Kapitel 19

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Alice tastete mit den Füssen nach dem Weg. Er war aus Kies, weshalb sie noch ein Stück geradeaus ging, bis das Knirschen unter ihren Füssen nicht mehr spürte. Der Weg wurde etwas unebener, weshalb Alice nur langsam vorwärts kam. Immer schön vorsichtig, einen Fuß vor den anderen setzen. Darauf bedacht, nicht hinzufallen. Der Wind, welcher spürbar heftiger wurde, wehte von allen Seiten um Alice herum und versuchte sie, immer wieder, vom Weg ab zubringen. Das Meer schäumte und tobte. Die Wellen, brachen sich mit tosendem Lärm an den Felswänden der Klippen. Es hörte sich bedrohlich an und so, als sei das Meer gleich neben ihr. ˋMama hat mich früher immer getadelt, wenn ich, in meiner Fantasie feststeckend, die Zeit vergaß und ab und an, auch bei solchem Wetter nachhause kam.', ging es Alice durch den Kopf. „Siehst du Mama, ich habe mich nicht wirklich geändert, was das angeht.“
Alice blieb kurz stehen, um sich neu zu orientieren, wenn dies überhaupt möglich war. Es war, weit und breit, nichts zusehen. 'Nicht stehen bleiben, geh weiter.' Mit gebückter Haltung, ging Alice weiter. Die Kleidung, klebte bereits an ihr, wie eine zweite Haut und machte das Gehen, auch nicht einfacher. Ein Blitz, erhellte das Schwarz, welches Alice umgab. Dadurch, war sie einen kurzen Augenblick, nur für den Bruchteil einer Sekunde, unaufmerksam. Ihr Fuß, verfing sich in einer Wurzel, die aus dem Boden ragte und Alice fiel bäuchlings auf den nassen, matschigen Boden. Dabei stieß sie sich ungünstig den Kopf, dass ihr für einen kurzen Augenblick, schwarz vor Augen wurde.
Es raubte Alice auch noch die letzte Kraft, um wieder aufzustehen, damit sie endlich nachhause kam. So weit, konnte sie doch gar nicht vom Dorf entfernt sein. Den Glockenturm des Friedhofes, war von dort aus, gut zusehen. „Ich muss doch den falschen Weg eingeschlagen haben.“, murrte Alice sich an. Sie hatte jedoch das Gefühl, bergab gegangen zu sein. Gefühle, konnten einen täuschen, egal welcher Art sie waren.
Die nasse Kälte ihrer Klamotten, schlich sich immer tiefer in Alice Körper hinein und der Regen, trug seines dazu bei. Die Hoffnung, jemals heil aus dieser verzwickten Situation heraus zukommen, schwand von Sekunde zu Sekunde, welche Alice vor kamen wie Stunden. Je länger sie da lag und spürte, wie ihr Körper, vor Kälte, immer steifer wurde. Wäre doch bloß jemand bei ihr oder wüsste, wo sie hin gegangen war. Bei diesem Wetter, würde wohl kaum noch jemand hier draußen unterwegs sein. Auf die Suche, hatte sich bestimmt auch niemand gemacht, da ihre Geschwister sie zu gut kannten, um zu wissen, dass dies typisch sei für sie. Die dachten bestimmt, sie sei längstens wieder Zuhause oder in einem Unterschlupf. Von denen, kannte Alice früher etliche. Dieses Mal, würde wahrscheinlich das erste und auch letzte Mal sein, dass es nicht zutreffen würde. Alice spürte warme Tränen auf ihren eisig kalten Wangen. Selbst Conner, wäre ihr jetzt recht. Wieder spürte Alice dieses Gefühl in sich aufkommen. Einen kurzen Augenblick lang, wurde es ihr warm. Bis sie energisch den Kopf schüttelte. ˋHimmel noch mal. Wann verschwindet dieser Kerl endlich aus meinem Kopfˋ, fluchte sie wütend und setzte sich auf. Der Versuch aufzustehen, scheiterte an Alice Fuß. Wütend und verzweifelt, schrie Alice nach Hilfe.

„Alice!“ Rief Conner in den Sturm hinein. Es kam ihm jedoch ziemlich sinnlos vor, da der Wind seine Stimme gleich mit sich nahm und übers Meer hinwegtrug. Gefühlt, seit einer Ewigkeit, war er unterwegs. Der Nebel und die plötzlich aufkommende Schwärze, machten es Conner unmöglich, trotz helfender Taschenlampe, schneller vorwärts zukommen. Der Wind blies ihm entgegen und peitschte den Regen in sein Gesicht. So groß die Sorge auch war, bemühte er sich dennoch, vorsichtig zu sein. Es brachte niemandem etwas, wenn ihm etwas zustieß. Den Friedhof, hatte er eben hinter sich gelassen. Die dumpfen Glockenschläge, drangen durch den Wind, noch bis zu ihm, Wurden jedoch mehrheitlich, wie seine Stimme, von diesem übers Meer fort getragen. Nicht eine Menschenseele traf Conner beim Friedhof an. Selbst sein Blitzgedanke, kurz beim Grab von Alice Eltern nach zusehen, ergab nichts.
„Alice.“ Versuchte Conner sein Glück noch einmal. Sie könnte überall sein. Denn keiner von ihnen hatte eine Ahnung, wohin sie ging. Ob Alice dazwischen eine Pause eingelegt hatte. Oder ob sie auf dem Rückweg war, als der Sturm Alice erwischte.
Alice hob den Kopf. Rief jemand nach ihr oder hatte sie, mittlerweile schon Halluzinationen? Sie rappelte sich etwas auf und kniff die Augen zusammen, in der Hoffnung, sie könne dadurch durch den Nebel etwas erkennen. Der war jedoch so dick, dass sie kaum eine Armlänge weit sehen konnte.
„Ich bin hier!“, rief Alice Stimme automatisch. Wenn sie auch wohl zu leise und kraftlos war, dass es irgendjemand hören könnte, falls denn wirklich jemand unterwegs war.
„Alice.“ Conner hatte sich das doch nicht bloß eingebildet? „Alice, wo bist du? Sag was.“ Er blieb stehen und zündete mit der Taschenlampe um sich.
Wieder diese Stimme, die übers Meer her, zu Alice drang. Waren es wohl die Meer Geister, die sie holen kamen? Oder vielleicht doch jemand aus Fleisch und Blut? Jemand, der verrückt genug war, sich auf die Suche nach ihr zumachen?
„Hallo? Ist hier jemand, der mich hören kann? Ich bin hier!“
Nur schwach, vernahm Conner eine Stimme, doch er war sich jetzt sicher, dass es nicht bloß der Wind war, der ihm einen Streich spielte. Es musste Alice sein. Es musste einfach. Es wäre mehr als Zufall, wenn sonst noch jemand da draußen umher irrte und den Weg nicht mehr fand.
Erneut blieb Conner stehen, um den Schein seiner Taschenlampe etwas weiter schweifen zulassen, als das Stück Weg, gleich vor ihm, auf welchem er versuchte, vorwärts zukommen. Erleichtert stieß Conner die Luft aus, als der Schein, zwar nur schwach, aber dennoch deutlich genug, etwas zum Vorschein brachte, was bloß ein paar Meter weiter, auf dem Boden kauerte. Von seinem Herzen, schien gerade eine Zentner schwere Last zufallen.
„Oh Alice, bin ich froh, dass ich dich endlich gefunden habe.“ Conner stürzte beinahe auf Alice zu. Am liebsten, hätte er sie in seine Arme geschlossen und nie mehr los gelassen.
„Und ich erst.“ Entgegnete Alice erleichtert. Sie hatte noch keine Ahnung, wer der rettende Engel war. Zu laut pfiff der Wind immer noch um sie herum.
„Ich hätte nicht gedacht, dies einmal aus deinem Mund zu hören.“ Conner grinste in sich hinein.
Auf Alice Stirn bildeten sich sogleich Falten. Diese Stimme kannte sie doch. „Conner?“
„Ja?“, antwortete Conner zögerlich.
Conner McCallum, war ihr rettender Engel? War ja klar. Wie passte das alles zusammen?
„Geht es dir gut?“, fragte Conner weiter, als nichts mehr von Alice kam.
„Sehe ich etwa so aus?“ Alice schloss kurz die Augen. 'Sei wenigstens einmal freundlich. Er ist dein Lebensretter, für den Moment'. Innerlich schnaubte Alice. „Ich bin hin gefallen. Doch ich denke, da habe ich mir nichts zu gezogen, außer meinen Fuß verknackst. Mir ist einfach sau kalt und ich habe das Gefühl, beinahe tiefgefroren zu sein.“
„Bei diesem Wetter, kann ich uns beide nicht heil ins Dorf bringen. Da du scheinbar nicht mehr gehen kannst. Gibt es hier irgendwo einen Unterschlupf?“
War das sein Ernst? Nicht ins Dorf, dafür allein mit Conner einen Unterschlupf suchen? „Ich weiß nicht einmal mehr, wo ich bin. Die Orientierung hat mich komplett verlassen.“
„Ein paar Meter vom Friedhof aufwärts. Irgendwo sollte gleich die Abzweigung zum Feenhügel kommen.“ Versuchte sich auch Conner einigermaßen zu orientieren. Es war echt schwer, bei diesem Wetter. Obschon er das Gefühl hatte, dass sich der Sturm allmählich legte.
Aufwärts? Alice seufzte. „Wenn es immer noch so ist, sollte bald ein Unterschlupf kommen.“ Sie war noch nicht wieder auf dem Feenhügel, in den letzten Wochen.
„Ich weiß welchen. Kannst du gehen?“
„Bis dort hin, sollte es wohl gehen.“ Schon spürte Alice Conners Nähe noch intensiver.
Conner fasste Alice um die Hüfte. „Leg deinen Arm um meinen Hals und halte dich fest. Auf drei. Eins, zwei, drei.“
Es kostete Alice ihre letzte Kraft, die sie noch hatte, um Conners Anweisungen nach zukommen. Sie spürte die Müdigkeit in ihrem ganzen Körper. Und wäre Conner nicht gekommen, hätte Alice ihr wohl nach gegeben. Ein merkwürdiges Gefühl, setzte sich in ihr fest.

Tatsächlich war es nicht weit, bis eine Art Höhle auftauchte. Zumindest sah es wie ein Höhleneingang aus. Conner schaffte Alice so weit nach hinten wie nur möglich und sah sich dann nach etwas um, mit dem er ein kleines Feuer machen konnte. Hier hielt sich wohl immer mal wieder jemand auf, denn es gab tatsächlich eine Feuerstelle und daneben ein bisschen Holz. Conner kramte in seiner Jackentasche. Beinahe triumphierend, zog er die Streichhölzer daraus.
Nach ein paar Fehlversuchen, fraß sich die kleine Flamme endlich ihren Weg durch das Holz und erhellte etwas die Umgebung.
Erst jetzt, lag Conners Aufmerksamkeit wieder auf Alice, die zitternd in der Ecke saß. „Du solltest etwas näher ans Feuer kommen.“ Ohne zu murren, tat Alice, was er ihr sagte. Es geschahen tatsächlich noch Wunder. „Du hast dir den Kopf gestoßen.“ Stellte Conner fest, als er Alice musterte.
„Das ist nicht weiter schlimm, außer dass es etwas pocht.“ Alice wehrte Conners Hand ab, die sich ihrem Gesicht näherte.
„Kannst du nicht einmal kurz die Klappe halten und mich machen lassen? Ich tue dir  nichts, außer dir zu helfen. Bitte Alice.“ Conner wurde nicht schlau aus dieser Frau. Da steckte sie in einer ziemlich aussichtslosen Situation und dennoch war es ihr nicht recht, dass ausgerechnet er sie gefunden hatte und ihr half. Dabei war es doch eigentlich scheiss egal, wer hier war.
„Wirst du mich wieder küssen, wenn ich es nicht tue.“ Alice Augen blitzten, sofern man dies, bei dem schummrigen Licht sehen konnte.
Ein leises Lachen entwich Conner. „Wehrlose Frauen, küsse ich nicht.“
Alice biss sich auf die Lippe, während Conner das Blut von ihrer Stirn tupfte. „Es ist nicht tief. Das können wir so lasse. Tut dir sonst noch was weh?“
„Gefühlt alles.“ Conner sah, wie blass Alice war. Seine Sorge schwand nicht, sie veränderte sich bloß. Sie musste unbedingt nachhause. Es wäre jedoch zu fahrlässig gewesen, bei diesen Sichtverhältnissen. Conner atmete tief und beunruhigt durch.
Alice hob den Blick vom Feuer und dieser traf auf den von Conner. Die Sorgen in seinen Augen, waren deutlich zu sehen. Diese zwei wundervollen, Meerblauen Augen, schwammen regelrecht darin. „Was machst du eigentlich hier?“ Wollte Alice wissen.
„Dich aus deiner misslichen Lage befreien.“
„Zufall?“ Konnte es wohlmöglich tatsächlich so sein, dass Conner sich auf die Suche nach ihr gemacht hatte?
„Spielt das eine Rolle? Nimm doch einfach die Hilfe an, die dir gegeben wird, Callahan.“ Aufgewühlt, setzte sich Conner nun neben Alice. Auch ihm war kalt. Nur kurz, ließ er seinen Kopf auf die Knie sinken und atmete ein paar Mal tief durch. Selbst in dieser Situation, war Alice Gegenwart und Anziehung, schier unerträglich.
„Danke.“ Hörte Conner leise neben sich sagen. Mit einem Lächeln hob er den Kopf und sah Alice an. „Nicht dafür. Schließlich habe ich dich so wütend gemacht, dass du in diese missliche geraten bist.“
Dafür, gab Conner sich die Schuld? „Das hier und die Tatsache, dass du mich wütend machst, ist ganz alleine meine Schuld.“ Alice Körper wurde vom eisigen Gefühl der Kälte regelrecht geschüttelt.
Ohne zu überlegen, legte Conner seinen Arm um Alice und zog sie dichter an sich heran. Es würde wahrscheinlich nicht viel bringen, da auch er nass und durchkühlt war. Dennoch hatte Conner dadurch das Gefühl, nicht ganz hilflos zu sein.
„Bilde dir ja nichts darauf ein“, sagte Alice matt, während sie sich fester an Conner drückte.
„Keine Sorge. Diesen Fehler mach ich nicht.“ Mit einem Schmunzeln auf den Lippen, drückte Conner ganz kurz sein Gesicht in Alice Haare und atmete ihren Duft in sich auf. Was tat er hier? Das Herz pochte schnell in Conners Brust und schlug immer deutlicher den falschen Weg ein, auf dem er nur verlieren konnte.
„Wir können hier nicht bleiben. Das Feuer reicht nicht mehr lange aus.“ Alice spürte ihren Körper kaum noch.
„Ich weiß.“ Wiederwillig löste sich Conner von Alice, um nachzusehen, wie der Himmel aussah. Der Nebel war verschwunden, die Wolken zwar immer noch schwarz. Doch der Wind hatte nachgelassen. „Der Sturm hat sich etwas gelegt. Doch…“ Conner atmete hörbar durch.
„Was?“ Alice ahnte Conners Gedanken.
„Na ja, ich denke, in dem Zustand in dem du bist, kannst du nicht zu Fuß gehen. Auch nicht, wenn ich dich stütze. Habe ich Recht?“
Zögerlich, nickte Alice.
„Also musst du dich, wohl oder übel, von mir tragen lassen. Auch wenn ich weiß, dass du eine Frau bist, die sich nicht gerne auf den Arm nehmen lässt.“
Alice entwich ein Lachen. Dieses Wortspiel war ja mal wieder mehr als zutreffend.
Conner wurde es sofort warm ums Herz. „Ich meinte...“
„Ich denke, in Anbetracht meiner scheiss Lage und dass mir keine andere Wahl bleibt, werde ich heute eine Ausnahme machen.“ Alice unterbrach Conners Gestammel.
Lächelte sie etwa? Conner konnte es nicht erkennen. „Na dann. Hier die Taschenlampe.“ Drückte er ihr diese in die Hand. „Nicht einschlafen und fallen lassen!“
„Keine Sorge, ich gebe mir Mühe, da ich einfach nur in mein warmes Bett möchte “ Wie konnte es sein, dass sie zwei sich auf einmal, wie zivilisierte Menschen unterhielten? Egal. Darüber konnte sich Alice später den Kopf zerbrechen. Dieser, war gerade viel zu schwer und schmerzte etwa doppelt so fest.
Als Alice noch in Gedanken war, hatte Conner sie schon auf seine Arme gehoben und fest an sich gedrückt. Sie zitterte am ganzen Leib.
„So Alice, bringen wir dich endlich nachhause.“ Ein letzter Blick zurück, ob das Feuer auch wirklich aus war und Conner machte sich endlich auf den Weg zu Savannah.

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