinnerte. Ob dies immer noch so war? Würde sie ihr Zuhause überhaupt noch erkennen?
Die Wolken lichteten sich augenblicklich, als Alice bei der Haltestelle stehen blieb und zusah, wie der Bus davon fuhr.
Eine angenehme Wärme, streichelte Alice Wangen. Es fühlte sich fast so an, als würde sie zuhause willkommen geheißen. Auf Alice Gesicht, zeichnete sich ein leichtes Lächeln ab und eine warmes Gefühl, machte sich in ihr breit. „Ich freue mich auch, wieder hier zu sein."
Ballyconneely, klang nicht nur verschlafen, es war tatsächlich immer noch so. Hier hatte sich all die Jahre, scheinbar nichts verändert, stellte Alice schmunzelnd und zu ihrer Erleichterung fest. Sie ging die Straße entlang, die von weißen und bunten Häuserreihen gesäumt wurde. Die bunten Farbkleckse, machten das Dorf Bild fröhlich und lebendig. Neue Häuser waren, so wie es auf den ersten Blick den Anschein machte, auch keine dazu gekommen.
Je weiter Alice ging und die Umgebungen in sich aufnahm, desto mehr kam es ihr vor, als sei sie eben erst hier lang gegangen. Die Farben, die Unebenheit der Straße, die Gerüche, ja sogar die Menschen die ihren Weg kreuzten, waren vertraut.
Vor einer roten Hausfassade, blieb Alice abrupt stehen. Ihr Blick glitt an ihr hoch. Über der Tür stand in schwarzen, schwungvollen Buchstaben 'The Callahans'. Die Freude über die Tatsache, dass es ihn noch gab und dass sie wahrscheinlich noch da waren, trieb Tränen in Alice Augen. Sie hoffte so sehr, dass sie die zwei wichtigsten Menschen, die ihr noch geblieben waren, schon bald wieder in die Arme schließen konnte. Gleichzeitig schlich sich jedoch auch Angst in ihre Gedanken und ihr Gefühl. Würde es jemals wieder so sein, wie es einmal war? Oder waren zehn Jahre, selbst für eine Familie, doch eine zu lange Zeit? Zumal sie ja, in den letzten Jahren, keinen Kontakt mehr hatten, so sehr es Alice auch wollte.
Neugierig, vorsichtig, nervös und beinahe ein bisschen ehrfürchtig, öffnete Alice die Tür. Gäste hatte es noch keine, da der Pub offiziell noch nicht geöffnet hatte. Dennoch kam Alice der vertraute Geruch von Guinness, Whisky und Essen entgegen, welcher sich mit Bildern, Stimmen, Gelächter und Musik aus der Vergangenheit vermischte. Erst ihr Blick, der auf zwei Personen haften blieb, holte Alice zurück in die Realität.

„Dann bleibt uns jetzt nichts anderes übrig, als abzuwarten wann Alice wieder vor der Tür stehen wird.“ Klang die Stimme ihrer Schwester, die seitlich an der Bar stand, durch den Pub zu Alice. Die Tür so leise wie möglich ins Schloss klicken lassen, blieb Alice stehen und betrachtete die zwei Menschen, die seit sie denken konnte, immer an ihrer Seite waren. Mit denen sie gelacht und sich gestritten hatte. Die ihr so ähnliche und genau so unähnlich waren.
Savannah trug ihre Haare nun so lang, dass sie ihr bis unterhalb ihrer Schultern reichten. Das schöne Haselnussbraun, welches Ähnlichkeiten mit dem ihrer Mutter hatte, war geblieben. Die schlanke, beinahe etwas drahtige Figur, die Savannah damals, mit ihren 24 Jahren hatte, war einer stattlichen mit ein paar Rundungen und Pölsterchen mehr gewichen. Jeans und die Bluse, welche locker in Ersterer steckte, betonten alles wunderbar vorteilhaft. Es erinnerte Alice so sehr an ihre Mama, dass sie sofort das Bedürfnis verspürte, sich in Savannahs Arme zu kuscheln.
„Ich hoffe sehr, dass dieser Tag, nicht mehr lange auf sich warten lässt.“ Johns Stimme war männlicher geworden, als dass sie Alice in Erinnerung hatte. Bereits mit seinen jungen zwanzig Jahren, die John war, als sie ihn das letzte Mal gesehen hatte, konnte man die beinahe identische Ähnlichkeit zu ihrem Vater sehen. Doch nun war es Alice, als stünde dieser hinter der Bar. Das selbe markante Gesicht, welches glatt rasiert war. Die hellbraunen Haare, mit dem roten Schimmer, waren seitlich ziemlich kurz geschnitten. Die Längen auf dem Kopf, waren leicht gestylt. Auch John trug Jeans und dazu ein Hemd, mit zurück gekrempelten Ärmeln, welches locker über dem Bund der Jeans hing. John sah aus, als würde er sich nicht bloß mit gelegentlichem Sport fit halten. Seine Arme, wirkten selbst durch das Hemd, durchtrainiert. Der schelmische Ausdruck in seinen grünblauen Augen, die eine interessante Mischung aus Papas blauen und Mamas braunen Augen waren, war geblieben. Die Frauen lagen ihm sicher Scharenweise zu Füssen. Ihr Bruder der Frauenmagnet, dachte Alice und musste bei dem Gedanken schmunzeln.
War John das Ebenbild ihres Vaters, sah man in Savannah von beiden etwas. Die Gesichtszüge und teilweise auch ihr Wesen, hatte sie eher von Papa. Zu den braunen Haaren, hatte Savannah auch die Farbe der Augen, von ihrer Mutter geerbt. Alice eigene Gesichtszüge, hatte sie voll und ganz von ihrer Mama vererbt bekommen. Von der Nase, der Form ihrer Augen, bis zu den Grübchen in den Wangen, wenn sie lächelte. Was die Farbe ihrer Augen und Haare anging, gab es, im Gegensatz zu ihren Geschwister, eine wahre Farbexplosion. Weshalb Alice auch gerne mal als exotisch beschrieben wurde.
Hier standen sie nun - ihre Geschwister. Vieles hatte die Jahre verändert. Doch das Gefühl, welches es in Alice auslöste, kaum sah sie die beiden vor sich stehen, war das Selbe geblieben. Tiefe, verbundene Liebe, die man nur unter Geschwistern fand.

Während Alice ihren Blick immer noch nicht von ihrer Schwester und ihrem Bruder nehmen konnte, um sich endlich bemerkbar zu machen, löste John seinen von Savannah und dem Brief, um sich wieder seiner Arbeit zu widmen. Dabei schweifte er kurz durch den Pub und blieb bei der Tür hängen.
Dort stand diese junge Frau, die so ganz anders aussah, als die kleine Schwester, die John vor zehn Jahren hatte ziehen lassen, auch wenn es ihm beinahe das Herz zerriss. Die er dennoch immer wieder erkennen würde, denn sie war heute noch mehr das Ebenbild ihrer Mutter, als mit Sechzehn.
„Meine Hoffnung hat sich bereits erfüllt und das Warten hat ein Ende“, sagte John, ohne den Blick von Alice abzuwenden.
Dabei lag dieses verschmitzte Grinsen auf seinen Lippen, welches Alice schon immer geliebt hatte.
Savannah sah fragend und verwirrt zu ihrem Bruder hoch, um dann seinem Blick zu folgen. Ihre Augen wurden groß und ihr Mund öffnete sich gefühlt eine Ewigkeit, bevor Worte diesen verließen. „Oh mein Gott! Das darf doch nicht wahr sein.“ Savannah glitt vom Barhocker, auf dem sie saß und eilte mit offenen Armen auf Alice zu, um ihre kleine Schwester, endlich wieder in die Arme zu schließen.
Dieses wache, klare, offene Gesicht, nie hatte es Alice vergessen. Auch wenn die zehn Jahre seine Spuren hinterlassen und sich Fältchen um die warmen, braunen Augen gebildet hatten und sie dadurch noch gutmütiger wirkten.
Seit zehn Jahren, hatte sich nie mehr etwas mehr nach Heimat und Zuhause angefühlt, als die beiden Arme, die sich kurz darauf um sie schlangen. „Scheisse habe ich dich vermisst.“ Rutschte es Alice heraus, als sie endlich wieder diese schmerzlich vermisste Geborgenheit um sich spürte.
„Sieh mal einer an, wen das Meer endlich wieder nachhause gebracht hat.“ John musterte seine kleine Schwester von oben bis unten. Die Haare waren etwas zu streng nach hinten genommen, das Gesicht mager und um die Augen waren dunkle Ringe zu sehen. Auch die Kleider, schienen etwas zu sehr um Alice Körper zu schlabbern. Doch was John einen Stich versetzte, war Alice Ausdruck in ihren Augen. Es lag so viel Kummer und Schmerz darin. Mehr noch als damals, als er sie von hier ziehen ließ. Sie sah klein und unglaublich zerbrechlich aus. Gleichzeitig jedoch älter als sie in Wirklichkeit war. Was war bloß mit seiner Kleinen passiert? „Darf ich dich drücken, Ali?“
'Ali', um Alices Herz wurde es augenblicklich noch etwas wärmer. So hatte sie nie mehr irgendjemand genannt. „Unbedingt.“
„Schön bist du wieder da, Kleines. Wir haben dich all die Jahre vermisst.“ John drückte Alice fest an sich und gab ihr einen Kuss aufs Haar. Er gab es nie wirklich zu, doch seine kleine Schwester fehlte im jeden Tag. Es war, als würde ein Stück von ihm fehlen. Doch jetzt, da John sie wieder im Arm hielt, fiel die schwere Last aus Sorge und etlichen Gefühlen mehr, die all die Jahre auf seiner Seele und seinem Herzen lag und ihm eine innere Unruhe bescherte, von ihm ab.
„Ich habe euch auch vermisst und bin froh, wieder hier zu sein.“ Alice war die letzten Wochen und Monate stark, auch wenn sie am Ende ihrer Kräfte und Nerven war. Doch jetzt, umgeben von ihrer Familie, spürte sie, wie ihre Kraft schwand. Alice seufzte und konnte ihre aufgestauten Tränen, nicht mehr zurückhalten. Weshalb sie hemmungslos anfing zu weinen.
„Alles wird gut Alice. Du bist wieder Zuhause und wir sind für dich da.“ Flüsterte John, während sich auch bei ihm einige Tränen aus den Augen gestohlen hatten. Savannah lächelte mit verweintem Gesicht, wischte John eine Träne von der Wange und schlang ihre Arme ebenfalls noch um Alice. „Wir sind jetzt endlich wieder eine Familie.“ Endlich waren sie wieder komplett. Das fehlende Puzzleteil ihrer Familie, wurde wieder am rechten Ort eingefügt. Wenn es vielleicht auch noch nicht ganz genau passte.

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